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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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nie zu Pferde gesessen. Die Artillerie war meist gebildet aus den Büchsen-
mcistern der Reichsstädte, die zwar oft genug mit deu Donnerbüchsen auf den
Wällen blinden Lärm gemacht, aber mit bespannten Geschützen noch niemals
exerzirt hatten. Schlecht war die Verpflegung, unzulänglich und unregelmäßig
die Besoldung, Zuchtlosigkeit oben und unten, und daher wahrhaft ungeheuerlich
die Fahnenflucht.

Einzelne größere Reichsfürsten hatten zwar Truppenteile gestellt, die allen
Anforderungen entsprachen, und um dem Ganzen etwas Halt zu geben, hatte
man ein österreichisches Korps beigefügt. So hatte denn der Reichsfeldherr,
Josef von Hildburghausen, etwa 34000 Manu in der Nähe von Fürth zusammen¬
gebracht und trat mit ihnen den Marsch nach Thüringen an, um "mit dem
bösen Fritzen anzubinden." Dieser brannte schon lange darauf, den Reichs¬
völkern, wie er sich ausdrückte, das vonsiliuin übsuircli zu erteilen. Er ver¬
wandelte es bei Roßbach in ein vonÄlimn eurreiM; die Reichsarmee erwarb
sich den Namen "die Reißciusarmec," und die Preußen sangen:


Und wenn der große Friedrich kommt
Und klopft nur nuf die Hosen,
So läuft die ganze Reichsarmee,
Pcmdurcu und Franzosen.

So weit war es also gekommen, daß sogar das Heer des Reiches, dessen Be¬
völkerung doch von jeher die kriegstüchtigste und die waffenfrohfte Europas
gewesen war, dastand als Spott und Hohn des Inlandes und Auslandes.

Wenn man so überblickt, in welch elendem, verrotteten Zustande sich die
Verfassung des alten Reiches und alle seine Einrichtungen befanden, so ist es
fast als ein Wunder anzusehen, daß das deutsche Volk das wieder hat werde"
können, was es heute ist, daß Deutschland nicht ebenfalls ausgeschieden ist aus
der Reihe der großen Ncitioncu, wie jenes große Slawenreich im Osten von
uns. Der polnische Reichstag ist sprichwörtlich geworden; aber war der deutsche
Reichstag zu Regensburg etwa besser? Daß die Gesandten des deutschen Reichs¬
tages jemals mitten in der Sitzung die Schwerter gezogen und im Versamm¬
lungssaale förmliche Gefechte geliefert hätten, wie das bei jenen heißblütigen
und tollköpfiger Sarmaten mehrfach vorgekommen ist, kann man den Perücken
von Regensburg zwar nicht nachsagen. Aber gewirkt und geschafft zum Nutzen des
Reiches und der Nation hat der deutsche Reichstag nicht mehr als der polnische.

Wenn dennoch das deutsche Volk vor dem schrecklichen Geschicke Polens
bewahrt geblieben ist, so beruht das hauptsächlich auf zwei Ursachen. Zunächst
steckte, trotz all des politischen Jammers, in der Gesamtheit des deutschen Volkes
immer ein tiefer und tüchtiger sittlicher Kern. Gegenüber der Verschwendung,
der Lüderlichkeit, dem Wankelmutc, der Treulosigkeit, die bei den Polen herrschten,
hatten sich die Deutschen Sparsamkeit und Arbeitsamkeit, Einfachheit und Sitt¬
lichkeit im Familienleben, Standhaftigkeit und Treue bewahrt.


nie zu Pferde gesessen. Die Artillerie war meist gebildet aus den Büchsen-
mcistern der Reichsstädte, die zwar oft genug mit deu Donnerbüchsen auf den
Wällen blinden Lärm gemacht, aber mit bespannten Geschützen noch niemals
exerzirt hatten. Schlecht war die Verpflegung, unzulänglich und unregelmäßig
die Besoldung, Zuchtlosigkeit oben und unten, und daher wahrhaft ungeheuerlich
die Fahnenflucht.

Einzelne größere Reichsfürsten hatten zwar Truppenteile gestellt, die allen
Anforderungen entsprachen, und um dem Ganzen etwas Halt zu geben, hatte
man ein österreichisches Korps beigefügt. So hatte denn der Reichsfeldherr,
Josef von Hildburghausen, etwa 34000 Manu in der Nähe von Fürth zusammen¬
gebracht und trat mit ihnen den Marsch nach Thüringen an, um „mit dem
bösen Fritzen anzubinden." Dieser brannte schon lange darauf, den Reichs¬
völkern, wie er sich ausdrückte, das vonsiliuin übsuircli zu erteilen. Er ver¬
wandelte es bei Roßbach in ein vonÄlimn eurreiM; die Reichsarmee erwarb
sich den Namen „die Reißciusarmec," und die Preußen sangen:


Und wenn der große Friedrich kommt
Und klopft nur nuf die Hosen,
So läuft die ganze Reichsarmee,
Pcmdurcu und Franzosen.

So weit war es also gekommen, daß sogar das Heer des Reiches, dessen Be¬
völkerung doch von jeher die kriegstüchtigste und die waffenfrohfte Europas
gewesen war, dastand als Spott und Hohn des Inlandes und Auslandes.

Wenn man so überblickt, in welch elendem, verrotteten Zustande sich die
Verfassung des alten Reiches und alle seine Einrichtungen befanden, so ist es
fast als ein Wunder anzusehen, daß das deutsche Volk das wieder hat werde»
können, was es heute ist, daß Deutschland nicht ebenfalls ausgeschieden ist aus
der Reihe der großen Ncitioncu, wie jenes große Slawenreich im Osten von
uns. Der polnische Reichstag ist sprichwörtlich geworden; aber war der deutsche
Reichstag zu Regensburg etwa besser? Daß die Gesandten des deutschen Reichs¬
tages jemals mitten in der Sitzung die Schwerter gezogen und im Versamm¬
lungssaale förmliche Gefechte geliefert hätten, wie das bei jenen heißblütigen
und tollköpfiger Sarmaten mehrfach vorgekommen ist, kann man den Perücken
von Regensburg zwar nicht nachsagen. Aber gewirkt und geschafft zum Nutzen des
Reiches und der Nation hat der deutsche Reichstag nicht mehr als der polnische.

Wenn dennoch das deutsche Volk vor dem schrecklichen Geschicke Polens
bewahrt geblieben ist, so beruht das hauptsächlich auf zwei Ursachen. Zunächst
steckte, trotz all des politischen Jammers, in der Gesamtheit des deutschen Volkes
immer ein tiefer und tüchtiger sittlicher Kern. Gegenüber der Verschwendung,
der Lüderlichkeit, dem Wankelmutc, der Treulosigkeit, die bei den Polen herrschten,
hatten sich die Deutschen Sparsamkeit und Arbeitsamkeit, Einfachheit und Sitt¬
lichkeit im Familienleben, Standhaftigkeit und Treue bewahrt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/368>, abgerufen am 14.05.2024.