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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Freiwillige Krankenpflege im Kriege.

eigentlich eine Folge des Grundsatzes von der allgemeinen Wehrpflicht des Volkes.
So lange geworbene Soldatenhaufen für Geld sich dem blutigen Spiel entgegen¬
führen ließen, konnte man den Mangel an Fürsorge für ihre Leiden noch etwa
notdürftig damit entschuldigen, daß es dem Tode verkaufte Gladiatoren seien, die
für uns kämpften. Jetzt aber stehen unsre Brüder im Felde, die denselben An¬
spruch auf Lebenserhaltung haben wie wir, die sich stellvertretend für uns der
Gefahr weihen, und deren Tod in jedem Falle eine unersetzliche Einbuße an geistiger
und körperlicher Volkskraft bedeutet. Darum ist es auch nichts andres als eine
folgerichtige Weiterbildung des Gedankens der allgemeinen Kriegspslicht, wenn
man alle geeigneten Leute, die aus irgend einem Grunde nicht mit der Waffe
dienen können, dem Sanitätswesen im wesentlichen unter denselben Bedingungen
zurechnet, unter denen das aktive Militär steht.

Daraus würde folgen, daß das ganze Kriegssanitätswesen eine öffentliche
obligatorische Einrichtung sei und für Freiwilligkeit in ihm ebensowenig eine Stelle
sei, wie eine solche etwa für freiwillige Artillerie zu finden sein dürfte. In der
That ist man besonders in zuständigen militärischen Kreisen nach 1371 wieder¬
holt in der Bahn dieser Gedanken gegangen. Zwar erwies es sich als un¬
möglich, die Mitarbeit der freiwilligen Krankenpflege zu verbieten, da man
schlechterdings in die Armee nicht die erforderliche große Masse nichtkämpfender
Glieder aufnehmen konnte, auch gern die pekuniäre Fiirsorge für die Heilung
der Leiden des Krieges wenigstens zu einem großen Teile der privaten Gaben¬
freudigkeit überlassen wollte. Aber man wollte doch um der strengeren Disziplin
und der größeren taktischen Beweglichkeit willen im Heere alles vermeiden, was
nicht selbst Heer sei. So kommt es, daß die jetzt maßgebende Kriegssanitäts¬
ordnung von 1873 bestimmt, die freiwillige Krankenpflege sei kein selbständiger
Faktor neben der staatlichen, und eine Mitwirkung könne ihr nur insoweit "ein¬
geräumt werden," als sie dem staatlichen Organismus eingefügt und von der
Staatsbehörde geleitet werde. Diesen Hauptsatz führt sie weiter dahin aus, daß
freiwillig künftig nur der Eintritt in das Sanitätskorps sein wird, daß aber
vom Augenblicke des Eintrittes alle Organe der privaten Hilfsbereitschaft unter
dem Zwange der Kriegsgesetze stehen, ferner, daß das Personal der freiwilligen
Krankenpflege ein sittlich hochstehendes und technisch schon hinreichend geschultes
sein soll. Schlechte Erfahrungen, welche man 1870 mit großen Scharen schnell
zusammengeraffter, sittlich zweifelhafter, praktisch fast unbrauchbarer Helfer ge¬
macht hatte, legten es nahe, diese Gesichtspunkte besonders scharf gesetzlich
festzustellen.

Auf Grund dieser Kriegssanitätsordnung wird nun von den Zentralorganen
der freiwilligen Krankenpflege unablässig auf den nächstfolgenden Krieg gerüstet,
und zwar hat sich im allgemeinen die Arbeitsteilung derart gestaltet, daß die
Johanniter während des Friedens mehr für die Bereitstellung des weiblichen,
die Landesvercine vom roten Kreuz mehr für Auswahl und Schulung des männ-


Freiwillige Krankenpflege im Kriege.

eigentlich eine Folge des Grundsatzes von der allgemeinen Wehrpflicht des Volkes.
So lange geworbene Soldatenhaufen für Geld sich dem blutigen Spiel entgegen¬
führen ließen, konnte man den Mangel an Fürsorge für ihre Leiden noch etwa
notdürftig damit entschuldigen, daß es dem Tode verkaufte Gladiatoren seien, die
für uns kämpften. Jetzt aber stehen unsre Brüder im Felde, die denselben An¬
spruch auf Lebenserhaltung haben wie wir, die sich stellvertretend für uns der
Gefahr weihen, und deren Tod in jedem Falle eine unersetzliche Einbuße an geistiger
und körperlicher Volkskraft bedeutet. Darum ist es auch nichts andres als eine
folgerichtige Weiterbildung des Gedankens der allgemeinen Kriegspslicht, wenn
man alle geeigneten Leute, die aus irgend einem Grunde nicht mit der Waffe
dienen können, dem Sanitätswesen im wesentlichen unter denselben Bedingungen
zurechnet, unter denen das aktive Militär steht.

Daraus würde folgen, daß das ganze Kriegssanitätswesen eine öffentliche
obligatorische Einrichtung sei und für Freiwilligkeit in ihm ebensowenig eine Stelle
sei, wie eine solche etwa für freiwillige Artillerie zu finden sein dürfte. In der
That ist man besonders in zuständigen militärischen Kreisen nach 1371 wieder¬
holt in der Bahn dieser Gedanken gegangen. Zwar erwies es sich als un¬
möglich, die Mitarbeit der freiwilligen Krankenpflege zu verbieten, da man
schlechterdings in die Armee nicht die erforderliche große Masse nichtkämpfender
Glieder aufnehmen konnte, auch gern die pekuniäre Fiirsorge für die Heilung
der Leiden des Krieges wenigstens zu einem großen Teile der privaten Gaben¬
freudigkeit überlassen wollte. Aber man wollte doch um der strengeren Disziplin
und der größeren taktischen Beweglichkeit willen im Heere alles vermeiden, was
nicht selbst Heer sei. So kommt es, daß die jetzt maßgebende Kriegssanitäts¬
ordnung von 1873 bestimmt, die freiwillige Krankenpflege sei kein selbständiger
Faktor neben der staatlichen, und eine Mitwirkung könne ihr nur insoweit „ein¬
geräumt werden," als sie dem staatlichen Organismus eingefügt und von der
Staatsbehörde geleitet werde. Diesen Hauptsatz führt sie weiter dahin aus, daß
freiwillig künftig nur der Eintritt in das Sanitätskorps sein wird, daß aber
vom Augenblicke des Eintrittes alle Organe der privaten Hilfsbereitschaft unter
dem Zwange der Kriegsgesetze stehen, ferner, daß das Personal der freiwilligen
Krankenpflege ein sittlich hochstehendes und technisch schon hinreichend geschultes
sein soll. Schlechte Erfahrungen, welche man 1870 mit großen Scharen schnell
zusammengeraffter, sittlich zweifelhafter, praktisch fast unbrauchbarer Helfer ge¬
macht hatte, legten es nahe, diese Gesichtspunkte besonders scharf gesetzlich
festzustellen.

Auf Grund dieser Kriegssanitätsordnung wird nun von den Zentralorganen
der freiwilligen Krankenpflege unablässig auf den nächstfolgenden Krieg gerüstet,
und zwar hat sich im allgemeinen die Arbeitsteilung derart gestaltet, daß die
Johanniter während des Friedens mehr für die Bereitstellung des weiblichen,
die Landesvercine vom roten Kreuz mehr für Auswahl und Schulung des männ-


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[0370] Freiwillige Krankenpflege im Kriege. eigentlich eine Folge des Grundsatzes von der allgemeinen Wehrpflicht des Volkes. So lange geworbene Soldatenhaufen für Geld sich dem blutigen Spiel entgegen¬ führen ließen, konnte man den Mangel an Fürsorge für ihre Leiden noch etwa notdürftig damit entschuldigen, daß es dem Tode verkaufte Gladiatoren seien, die für uns kämpften. Jetzt aber stehen unsre Brüder im Felde, die denselben An¬ spruch auf Lebenserhaltung haben wie wir, die sich stellvertretend für uns der Gefahr weihen, und deren Tod in jedem Falle eine unersetzliche Einbuße an geistiger und körperlicher Volkskraft bedeutet. Darum ist es auch nichts andres als eine folgerichtige Weiterbildung des Gedankens der allgemeinen Kriegspslicht, wenn man alle geeigneten Leute, die aus irgend einem Grunde nicht mit der Waffe dienen können, dem Sanitätswesen im wesentlichen unter denselben Bedingungen zurechnet, unter denen das aktive Militär steht. Daraus würde folgen, daß das ganze Kriegssanitätswesen eine öffentliche obligatorische Einrichtung sei und für Freiwilligkeit in ihm ebensowenig eine Stelle sei, wie eine solche etwa für freiwillige Artillerie zu finden sein dürfte. In der That ist man besonders in zuständigen militärischen Kreisen nach 1371 wieder¬ holt in der Bahn dieser Gedanken gegangen. Zwar erwies es sich als un¬ möglich, die Mitarbeit der freiwilligen Krankenpflege zu verbieten, da man schlechterdings in die Armee nicht die erforderliche große Masse nichtkämpfender Glieder aufnehmen konnte, auch gern die pekuniäre Fiirsorge für die Heilung der Leiden des Krieges wenigstens zu einem großen Teile der privaten Gaben¬ freudigkeit überlassen wollte. Aber man wollte doch um der strengeren Disziplin und der größeren taktischen Beweglichkeit willen im Heere alles vermeiden, was nicht selbst Heer sei. So kommt es, daß die jetzt maßgebende Kriegssanitäts¬ ordnung von 1873 bestimmt, die freiwillige Krankenpflege sei kein selbständiger Faktor neben der staatlichen, und eine Mitwirkung könne ihr nur insoweit „ein¬ geräumt werden," als sie dem staatlichen Organismus eingefügt und von der Staatsbehörde geleitet werde. Diesen Hauptsatz führt sie weiter dahin aus, daß freiwillig künftig nur der Eintritt in das Sanitätskorps sein wird, daß aber vom Augenblicke des Eintrittes alle Organe der privaten Hilfsbereitschaft unter dem Zwange der Kriegsgesetze stehen, ferner, daß das Personal der freiwilligen Krankenpflege ein sittlich hochstehendes und technisch schon hinreichend geschultes sein soll. Schlechte Erfahrungen, welche man 1870 mit großen Scharen schnell zusammengeraffter, sittlich zweifelhafter, praktisch fast unbrauchbarer Helfer ge¬ macht hatte, legten es nahe, diese Gesichtspunkte besonders scharf gesetzlich festzustellen. Auf Grund dieser Kriegssanitätsordnung wird nun von den Zentralorganen der freiwilligen Krankenpflege unablässig auf den nächstfolgenden Krieg gerüstet, und zwar hat sich im allgemeinen die Arbeitsteilung derart gestaltet, daß die Johanniter während des Friedens mehr für die Bereitstellung des weiblichen, die Landesvercine vom roten Kreuz mehr für Auswahl und Schulung des männ-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/370>, abgerufen am 14.05.2024.