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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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waltet, daß bei den Deutschen, wie auch den andern germanischen Brüder-
Völkern die Frau sicherer auf die Achtung, bei jenen lieber auf das Gefallen
ihre Stellung gründet, wird wohl eingeräumt werden. Wer für die schwierige
Erklärung der Grundzüge eines Volkscharakters unter andern Gründen auch
eine Anknüpfung an das Klima oder die Landesart nicht verschmäht, in denen
das Volk die Festigung seiner Eigenart gewann, mag vielleicht in dem, was
der eine ein Mehr an Sittlichkeit nennt, nur ein Minder an Sinnlichkeit sehen,
sodaß die rauhe und feuchte Waldlandschaft, in denen das deutsche Volk gereift
ist, jene nationale Keuschheit, die Cäsar und Tacitus rühmt, wenigstens erleich¬
terte. Und mit gleichem Rechte mag man jenen Trotz und jene Kühnheit, die
sich selbst genug ist und auf die eigne gelenke Kraft vertraut, auf die kaltblütige
Gewöhnung an die Gefahren eines waldigen und sumpfigen Jagdlandcs zurück¬
führen, die in langer Folge von Geschlechtern forterbend sich befestigte. Dem
widerspricht auch nicht jener weichere Zug des Gemütes bei aller rauhen Außen¬
seite, den wir behaupteten. Er beweist sich auch in dem Verhältnis der
Sklaverei. Die persönliche Unfreiheit, die dunkelste Seite des hochgepriesenen
klassischen Altertums, hat ja auch beim deutschen Volke Jahrhunderte lang be¬
standen. Wie der Germane der Römerkriegc den Knecht auch verkaufte, so
nahm der Deutsche späterer Zeit vom kriegsgefangenen Slawen das Wort für
den Sklaven. Aber schon Tacitus hebt geflissentlich ihre mildere Haltung
hervor, wie sie den Herrn auf die Jagd begleiteten, ihre Kinder mit denen des
Herrn aufwuchsen -- ganz wie noch heute bei den holländischen Bauern des
Kaplandes die Kaffern in Dienstbarkeit stehen. Ihm schwebte dabei die Rohheit
des Römers vor, der in seinem Sklaven überhaupt kaum mehr den Menschen
sah, so sehr ihm dessen Wildling und Geschicklichkeit zu statten kam -- wobei er
vielleicht noch dem Griechen einige Zugeständnisse machen mochte --, der noch zur
Zeit ungebrochener nationaler Kraft seine Sklaven im Zwinger hielt, wie das
Tier bei Nacht in Fesseln geschlossen, bei Tag unter der Peitsche knirschend,
der den Entflohenen in den Fischteich als Futter für die Muränen stecken
konnte und im Zirkus Schaaren von Kriegsgefangenen oder aufgezogenen Fechter¬
sklaven zu seiner Augenweide sich niedermetzeln ließ. Was soll uns gegenüber
dieser Wirklichkeit das Gerede eines Cicero von der Gemeinschaft des Menschen¬
geschlechts, was er doch nur griechischen Philosophen nachschrieb? Ganz anders
ist deutsche Art von Anfang an. Mag immerhin die rechtliche Anschauung den
Knecht nur als Sache betrachten, so ist es doch gar nicht ausgemacht, in welcher
Ausdehnung diese eigentliche Knechtschaft bestand. Und bei allen Nachteilen
geminderter Freiheit, wie sich dies in der Folgezeit ausbildete, war das Ver¬
hältnis kein sittlich entwürdigendes -- wie hätte es sonst vielfach geradezu auf¬
gesucht werden können? -- und selbst als der wirtschaftliche Druck am fühl¬
barsten war, von Grund aus anders gefaßt, als etwa bei den Polen und
Russen oder selbst in dem feudalen Frankreich, wo keltische und römische Be-


waltet, daß bei den Deutschen, wie auch den andern germanischen Brüder-
Völkern die Frau sicherer auf die Achtung, bei jenen lieber auf das Gefallen
ihre Stellung gründet, wird wohl eingeräumt werden. Wer für die schwierige
Erklärung der Grundzüge eines Volkscharakters unter andern Gründen auch
eine Anknüpfung an das Klima oder die Landesart nicht verschmäht, in denen
das Volk die Festigung seiner Eigenart gewann, mag vielleicht in dem, was
der eine ein Mehr an Sittlichkeit nennt, nur ein Minder an Sinnlichkeit sehen,
sodaß die rauhe und feuchte Waldlandschaft, in denen das deutsche Volk gereift
ist, jene nationale Keuschheit, die Cäsar und Tacitus rühmt, wenigstens erleich¬
terte. Und mit gleichem Rechte mag man jenen Trotz und jene Kühnheit, die
sich selbst genug ist und auf die eigne gelenke Kraft vertraut, auf die kaltblütige
Gewöhnung an die Gefahren eines waldigen und sumpfigen Jagdlandcs zurück¬
führen, die in langer Folge von Geschlechtern forterbend sich befestigte. Dem
widerspricht auch nicht jener weichere Zug des Gemütes bei aller rauhen Außen¬
seite, den wir behaupteten. Er beweist sich auch in dem Verhältnis der
Sklaverei. Die persönliche Unfreiheit, die dunkelste Seite des hochgepriesenen
klassischen Altertums, hat ja auch beim deutschen Volke Jahrhunderte lang be¬
standen. Wie der Germane der Römerkriegc den Knecht auch verkaufte, so
nahm der Deutsche späterer Zeit vom kriegsgefangenen Slawen das Wort für
den Sklaven. Aber schon Tacitus hebt geflissentlich ihre mildere Haltung
hervor, wie sie den Herrn auf die Jagd begleiteten, ihre Kinder mit denen des
Herrn aufwuchsen — ganz wie noch heute bei den holländischen Bauern des
Kaplandes die Kaffern in Dienstbarkeit stehen. Ihm schwebte dabei die Rohheit
des Römers vor, der in seinem Sklaven überhaupt kaum mehr den Menschen
sah, so sehr ihm dessen Wildling und Geschicklichkeit zu statten kam — wobei er
vielleicht noch dem Griechen einige Zugeständnisse machen mochte —, der noch zur
Zeit ungebrochener nationaler Kraft seine Sklaven im Zwinger hielt, wie das
Tier bei Nacht in Fesseln geschlossen, bei Tag unter der Peitsche knirschend,
der den Entflohenen in den Fischteich als Futter für die Muränen stecken
konnte und im Zirkus Schaaren von Kriegsgefangenen oder aufgezogenen Fechter¬
sklaven zu seiner Augenweide sich niedermetzeln ließ. Was soll uns gegenüber
dieser Wirklichkeit das Gerede eines Cicero von der Gemeinschaft des Menschen¬
geschlechts, was er doch nur griechischen Philosophen nachschrieb? Ganz anders
ist deutsche Art von Anfang an. Mag immerhin die rechtliche Anschauung den
Knecht nur als Sache betrachten, so ist es doch gar nicht ausgemacht, in welcher
Ausdehnung diese eigentliche Knechtschaft bestand. Und bei allen Nachteilen
geminderter Freiheit, wie sich dies in der Folgezeit ausbildete, war das Ver¬
hältnis kein sittlich entwürdigendes — wie hätte es sonst vielfach geradezu auf¬
gesucht werden können? — und selbst als der wirtschaftliche Druck am fühl¬
barsten war, von Grund aus anders gefaßt, als etwa bei den Polen und
Russen oder selbst in dem feudalen Frankreich, wo keltische und römische Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/32>, abgerufen am 14.05.2024.