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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Goethes Briefe aus Italien.

Merkwürdig ist nun, wo des Tasso in der italienischen Reise zum ersten¬
male mit Bedeutung gedacht wird. Als Goethe sich anschickt, Rom zu verlassen,
schreibt er noch in den letzten Augenblicken vor der Abreise an die Stein. Der
Brief, der uns jetzt in der ursprünglichen Fassung vorliegt, hat in dem Buche eine
weitgehende Änderung erfahren. Hier lesen wir nach einleitenden Bemerkungen
über die Fortsetzung seiner Reise, die aus dein Originalbriefe beibehalten wurden,
seinen Bericht über seine Absichten, weitere Studien und Arbeiten betreffend,
wobei Tasso als die wichtigste zunächst vorzunehmende Arbeit hervorgehoben
wird, wovon im Originalbriefe nichts enthalten ist. Der Stein schreibt er im
Gegenteil, er wolle nicht eingehen auf das, was er in Rom sich zu eigen gemacht
habe; alles drängt ihn, ihr in diesem merkwürdigen Augenblicke wieder einmal
seine ganze Liebe zu bekennen, in Worten, welche über die nur zu ost besprochene
Natur dieses Verhältnisse völlige Klarheit verbreiten: "An dir hänge ich mit
allen Fasern meines Wesens. Es ist entsetzlich, was mich oft die Erinnerungen
zerreißen. Ach, liebe Lotte, du weißt nicht, welche Gewalt ich mir angethan
habe und anthue, und daß der Gedanke, dich nicht zu besitzen, mich doch im
Grunde, ich mag's nennen, stellen und legen, wie ich will, aufreibt und aufzehrt.
Ich mag meiner Liebe zu dir Formen geben, wie ich will, immer, immer --
verzeihe mir, daß ich dir wieder einmal sage, was so lange stockt und ver¬
stummt."

Nicht das erstemal, höre" wir, kann er den Ausdruck leidenschaftlicher
Sehnsucht nicht zurückhalten. Manche Stellen in früheren Briefen an die
Stein werden nun verständlich. Wie sein Tasso Leonoren, ist er mit zu kühnen
Wünschen an sie herangetreten, wenn auch im Leben nur eine oft schwer aus¬
gleichbare Verstimmung, nicht wie im Drama ewige Trennung, die Folge war.
Als Goethe für den Druck seiner Reise nach Jahren diese Briefstelle, die nicht
mitteilsam war, las, kam ihm sogleich der Tasso in den Sinn, in welchem diese
Gefühle nachgebildet sind.

In der Folge ist in den Briefen an Herder und an den Herzog häufig von
der Arbeit am Tasso die Rede, zugleich aber davon, daß er alles, was er
bisher daran gemacht habe, wegwerfen müsse. Das darf uns nicht überraschen.
War Tasso früher eine Geschichte verrateuer Freundschaft, so wird er jetzt
zum Trauerspiele der unbefriedigten Liebe. Goethe hatte in Italien eine neue
Biographie des Dichters kennen gelernt und hier die Anekdote gesunden, daß
Tasso, von Leidenschaft bezwungen, die Prinzessin einmal vor dem versammelten
Hofe geküßt habe. Das war zum Mittelpunkte der neuen Dichtung geworden,
in die er ein Bekenntnis über die zehn letzten Jahre seines Lebens legt: alle
Zweifel an einer künstlerischen Begabung, Zwang und Widerspruch seines künst¬
lerischen Gewissens gegen Hof- und Geschäftsleben, als Anfang und Ende aber
die Liebe zu jeuer Frau, der sein ganzes Wesen hinzugeben ihm für immer ver¬
sagt war. Daß ein gutes Teil seines Lebens in diesem Stücke liege, hat er


Goethes Briefe aus Italien.

Merkwürdig ist nun, wo des Tasso in der italienischen Reise zum ersten¬
male mit Bedeutung gedacht wird. Als Goethe sich anschickt, Rom zu verlassen,
schreibt er noch in den letzten Augenblicken vor der Abreise an die Stein. Der
Brief, der uns jetzt in der ursprünglichen Fassung vorliegt, hat in dem Buche eine
weitgehende Änderung erfahren. Hier lesen wir nach einleitenden Bemerkungen
über die Fortsetzung seiner Reise, die aus dein Originalbriefe beibehalten wurden,
seinen Bericht über seine Absichten, weitere Studien und Arbeiten betreffend,
wobei Tasso als die wichtigste zunächst vorzunehmende Arbeit hervorgehoben
wird, wovon im Originalbriefe nichts enthalten ist. Der Stein schreibt er im
Gegenteil, er wolle nicht eingehen auf das, was er in Rom sich zu eigen gemacht
habe; alles drängt ihn, ihr in diesem merkwürdigen Augenblicke wieder einmal
seine ganze Liebe zu bekennen, in Worten, welche über die nur zu ost besprochene
Natur dieses Verhältnisse völlige Klarheit verbreiten: „An dir hänge ich mit
allen Fasern meines Wesens. Es ist entsetzlich, was mich oft die Erinnerungen
zerreißen. Ach, liebe Lotte, du weißt nicht, welche Gewalt ich mir angethan
habe und anthue, und daß der Gedanke, dich nicht zu besitzen, mich doch im
Grunde, ich mag's nennen, stellen und legen, wie ich will, aufreibt und aufzehrt.
Ich mag meiner Liebe zu dir Formen geben, wie ich will, immer, immer —
verzeihe mir, daß ich dir wieder einmal sage, was so lange stockt und ver¬
stummt."

Nicht das erstemal, höre» wir, kann er den Ausdruck leidenschaftlicher
Sehnsucht nicht zurückhalten. Manche Stellen in früheren Briefen an die
Stein werden nun verständlich. Wie sein Tasso Leonoren, ist er mit zu kühnen
Wünschen an sie herangetreten, wenn auch im Leben nur eine oft schwer aus¬
gleichbare Verstimmung, nicht wie im Drama ewige Trennung, die Folge war.
Als Goethe für den Druck seiner Reise nach Jahren diese Briefstelle, die nicht
mitteilsam war, las, kam ihm sogleich der Tasso in den Sinn, in welchem diese
Gefühle nachgebildet sind.

In der Folge ist in den Briefen an Herder und an den Herzog häufig von
der Arbeit am Tasso die Rede, zugleich aber davon, daß er alles, was er
bisher daran gemacht habe, wegwerfen müsse. Das darf uns nicht überraschen.
War Tasso früher eine Geschichte verrateuer Freundschaft, so wird er jetzt
zum Trauerspiele der unbefriedigten Liebe. Goethe hatte in Italien eine neue
Biographie des Dichters kennen gelernt und hier die Anekdote gesunden, daß
Tasso, von Leidenschaft bezwungen, die Prinzessin einmal vor dem versammelten
Hofe geküßt habe. Das war zum Mittelpunkte der neuen Dichtung geworden,
in die er ein Bekenntnis über die zehn letzten Jahre seines Lebens legt: alle
Zweifel an einer künstlerischen Begabung, Zwang und Widerspruch seines künst¬
lerischen Gewissens gegen Hof- und Geschäftsleben, als Anfang und Ende aber
die Liebe zu jeuer Frau, der sein ganzes Wesen hinzugeben ihm für immer ver¬
sagt war. Daß ein gutes Teil seines Lebens in diesem Stücke liege, hat er


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[0343] Goethes Briefe aus Italien. Merkwürdig ist nun, wo des Tasso in der italienischen Reise zum ersten¬ male mit Bedeutung gedacht wird. Als Goethe sich anschickt, Rom zu verlassen, schreibt er noch in den letzten Augenblicken vor der Abreise an die Stein. Der Brief, der uns jetzt in der ursprünglichen Fassung vorliegt, hat in dem Buche eine weitgehende Änderung erfahren. Hier lesen wir nach einleitenden Bemerkungen über die Fortsetzung seiner Reise, die aus dein Originalbriefe beibehalten wurden, seinen Bericht über seine Absichten, weitere Studien und Arbeiten betreffend, wobei Tasso als die wichtigste zunächst vorzunehmende Arbeit hervorgehoben wird, wovon im Originalbriefe nichts enthalten ist. Der Stein schreibt er im Gegenteil, er wolle nicht eingehen auf das, was er in Rom sich zu eigen gemacht habe; alles drängt ihn, ihr in diesem merkwürdigen Augenblicke wieder einmal seine ganze Liebe zu bekennen, in Worten, welche über die nur zu ost besprochene Natur dieses Verhältnisse völlige Klarheit verbreiten: „An dir hänge ich mit allen Fasern meines Wesens. Es ist entsetzlich, was mich oft die Erinnerungen zerreißen. Ach, liebe Lotte, du weißt nicht, welche Gewalt ich mir angethan habe und anthue, und daß der Gedanke, dich nicht zu besitzen, mich doch im Grunde, ich mag's nennen, stellen und legen, wie ich will, aufreibt und aufzehrt. Ich mag meiner Liebe zu dir Formen geben, wie ich will, immer, immer — verzeihe mir, daß ich dir wieder einmal sage, was so lange stockt und ver¬ stummt." Nicht das erstemal, höre» wir, kann er den Ausdruck leidenschaftlicher Sehnsucht nicht zurückhalten. Manche Stellen in früheren Briefen an die Stein werden nun verständlich. Wie sein Tasso Leonoren, ist er mit zu kühnen Wünschen an sie herangetreten, wenn auch im Leben nur eine oft schwer aus¬ gleichbare Verstimmung, nicht wie im Drama ewige Trennung, die Folge war. Als Goethe für den Druck seiner Reise nach Jahren diese Briefstelle, die nicht mitteilsam war, las, kam ihm sogleich der Tasso in den Sinn, in welchem diese Gefühle nachgebildet sind. In der Folge ist in den Briefen an Herder und an den Herzog häufig von der Arbeit am Tasso die Rede, zugleich aber davon, daß er alles, was er bisher daran gemacht habe, wegwerfen müsse. Das darf uns nicht überraschen. War Tasso früher eine Geschichte verrateuer Freundschaft, so wird er jetzt zum Trauerspiele der unbefriedigten Liebe. Goethe hatte in Italien eine neue Biographie des Dichters kennen gelernt und hier die Anekdote gesunden, daß Tasso, von Leidenschaft bezwungen, die Prinzessin einmal vor dem versammelten Hofe geküßt habe. Das war zum Mittelpunkte der neuen Dichtung geworden, in die er ein Bekenntnis über die zehn letzten Jahre seines Lebens legt: alle Zweifel an einer künstlerischen Begabung, Zwang und Widerspruch seines künst¬ lerischen Gewissens gegen Hof- und Geschäftsleben, als Anfang und Ende aber die Liebe zu jeuer Frau, der sein ganzes Wesen hinzugeben ihm für immer ver¬ sagt war. Daß ein gutes Teil seines Lebens in diesem Stücke liege, hat er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/343>, abgerufen am 14.05.2024.