Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Goethes Briefe aus Italien.

Goethe seine gerühmten tiefen Gedanken aus den Schriften des Giordano Bruno
abgeschrieben habe? Es war aber auch an der Zeit! sagte er. Und dabei
zuckte es über sein Gesicht wie ein Wetterleuchten, das einen heitern Zukunfts¬
tag verspricht, einen Tag, an dem ehrliche Arbeit, bürgerliche Tugend und
wohlverbriefte Würde allein gelten werden, an dem jene übergepriesenen Über¬
menschen neben den alten ägyptischen Porphyrstatuen und andern Kolossen in den
Antiquitätenkammern verschlossen stehen werden.

Es sind jetzt hundert Jahre verflossen, seit Goethe seine Reise nach Italien
machte. Das Jahr 1787 brachte er ganz in Italien zu. Warum sollte man
sich nicht freudig daran erinnern, sich nicht von neuem der Geschenke erfreuen,
die er uns reichlich von dort heimgebracht hat? Es ist ein Fest für alle und
für jeden Einzelnen von uns, daß Goethe hundert Jahre vor uns gelebt und
gewirkt hat, sodaß der Same, den er mit segnender Hand ausstreute, Zeit hatte
zu keimen, daß wir nun Blüten sehen und uns an den reifenden Früchten er¬
quicken können.

Zuweilen gemahnt es einen, als wandelte er noch unter uns. Mißwollen
störte ihn nie; wurde er mit seinen Gaben abgewiesen, gleich brachte er neue
und reichere herbei. So überhäuft er uus noch heute, das Widerstreben in
alter Weise bekämpfend, mit unschätzbaren Geschenken. Die nun geöffneten
Schreine seines Hauses boten uns vergangnes Jahr jene merkwürdigen Briefe
an Behrisch mit der Schilderung des frühen Ausbruchs eines leidenschaftlichen
Herzens, und, als sollte des Guten kein Ende sein, werden uns zur hundert¬
jährigen Wiederkehr der Reisejahre Goethes Briefe und Tagebücher aus Italien
bescheert, aus denen er später durch Weglassen und Zusetzen die italienische Reise
zusammenstellte. Sie sind im Auftrage der Goethegesellschaft von Erich Schmidt
herausgegeben worden, mit sorgfältigen Erklärungen und einer feinen Einleitung.*)

Sie gewähren uns einen neuen Einblick in diese wichtige Periode seines
Lebens. Wo Goethe so viel des Erlebten mit allen seinen Bedingungen und
Wirkungen mitgeteilt hat, erscheint es fast verwegen, anders als mit seinen
Worten Ereignisse seines Lebens schildern zu wollen. Und doch ist es wieder
eine Pflicht, sobald uns eine neue Quelle für die Kenntnis dieses Lebens er¬
schlossen wird, darauf hinzuweisen, das Neue mit dem Bekannten zu vergleichen
und in dasselbe einzuordnen.

Goethe hatte sich, als er seine Reiseeindrücke in späteren Jahren zu jenem
bekannten Buche über die italienische Reise zusammenstellte, von seinen Freunden
die Briefe und Tagebücher, die er von Italien aus an sie gesandt hatte, zurück¬
geben lassen. Nachdem er sie ausgezogen und verarbeitet hatte, vernichtete er
einen großen Teil, mehr als die Hälfte; nur die Schriftstücke über den ersten



Tagebücher und Briefe Goethes aus Italien an Frau von Stein und Herder.
Schriften der Goethegesellschaft, im Auftrage des Vorstandes herausgegeben von Erich
Schmidt. Weimar.
Goethes Briefe aus Italien.

Goethe seine gerühmten tiefen Gedanken aus den Schriften des Giordano Bruno
abgeschrieben habe? Es war aber auch an der Zeit! sagte er. Und dabei
zuckte es über sein Gesicht wie ein Wetterleuchten, das einen heitern Zukunfts¬
tag verspricht, einen Tag, an dem ehrliche Arbeit, bürgerliche Tugend und
wohlverbriefte Würde allein gelten werden, an dem jene übergepriesenen Über¬
menschen neben den alten ägyptischen Porphyrstatuen und andern Kolossen in den
Antiquitätenkammern verschlossen stehen werden.

Es sind jetzt hundert Jahre verflossen, seit Goethe seine Reise nach Italien
machte. Das Jahr 1787 brachte er ganz in Italien zu. Warum sollte man
sich nicht freudig daran erinnern, sich nicht von neuem der Geschenke erfreuen,
die er uns reichlich von dort heimgebracht hat? Es ist ein Fest für alle und
für jeden Einzelnen von uns, daß Goethe hundert Jahre vor uns gelebt und
gewirkt hat, sodaß der Same, den er mit segnender Hand ausstreute, Zeit hatte
zu keimen, daß wir nun Blüten sehen und uns an den reifenden Früchten er¬
quicken können.

Zuweilen gemahnt es einen, als wandelte er noch unter uns. Mißwollen
störte ihn nie; wurde er mit seinen Gaben abgewiesen, gleich brachte er neue
und reichere herbei. So überhäuft er uus noch heute, das Widerstreben in
alter Weise bekämpfend, mit unschätzbaren Geschenken. Die nun geöffneten
Schreine seines Hauses boten uns vergangnes Jahr jene merkwürdigen Briefe
an Behrisch mit der Schilderung des frühen Ausbruchs eines leidenschaftlichen
Herzens, und, als sollte des Guten kein Ende sein, werden uns zur hundert¬
jährigen Wiederkehr der Reisejahre Goethes Briefe und Tagebücher aus Italien
bescheert, aus denen er später durch Weglassen und Zusetzen die italienische Reise
zusammenstellte. Sie sind im Auftrage der Goethegesellschaft von Erich Schmidt
herausgegeben worden, mit sorgfältigen Erklärungen und einer feinen Einleitung.*)

Sie gewähren uns einen neuen Einblick in diese wichtige Periode seines
Lebens. Wo Goethe so viel des Erlebten mit allen seinen Bedingungen und
Wirkungen mitgeteilt hat, erscheint es fast verwegen, anders als mit seinen
Worten Ereignisse seines Lebens schildern zu wollen. Und doch ist es wieder
eine Pflicht, sobald uns eine neue Quelle für die Kenntnis dieses Lebens er¬
schlossen wird, darauf hinzuweisen, das Neue mit dem Bekannten zu vergleichen
und in dasselbe einzuordnen.

Goethe hatte sich, als er seine Reiseeindrücke in späteren Jahren zu jenem
bekannten Buche über die italienische Reise zusammenstellte, von seinen Freunden
die Briefe und Tagebücher, die er von Italien aus an sie gesandt hatte, zurück¬
geben lassen. Nachdem er sie ausgezogen und verarbeitet hatte, vernichtete er
einen großen Teil, mehr als die Hälfte; nur die Schriftstücke über den ersten



Tagebücher und Briefe Goethes aus Italien an Frau von Stein und Herder.
Schriften der Goethegesellschaft, im Auftrage des Vorstandes herausgegeben von Erich
Schmidt. Weimar.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201113"/>
            <fw type="header" place="top"> Goethes Briefe aus Italien.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_974" prev="#ID_973"> Goethe seine gerühmten tiefen Gedanken aus den Schriften des Giordano Bruno<lb/>
abgeschrieben habe? Es war aber auch an der Zeit! sagte er. Und dabei<lb/>
zuckte es über sein Gesicht wie ein Wetterleuchten, das einen heitern Zukunfts¬<lb/>
tag verspricht, einen Tag, an dem ehrliche Arbeit, bürgerliche Tugend und<lb/>
wohlverbriefte Würde allein gelten werden, an dem jene übergepriesenen Über¬<lb/>
menschen neben den alten ägyptischen Porphyrstatuen und andern Kolossen in den<lb/>
Antiquitätenkammern verschlossen stehen werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_975"> Es sind jetzt hundert Jahre verflossen, seit Goethe seine Reise nach Italien<lb/>
machte. Das Jahr 1787 brachte er ganz in Italien zu. Warum sollte man<lb/>
sich nicht freudig daran erinnern, sich nicht von neuem der Geschenke erfreuen,<lb/>
die er uns reichlich von dort heimgebracht hat? Es ist ein Fest für alle und<lb/>
für jeden Einzelnen von uns, daß Goethe hundert Jahre vor uns gelebt und<lb/>
gewirkt hat, sodaß der Same, den er mit segnender Hand ausstreute, Zeit hatte<lb/>
zu keimen, daß wir nun Blüten sehen und uns an den reifenden Früchten er¬<lb/>
quicken können.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_976"> Zuweilen gemahnt es einen, als wandelte er noch unter uns. Mißwollen<lb/>
störte ihn nie; wurde er mit seinen Gaben abgewiesen, gleich brachte er neue<lb/>
und reichere herbei. So überhäuft er uus noch heute, das Widerstreben in<lb/>
alter Weise bekämpfend, mit unschätzbaren Geschenken. Die nun geöffneten<lb/>
Schreine seines Hauses boten uns vergangnes Jahr jene merkwürdigen Briefe<lb/>
an Behrisch mit der Schilderung des frühen Ausbruchs eines leidenschaftlichen<lb/>
Herzens, und, als sollte des Guten kein Ende sein, werden uns zur hundert¬<lb/>
jährigen Wiederkehr der Reisejahre Goethes Briefe und Tagebücher aus Italien<lb/>
bescheert, aus denen er später durch Weglassen und Zusetzen die italienische Reise<lb/>
zusammenstellte. Sie sind im Auftrage der Goethegesellschaft von Erich Schmidt<lb/>
herausgegeben worden, mit sorgfältigen Erklärungen und einer feinen Einleitung.*)</p><lb/>
            <p xml:id="ID_977"> Sie gewähren uns einen neuen Einblick in diese wichtige Periode seines<lb/>
Lebens. Wo Goethe so viel des Erlebten mit allen seinen Bedingungen und<lb/>
Wirkungen mitgeteilt hat, erscheint es fast verwegen, anders als mit seinen<lb/>
Worten Ereignisse seines Lebens schildern zu wollen. Und doch ist es wieder<lb/>
eine Pflicht, sobald uns eine neue Quelle für die Kenntnis dieses Lebens er¬<lb/>
schlossen wird, darauf hinzuweisen, das Neue mit dem Bekannten zu vergleichen<lb/>
und in dasselbe einzuordnen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_978" next="#ID_979"> Goethe hatte sich, als er seine Reiseeindrücke in späteren Jahren zu jenem<lb/>
bekannten Buche über die italienische Reise zusammenstellte, von seinen Freunden<lb/>
die Briefe und Tagebücher, die er von Italien aus an sie gesandt hatte, zurück¬<lb/>
geben lassen. Nachdem er sie ausgezogen und verarbeitet hatte, vernichtete er<lb/>
einen großen Teil, mehr als die Hälfte; nur die Schriftstücke über den ersten</p><lb/>
            <note xml:id="FID_34" place="foot"> Tagebücher und Briefe Goethes aus Italien an Frau von Stein und Herder.<lb/>
Schriften der Goethegesellschaft, im Auftrage des Vorstandes herausgegeben von Erich<lb/>
Schmidt. Weimar.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0334] Goethes Briefe aus Italien. Goethe seine gerühmten tiefen Gedanken aus den Schriften des Giordano Bruno abgeschrieben habe? Es war aber auch an der Zeit! sagte er. Und dabei zuckte es über sein Gesicht wie ein Wetterleuchten, das einen heitern Zukunfts¬ tag verspricht, einen Tag, an dem ehrliche Arbeit, bürgerliche Tugend und wohlverbriefte Würde allein gelten werden, an dem jene übergepriesenen Über¬ menschen neben den alten ägyptischen Porphyrstatuen und andern Kolossen in den Antiquitätenkammern verschlossen stehen werden. Es sind jetzt hundert Jahre verflossen, seit Goethe seine Reise nach Italien machte. Das Jahr 1787 brachte er ganz in Italien zu. Warum sollte man sich nicht freudig daran erinnern, sich nicht von neuem der Geschenke erfreuen, die er uns reichlich von dort heimgebracht hat? Es ist ein Fest für alle und für jeden Einzelnen von uns, daß Goethe hundert Jahre vor uns gelebt und gewirkt hat, sodaß der Same, den er mit segnender Hand ausstreute, Zeit hatte zu keimen, daß wir nun Blüten sehen und uns an den reifenden Früchten er¬ quicken können. Zuweilen gemahnt es einen, als wandelte er noch unter uns. Mißwollen störte ihn nie; wurde er mit seinen Gaben abgewiesen, gleich brachte er neue und reichere herbei. So überhäuft er uus noch heute, das Widerstreben in alter Weise bekämpfend, mit unschätzbaren Geschenken. Die nun geöffneten Schreine seines Hauses boten uns vergangnes Jahr jene merkwürdigen Briefe an Behrisch mit der Schilderung des frühen Ausbruchs eines leidenschaftlichen Herzens, und, als sollte des Guten kein Ende sein, werden uns zur hundert¬ jährigen Wiederkehr der Reisejahre Goethes Briefe und Tagebücher aus Italien bescheert, aus denen er später durch Weglassen und Zusetzen die italienische Reise zusammenstellte. Sie sind im Auftrage der Goethegesellschaft von Erich Schmidt herausgegeben worden, mit sorgfältigen Erklärungen und einer feinen Einleitung.*) Sie gewähren uns einen neuen Einblick in diese wichtige Periode seines Lebens. Wo Goethe so viel des Erlebten mit allen seinen Bedingungen und Wirkungen mitgeteilt hat, erscheint es fast verwegen, anders als mit seinen Worten Ereignisse seines Lebens schildern zu wollen. Und doch ist es wieder eine Pflicht, sobald uns eine neue Quelle für die Kenntnis dieses Lebens er¬ schlossen wird, darauf hinzuweisen, das Neue mit dem Bekannten zu vergleichen und in dasselbe einzuordnen. Goethe hatte sich, als er seine Reiseeindrücke in späteren Jahren zu jenem bekannten Buche über die italienische Reise zusammenstellte, von seinen Freunden die Briefe und Tagebücher, die er von Italien aus an sie gesandt hatte, zurück¬ geben lassen. Nachdem er sie ausgezogen und verarbeitet hatte, vernichtete er einen großen Teil, mehr als die Hälfte; nur die Schriftstücke über den ersten Tagebücher und Briefe Goethes aus Italien an Frau von Stein und Herder. Schriften der Goethegesellschaft, im Auftrage des Vorstandes herausgegeben von Erich Schmidt. Weimar.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/334
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/334>, abgerufen am 16.05.2024.