Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus einem Rriegstagebnche.

In der tiefen Nacht ertönten noch einmal Signale. Dann wurde alles
still. Wir hoffen, daß morgen die Höhen verlassen sind und daß die Wacht¬
posten am Triller nicht mehr da sind, um in unsre Häuser hineinsehen zu können.

Das war gestern ein aufregender Tag, wie ihn unsre Städte schwerlich
je erlebt haben. Er sollte noch nicht ein Tag der Schlacht werden, aber er
wurde es doch, und ein Tag des Sieges, freilich eines schwer erkauften Sieges.

Schon am Morgen ritten starke Kavalleriemassen durch die Stadt den
Metzer Weg hinauf (Nheinbaben). Sie kamen nicht weit, ihre Spitzen wurden
von Spicheren her mit Schüssen begrüßt, es galt für sie also, nachdem sich die
Unmöglichkeit herausgestellt hatte, auf irgend einem Wege die Berge hinauf¬
zukommen, eine geschützte Stellung aufzusuchen.

Der Tag wurde schon heiß, als gegen zehn Uhr die ersten Jnfanterie-
regimenter Ur. 39 und 74 in langen Zügen durch Saarbrücken hinauf mar-
schirten, sie waren zum Teil schon ermüdet, alle staubig und durstig. An den
Hauptstraßen standen die Einwohner, besonders Frauen und Mädchen, und
hielten eine Menge von Gefäßen bereit, voll Wein und Wasser. Viele konnten
sich im Vorbeigehen laben, und man sah, wie Wohl es ihnen that. Manchen
Soldaten wurden Zigarren in die Taschen gesteckt. Es war, als müsse jeder
unsrer Mitbürger nach so langen Tagen den preußischen Soldaten noch etwas
Liebes anthun. Die Soldaten empfanden das auch. Die Stimmung war vor¬
trefflich, freilich die Offiziere sahen sehr ernst drein. Wir hörten bald, daß
man fürchtete, den Feind nicht mehr zu erreichen, und daß die Kriegsarbeit
dann, wenn sich die Korps um Metz gegen uns in aller Stärke und mit un¬
gebrochenen Mute sammelten, für uns schwieriger sein würde. Die Ansicht,
daß der Feind im Abmarsch sei, war richtig, aber eine starke Macht war auf
den Spicherer Bergen zurückgeblieben, und als diese angegriffen wurde, warf
Frossard von Forbach aus seine ganze Schaar wieder nach der preußischen
Seite. Auf der Landstraße drängte sich alles nach Stieringen und der goldenen
Brenne, auch der Stieringer Wald und der Wald bei Schönecken wurde besetzt.

Mittlerweile kamen immer mehr Regimenter durch die Städte, sie mußten
auf verschiednen Wegen links und rechts die Höhen gewinnen, um sich nicht zu
hindern. Einen besonders ernsten Eindruck machten auf uns die Krankenträger,
die durch so vieles auf das bevorstehende Elend hinwiesen, von dem doch nie¬
mand etwas wissen wollte. Denn so glücklich ist der Mensch organisirt, daß,
wenn ihn eine große, kraftvolle Idee erfaßt, die andern Nebengedanken für eine
Weile keinen Raum in ihm finden. Die Führer trieben zur Eile, denn man
hörte, daß der Feind standhalte, und die Kanonen dröhnten weithin. Im Lauf¬
schritt gings durch die Stadt, bis an die Höhe. Wir sahen, wie andre von
unsern Truppen die Eisenbahnbrücke stromabwärts am Schanzenberg benutzten,


Aus einem Rriegstagebnche.

In der tiefen Nacht ertönten noch einmal Signale. Dann wurde alles
still. Wir hoffen, daß morgen die Höhen verlassen sind und daß die Wacht¬
posten am Triller nicht mehr da sind, um in unsre Häuser hineinsehen zu können.

Das war gestern ein aufregender Tag, wie ihn unsre Städte schwerlich
je erlebt haben. Er sollte noch nicht ein Tag der Schlacht werden, aber er
wurde es doch, und ein Tag des Sieges, freilich eines schwer erkauften Sieges.

Schon am Morgen ritten starke Kavalleriemassen durch die Stadt den
Metzer Weg hinauf (Nheinbaben). Sie kamen nicht weit, ihre Spitzen wurden
von Spicheren her mit Schüssen begrüßt, es galt für sie also, nachdem sich die
Unmöglichkeit herausgestellt hatte, auf irgend einem Wege die Berge hinauf¬
zukommen, eine geschützte Stellung aufzusuchen.

Der Tag wurde schon heiß, als gegen zehn Uhr die ersten Jnfanterie-
regimenter Ur. 39 und 74 in langen Zügen durch Saarbrücken hinauf mar-
schirten, sie waren zum Teil schon ermüdet, alle staubig und durstig. An den
Hauptstraßen standen die Einwohner, besonders Frauen und Mädchen, und
hielten eine Menge von Gefäßen bereit, voll Wein und Wasser. Viele konnten
sich im Vorbeigehen laben, und man sah, wie Wohl es ihnen that. Manchen
Soldaten wurden Zigarren in die Taschen gesteckt. Es war, als müsse jeder
unsrer Mitbürger nach so langen Tagen den preußischen Soldaten noch etwas
Liebes anthun. Die Soldaten empfanden das auch. Die Stimmung war vor¬
trefflich, freilich die Offiziere sahen sehr ernst drein. Wir hörten bald, daß
man fürchtete, den Feind nicht mehr zu erreichen, und daß die Kriegsarbeit
dann, wenn sich die Korps um Metz gegen uns in aller Stärke und mit un¬
gebrochenen Mute sammelten, für uns schwieriger sein würde. Die Ansicht,
daß der Feind im Abmarsch sei, war richtig, aber eine starke Macht war auf
den Spicherer Bergen zurückgeblieben, und als diese angegriffen wurde, warf
Frossard von Forbach aus seine ganze Schaar wieder nach der preußischen
Seite. Auf der Landstraße drängte sich alles nach Stieringen und der goldenen
Brenne, auch der Stieringer Wald und der Wald bei Schönecken wurde besetzt.

Mittlerweile kamen immer mehr Regimenter durch die Städte, sie mußten
auf verschiednen Wegen links und rechts die Höhen gewinnen, um sich nicht zu
hindern. Einen besonders ernsten Eindruck machten auf uns die Krankenträger,
die durch so vieles auf das bevorstehende Elend hinwiesen, von dem doch nie¬
mand etwas wissen wollte. Denn so glücklich ist der Mensch organisirt, daß,
wenn ihn eine große, kraftvolle Idee erfaßt, die andern Nebengedanken für eine
Weile keinen Raum in ihm finden. Die Führer trieben zur Eile, denn man
hörte, daß der Feind standhalte, und die Kanonen dröhnten weithin. Im Lauf¬
schritt gings durch die Stadt, bis an die Höhe. Wir sahen, wie andre von
unsern Truppen die Eisenbahnbrücke stromabwärts am Schanzenberg benutzten,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0302" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201081"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus einem Rriegstagebnche.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_861"> In der tiefen Nacht ertönten noch einmal Signale. Dann wurde alles<lb/>
still. Wir hoffen, daß morgen die Höhen verlassen sind und daß die Wacht¬<lb/>
posten am Triller nicht mehr da sind, um in unsre Häuser hineinsehen zu können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_862"> Das war gestern ein aufregender Tag, wie ihn unsre Städte schwerlich<lb/>
je erlebt haben. Er sollte noch nicht ein Tag der Schlacht werden, aber er<lb/>
wurde es doch, und ein Tag des Sieges, freilich eines schwer erkauften Sieges.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_863"> Schon am Morgen ritten starke Kavalleriemassen durch die Stadt den<lb/>
Metzer Weg hinauf (Nheinbaben). Sie kamen nicht weit, ihre Spitzen wurden<lb/>
von Spicheren her mit Schüssen begrüßt, es galt für sie also, nachdem sich die<lb/>
Unmöglichkeit herausgestellt hatte, auf irgend einem Wege die Berge hinauf¬<lb/>
zukommen, eine geschützte Stellung aufzusuchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_864"> Der Tag wurde schon heiß, als gegen zehn Uhr die ersten Jnfanterie-<lb/>
regimenter Ur. 39 und 74 in langen Zügen durch Saarbrücken hinauf mar-<lb/>
schirten, sie waren zum Teil schon ermüdet, alle staubig und durstig. An den<lb/>
Hauptstraßen standen die Einwohner, besonders Frauen und Mädchen, und<lb/>
hielten eine Menge von Gefäßen bereit, voll Wein und Wasser. Viele konnten<lb/>
sich im Vorbeigehen laben, und man sah, wie Wohl es ihnen that. Manchen<lb/>
Soldaten wurden Zigarren in die Taschen gesteckt. Es war, als müsse jeder<lb/>
unsrer Mitbürger nach so langen Tagen den preußischen Soldaten noch etwas<lb/>
Liebes anthun. Die Soldaten empfanden das auch. Die Stimmung war vor¬<lb/>
trefflich, freilich die Offiziere sahen sehr ernst drein. Wir hörten bald, daß<lb/>
man fürchtete, den Feind nicht mehr zu erreichen, und daß die Kriegsarbeit<lb/>
dann, wenn sich die Korps um Metz gegen uns in aller Stärke und mit un¬<lb/>
gebrochenen Mute sammelten, für uns schwieriger sein würde. Die Ansicht,<lb/>
daß der Feind im Abmarsch sei, war richtig, aber eine starke Macht war auf<lb/>
den Spicherer Bergen zurückgeblieben, und als diese angegriffen wurde, warf<lb/>
Frossard von Forbach aus seine ganze Schaar wieder nach der preußischen<lb/>
Seite. Auf der Landstraße drängte sich alles nach Stieringen und der goldenen<lb/>
Brenne, auch der Stieringer Wald und der Wald bei Schönecken wurde besetzt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_865" next="#ID_866"> Mittlerweile kamen immer mehr Regimenter durch die Städte, sie mußten<lb/>
auf verschiednen Wegen links und rechts die Höhen gewinnen, um sich nicht zu<lb/>
hindern. Einen besonders ernsten Eindruck machten auf uns die Krankenträger,<lb/>
die durch so vieles auf das bevorstehende Elend hinwiesen, von dem doch nie¬<lb/>
mand etwas wissen wollte. Denn so glücklich ist der Mensch organisirt, daß,<lb/>
wenn ihn eine große, kraftvolle Idee erfaßt, die andern Nebengedanken für eine<lb/>
Weile keinen Raum in ihm finden. Die Führer trieben zur Eile, denn man<lb/>
hörte, daß der Feind standhalte, und die Kanonen dröhnten weithin. Im Lauf¬<lb/>
schritt gings durch die Stadt, bis an die Höhe. Wir sahen, wie andre von<lb/>
unsern Truppen die Eisenbahnbrücke stromabwärts am Schanzenberg benutzten,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0302] Aus einem Rriegstagebnche. In der tiefen Nacht ertönten noch einmal Signale. Dann wurde alles still. Wir hoffen, daß morgen die Höhen verlassen sind und daß die Wacht¬ posten am Triller nicht mehr da sind, um in unsre Häuser hineinsehen zu können. Das war gestern ein aufregender Tag, wie ihn unsre Städte schwerlich je erlebt haben. Er sollte noch nicht ein Tag der Schlacht werden, aber er wurde es doch, und ein Tag des Sieges, freilich eines schwer erkauften Sieges. Schon am Morgen ritten starke Kavalleriemassen durch die Stadt den Metzer Weg hinauf (Nheinbaben). Sie kamen nicht weit, ihre Spitzen wurden von Spicheren her mit Schüssen begrüßt, es galt für sie also, nachdem sich die Unmöglichkeit herausgestellt hatte, auf irgend einem Wege die Berge hinauf¬ zukommen, eine geschützte Stellung aufzusuchen. Der Tag wurde schon heiß, als gegen zehn Uhr die ersten Jnfanterie- regimenter Ur. 39 und 74 in langen Zügen durch Saarbrücken hinauf mar- schirten, sie waren zum Teil schon ermüdet, alle staubig und durstig. An den Hauptstraßen standen die Einwohner, besonders Frauen und Mädchen, und hielten eine Menge von Gefäßen bereit, voll Wein und Wasser. Viele konnten sich im Vorbeigehen laben, und man sah, wie Wohl es ihnen that. Manchen Soldaten wurden Zigarren in die Taschen gesteckt. Es war, als müsse jeder unsrer Mitbürger nach so langen Tagen den preußischen Soldaten noch etwas Liebes anthun. Die Soldaten empfanden das auch. Die Stimmung war vor¬ trefflich, freilich die Offiziere sahen sehr ernst drein. Wir hörten bald, daß man fürchtete, den Feind nicht mehr zu erreichen, und daß die Kriegsarbeit dann, wenn sich die Korps um Metz gegen uns in aller Stärke und mit un¬ gebrochenen Mute sammelten, für uns schwieriger sein würde. Die Ansicht, daß der Feind im Abmarsch sei, war richtig, aber eine starke Macht war auf den Spicherer Bergen zurückgeblieben, und als diese angegriffen wurde, warf Frossard von Forbach aus seine ganze Schaar wieder nach der preußischen Seite. Auf der Landstraße drängte sich alles nach Stieringen und der goldenen Brenne, auch der Stieringer Wald und der Wald bei Schönecken wurde besetzt. Mittlerweile kamen immer mehr Regimenter durch die Städte, sie mußten auf verschiednen Wegen links und rechts die Höhen gewinnen, um sich nicht zu hindern. Einen besonders ernsten Eindruck machten auf uns die Krankenträger, die durch so vieles auf das bevorstehende Elend hinwiesen, von dem doch nie¬ mand etwas wissen wollte. Denn so glücklich ist der Mensch organisirt, daß, wenn ihn eine große, kraftvolle Idee erfaßt, die andern Nebengedanken für eine Weile keinen Raum in ihm finden. Die Führer trieben zur Eile, denn man hörte, daß der Feind standhalte, und die Kanonen dröhnten weithin. Im Lauf¬ schritt gings durch die Stadt, bis an die Höhe. Wir sahen, wie andre von unsern Truppen die Eisenbahnbrücke stromabwärts am Schanzenberg benutzten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/302
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/302>, abgerufen am 14.05.2024.