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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Wenn dort im Hühnerhofe ein Stadtknabe die Küchlein zählte, wie sie gern
gleich thun, besonders vor der Mutter, als Schulübung, wie rasch wäre er
damit fertig Und könnte die Zahl nennen. Meint matt, daß er nun von den
Küchlein mehr wüßte, als ihre Mutter? Und ebenso stünde es doch zwischen
Bädeker und dem Bibliothekar. Nein, hier wird ja wohl von dem Herren-
bewußtsein aus der Wert der Zahl und des Zählens scharf beleuchtet, und wo
die Grenze ihres Wertes ist, man kann wohl wirklich an der Hetttte für das
Denkleben lernen.

Was aber die bewußte Zahl wert ist, wenn sie dort als ganz unnötig
erscheint, auch beim Menschen erscheinen kann? Wer Bücher zU sammeln an¬
fängt, hält eine Zeit lang darauf, zu wissen, wie viel er habe, und zählt sie
von Zeit zu Zeit. Es ist ihm aber eigentlich dabei weniger UM das Wissen
zu thun, wie viel er habe, als um das Wissen, besser um das Gefühl, daß er
viel habe. Wenn es dann wirklich viel werden, hört das von selber ans, Sinn
und Zeit für das Zählen gehen ab, er kennt wohl jedes einzelne Buch genauer,
als da er zu sammeln anfing, hat auch für die einzelnen eine Neigung oder
Abneigung, Dankbarkeit und Liebe oder nicht, aber die Zahl weiß er nicht.
Tritt er damit nicht, seinen liebsten Schätzen gegenüber, in den Kreis des Be¬
wußtseins der Henne zurück? Und um bei Kindern nachzusehen, an denen für
uns Erwachsene anch so viel zu lernen ist: wenn man sich einen Knaben denkt,
der eine Schachtel mit Bleisoldaten geschenkt bekam, wird der gleich ein Be¬
dürfnis nach ihrer Zahl haben? Ich glaube nicht, wenn er nicht schon in die
Schule geht. Er schüttet sie aus und weidet sich an ihnen einzeln wie im
Ganzen, auch dnrau, daß es viel sind; er kennt bald alle einzelne genau, da
das scharfe, von Reflexion ungestörte Kinderange an ihnen doch kleine Unter¬
schiede sieht, aber die benannte Zahl braucht er für sich nicht. Zählen wird
er sie erst, werde ihn etwa die Mutter dazu auffordert, zu zeigen, daß er anch
zählen lernt, oder -- wenn etwa ein kleiner Freund auch eine solche Schachtel
hat, und es kommt die Frage an ihn, ob der mehr hat oder er. Erst war
ihm das allgemeine Viel genug, nun wird ihm das Wieviel wichtig. Ob das
ihn aber in sich und an seinem Schatze glücklicher macht? Schwerlich, er sieht
ja nun weniger auf seine schönen Soldaten, wie sie sind, als auf etwas, das
gleichsam über ihnen schwebt, ihr Verhältnis zu denen des Freundes, es legt
sich ihm etwas darüber, was die Soldaten selbst gar nichts angeht und sie ihm
eigentlich entfremden will -- der liebe Kampf des Lebens beginnt für ihn
damit, die Frage nach dem Mein und Dein, an der sich dann der Charakter
weiter zU entwickeln hat. Davon bleibt die Henne frei, wenn sie auch sonst
ihren Lebenskampf hat. Und welch kahles Ding ist die bloße Zahl, die ihn
nun glücklich machen soll. Das kaun wohl auch ein Vergleich zwischen dem
Knaben und der Henne beleuchten. Wenn dieser von ihren Kindern eins oder
das andere verloren ginge, und man wollte ihr zum Trost ein anderes unter-


Wenn dort im Hühnerhofe ein Stadtknabe die Küchlein zählte, wie sie gern
gleich thun, besonders vor der Mutter, als Schulübung, wie rasch wäre er
damit fertig Und könnte die Zahl nennen. Meint matt, daß er nun von den
Küchlein mehr wüßte, als ihre Mutter? Und ebenso stünde es doch zwischen
Bädeker und dem Bibliothekar. Nein, hier wird ja wohl von dem Herren-
bewußtsein aus der Wert der Zahl und des Zählens scharf beleuchtet, und wo
die Grenze ihres Wertes ist, man kann wohl wirklich an der Hetttte für das
Denkleben lernen.

Was aber die bewußte Zahl wert ist, wenn sie dort als ganz unnötig
erscheint, auch beim Menschen erscheinen kann? Wer Bücher zU sammeln an¬
fängt, hält eine Zeit lang darauf, zu wissen, wie viel er habe, und zählt sie
von Zeit zu Zeit. Es ist ihm aber eigentlich dabei weniger UM das Wissen
zu thun, wie viel er habe, als um das Wissen, besser um das Gefühl, daß er
viel habe. Wenn es dann wirklich viel werden, hört das von selber ans, Sinn
und Zeit für das Zählen gehen ab, er kennt wohl jedes einzelne Buch genauer,
als da er zu sammeln anfing, hat auch für die einzelnen eine Neigung oder
Abneigung, Dankbarkeit und Liebe oder nicht, aber die Zahl weiß er nicht.
Tritt er damit nicht, seinen liebsten Schätzen gegenüber, in den Kreis des Be¬
wußtseins der Henne zurück? Und um bei Kindern nachzusehen, an denen für
uns Erwachsene anch so viel zu lernen ist: wenn man sich einen Knaben denkt,
der eine Schachtel mit Bleisoldaten geschenkt bekam, wird der gleich ein Be¬
dürfnis nach ihrer Zahl haben? Ich glaube nicht, wenn er nicht schon in die
Schule geht. Er schüttet sie aus und weidet sich an ihnen einzeln wie im
Ganzen, auch dnrau, daß es viel sind; er kennt bald alle einzelne genau, da
das scharfe, von Reflexion ungestörte Kinderange an ihnen doch kleine Unter¬
schiede sieht, aber die benannte Zahl braucht er für sich nicht. Zählen wird
er sie erst, werde ihn etwa die Mutter dazu auffordert, zu zeigen, daß er anch
zählen lernt, oder — wenn etwa ein kleiner Freund auch eine solche Schachtel
hat, und es kommt die Frage an ihn, ob der mehr hat oder er. Erst war
ihm das allgemeine Viel genug, nun wird ihm das Wieviel wichtig. Ob das
ihn aber in sich und an seinem Schatze glücklicher macht? Schwerlich, er sieht
ja nun weniger auf seine schönen Soldaten, wie sie sind, als auf etwas, das
gleichsam über ihnen schwebt, ihr Verhältnis zu denen des Freundes, es legt
sich ihm etwas darüber, was die Soldaten selbst gar nichts angeht und sie ihm
eigentlich entfremden will — der liebe Kampf des Lebens beginnt für ihn
damit, die Frage nach dem Mein und Dein, an der sich dann der Charakter
weiter zU entwickeln hat. Davon bleibt die Henne frei, wenn sie auch sonst
ihren Lebenskampf hat. Und welch kahles Ding ist die bloße Zahl, die ihn
nun glücklich machen soll. Das kaun wohl auch ein Vergleich zwischen dem
Knaben und der Henne beleuchten. Wenn dieser von ihren Kindern eins oder
das andere verloren ginge, und man wollte ihr zum Trost ein anderes unter-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/38>, abgerufen am 14.05.2024.