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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Kleine und große Schulxlagon.

bisweilen zu solchen Massen an, daß schon ihr viermaliger Transport auf dem
Schulwege eine gehörige Arbeitsleistung beansprucht. Möchten doch die ma߬
gebenden Behörden auch dieser Angelegenheit einmal ernste Fürsorge widmen.
Ihre Erledigung im Sinne der vorstehenden Erörterungen scheint mir nicht gar
zu schwierig zu sein.

Wie kommt es aber, daß ein Nichtlehrer sich gedrungen fühlt, diese Dinge
zu beleuchten? Giebt es hierfür nicht berufene Organe? Gewiß, aber auem-
Äoqus äormiwt bonus Homerus, und da mag es einem Vater wohl anstehen,
die Aufmerksamkeit auf diesen oder jenen Punkt zu lenken, wo seiner Meinung
nach etwas nicht in Ordnung ist, oder die notwendige Abgrenzung der Pflichten
zwischen Schule und Haus nicht innegehalten wird. Was hat die Schule vom
Hause zu fordern? Daß die Kinder in Hochachtung vor der Schule erzogen
und bestärkt, daß sie zum regelmäßigen Schulbesuch und zum ordnungsmäßigen
Anfertigen ihrer Schularbeiten angehalten und vor Zerstreuung bewahrt werden.
Nicht aber sollen die Eltern, sei es unmittelbar oder mittelbar, genötigt werden,
der Schule vorzuarbeiten oder nachzuhelfen, so lange es sich um Kinder durch¬
schnittlicher Begabung handelt. Der Schulzwang legt den Zwang, Schule zu
halten, auf die Schultern der Lehrer, nicht der Eltern. Ich denke dabei
natürlich nicht an die allerdings in der überwiegenden Mehrzahl befindlichen
Eltern, welche der Schule mehr oder weniger gleichgiltig gegenüberstehen und
sie womöglich nur als eine die freie Verfügung über die Kinder beschränkende
Last, oder im günstigeren Falle als eine gute Einrichtung, um die Kinder für
einige Stunden los zu sein, ansehen, sondern an diejenigen, welche den Absichten
des Lehrers und den Bildungsfortschritten der Kinder mit liebevoller Aufmerk¬
samkeit nachgehen. Aber auch von diesen darf ein eigentliches Mitarbeiten an
dem täglichen Pensum nicht gefordert werden, weil sie keine Zeit dazu haben,
ohne andre Pflichten zu versäumen. Verstimmung und Überbürdung der Eltern
ist die Folge einer derartig unrichtigen Arbeitsteilung zwischen Schule und
Haus. Die Lehrer werden erwiedern: "Ja, das wollen wir auch gar nicht, die
Kinder sollen ihre Aufgaben allein erledigen." Gewiß; wenn diese Aufgaben
aber über Verständnis und Leistungsfähigkeit der Kinder hinausgehen, so tritt
jene Nötigung zur Hilfe der Eltern ein. Und dies liegt in vielen Fällen nicht
an mangelhaftem Fleiß und Auffassungsvermögen der Kinder, sondern -- ganz
offen gesagt -- an einer unzureichenden Befähigung der Lehrer, den Kleinen
Verständnis und Liebe zur Erfüllung ihrer Aufgaben beizubringen. Gewiß ist
das nicht immer leicht, es ist oft eine große Kunst, aber ich meine, dazu eben
haben wir unsre Lehrer, wie wir einen Rechtsanwalt auch nicht nur zur Er¬
ledigung zweifelloser juristischer Fragen und einen Arzt nicht nur zur Be¬
handlung solcher Krankheiten herbeirufen, die auch ohne seine Hilfe einen glück¬
lichen Verlauf zu nehmen Pflegen.

Den Mut zu dieser Aussprache finde ich einerseits in dem Bewußtsein,


Kleine und große Schulxlagon.

bisweilen zu solchen Massen an, daß schon ihr viermaliger Transport auf dem
Schulwege eine gehörige Arbeitsleistung beansprucht. Möchten doch die ma߬
gebenden Behörden auch dieser Angelegenheit einmal ernste Fürsorge widmen.
Ihre Erledigung im Sinne der vorstehenden Erörterungen scheint mir nicht gar
zu schwierig zu sein.

Wie kommt es aber, daß ein Nichtlehrer sich gedrungen fühlt, diese Dinge
zu beleuchten? Giebt es hierfür nicht berufene Organe? Gewiß, aber auem-
Äoqus äormiwt bonus Homerus, und da mag es einem Vater wohl anstehen,
die Aufmerksamkeit auf diesen oder jenen Punkt zu lenken, wo seiner Meinung
nach etwas nicht in Ordnung ist, oder die notwendige Abgrenzung der Pflichten
zwischen Schule und Haus nicht innegehalten wird. Was hat die Schule vom
Hause zu fordern? Daß die Kinder in Hochachtung vor der Schule erzogen
und bestärkt, daß sie zum regelmäßigen Schulbesuch und zum ordnungsmäßigen
Anfertigen ihrer Schularbeiten angehalten und vor Zerstreuung bewahrt werden.
Nicht aber sollen die Eltern, sei es unmittelbar oder mittelbar, genötigt werden,
der Schule vorzuarbeiten oder nachzuhelfen, so lange es sich um Kinder durch¬
schnittlicher Begabung handelt. Der Schulzwang legt den Zwang, Schule zu
halten, auf die Schultern der Lehrer, nicht der Eltern. Ich denke dabei
natürlich nicht an die allerdings in der überwiegenden Mehrzahl befindlichen
Eltern, welche der Schule mehr oder weniger gleichgiltig gegenüberstehen und
sie womöglich nur als eine die freie Verfügung über die Kinder beschränkende
Last, oder im günstigeren Falle als eine gute Einrichtung, um die Kinder für
einige Stunden los zu sein, ansehen, sondern an diejenigen, welche den Absichten
des Lehrers und den Bildungsfortschritten der Kinder mit liebevoller Aufmerk¬
samkeit nachgehen. Aber auch von diesen darf ein eigentliches Mitarbeiten an
dem täglichen Pensum nicht gefordert werden, weil sie keine Zeit dazu haben,
ohne andre Pflichten zu versäumen. Verstimmung und Überbürdung der Eltern
ist die Folge einer derartig unrichtigen Arbeitsteilung zwischen Schule und
Haus. Die Lehrer werden erwiedern: „Ja, das wollen wir auch gar nicht, die
Kinder sollen ihre Aufgaben allein erledigen." Gewiß; wenn diese Aufgaben
aber über Verständnis und Leistungsfähigkeit der Kinder hinausgehen, so tritt
jene Nötigung zur Hilfe der Eltern ein. Und dies liegt in vielen Fällen nicht
an mangelhaftem Fleiß und Auffassungsvermögen der Kinder, sondern — ganz
offen gesagt — an einer unzureichenden Befähigung der Lehrer, den Kleinen
Verständnis und Liebe zur Erfüllung ihrer Aufgaben beizubringen. Gewiß ist
das nicht immer leicht, es ist oft eine große Kunst, aber ich meine, dazu eben
haben wir unsre Lehrer, wie wir einen Rechtsanwalt auch nicht nur zur Er¬
ledigung zweifelloser juristischer Fragen und einen Arzt nicht nur zur Be¬
handlung solcher Krankheiten herbeirufen, die auch ohne seine Hilfe einen glück¬
lichen Verlauf zu nehmen Pflegen.

Den Mut zu dieser Aussprache finde ich einerseits in dem Bewußtsein,


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[0379] Kleine und große Schulxlagon. bisweilen zu solchen Massen an, daß schon ihr viermaliger Transport auf dem Schulwege eine gehörige Arbeitsleistung beansprucht. Möchten doch die ma߬ gebenden Behörden auch dieser Angelegenheit einmal ernste Fürsorge widmen. Ihre Erledigung im Sinne der vorstehenden Erörterungen scheint mir nicht gar zu schwierig zu sein. Wie kommt es aber, daß ein Nichtlehrer sich gedrungen fühlt, diese Dinge zu beleuchten? Giebt es hierfür nicht berufene Organe? Gewiß, aber auem- Äoqus äormiwt bonus Homerus, und da mag es einem Vater wohl anstehen, die Aufmerksamkeit auf diesen oder jenen Punkt zu lenken, wo seiner Meinung nach etwas nicht in Ordnung ist, oder die notwendige Abgrenzung der Pflichten zwischen Schule und Haus nicht innegehalten wird. Was hat die Schule vom Hause zu fordern? Daß die Kinder in Hochachtung vor der Schule erzogen und bestärkt, daß sie zum regelmäßigen Schulbesuch und zum ordnungsmäßigen Anfertigen ihrer Schularbeiten angehalten und vor Zerstreuung bewahrt werden. Nicht aber sollen die Eltern, sei es unmittelbar oder mittelbar, genötigt werden, der Schule vorzuarbeiten oder nachzuhelfen, so lange es sich um Kinder durch¬ schnittlicher Begabung handelt. Der Schulzwang legt den Zwang, Schule zu halten, auf die Schultern der Lehrer, nicht der Eltern. Ich denke dabei natürlich nicht an die allerdings in der überwiegenden Mehrzahl befindlichen Eltern, welche der Schule mehr oder weniger gleichgiltig gegenüberstehen und sie womöglich nur als eine die freie Verfügung über die Kinder beschränkende Last, oder im günstigeren Falle als eine gute Einrichtung, um die Kinder für einige Stunden los zu sein, ansehen, sondern an diejenigen, welche den Absichten des Lehrers und den Bildungsfortschritten der Kinder mit liebevoller Aufmerk¬ samkeit nachgehen. Aber auch von diesen darf ein eigentliches Mitarbeiten an dem täglichen Pensum nicht gefordert werden, weil sie keine Zeit dazu haben, ohne andre Pflichten zu versäumen. Verstimmung und Überbürdung der Eltern ist die Folge einer derartig unrichtigen Arbeitsteilung zwischen Schule und Haus. Die Lehrer werden erwiedern: „Ja, das wollen wir auch gar nicht, die Kinder sollen ihre Aufgaben allein erledigen." Gewiß; wenn diese Aufgaben aber über Verständnis und Leistungsfähigkeit der Kinder hinausgehen, so tritt jene Nötigung zur Hilfe der Eltern ein. Und dies liegt in vielen Fällen nicht an mangelhaftem Fleiß und Auffassungsvermögen der Kinder, sondern — ganz offen gesagt — an einer unzureichenden Befähigung der Lehrer, den Kleinen Verständnis und Liebe zur Erfüllung ihrer Aufgaben beizubringen. Gewiß ist das nicht immer leicht, es ist oft eine große Kunst, aber ich meine, dazu eben haben wir unsre Lehrer, wie wir einen Rechtsanwalt auch nicht nur zur Er¬ ledigung zweifelloser juristischer Fragen und einen Arzt nicht nur zur Be¬ handlung solcher Krankheiten herbeirufen, die auch ohne seine Hilfe einen glück¬ lichen Verlauf zu nehmen Pflegen. Den Mut zu dieser Aussprache finde ich einerseits in dem Bewußtsein,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/379>, abgerufen am 13.05.2024.