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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Ranke als Tagesxolitikcr,

Mommsen nachgesehen, daß er die Juden als ein zersetzendes Element im Volke
bezeichnet hatte. Bei seinen Beleidigungen gegen den Reichskanzler Pries man
seine vom Heroenkultus freie Gesinnung und vergaß seinen Dithyrambus auf Cäsar.

Ganz anders Ranke; er hat sich niemals in die Arena begeben, um den Beifall
des süßen Pöbels zu erringen, und so kam es, daß der größte Historiker, den
Deutschland besessen hat, der Menge unbekannt blieb. Während für Virchow
und Mommsen lärmende politische Demonstrationen in Szene gesetzt wurden,
blieb Ranke Jahrzehnte lang von seinen Mitbürgern unbeachtet. Seine Lehren
und seine Schriften wirkten nur auf den großen Kreis seiner Schüler und auf
den kleinern der Gebildeten in der Nation, welche ebenso Belehrung wie Genuß
aus der vornehmen Objektivität schöpften, die für Rankes Arbeiten charakte¬
ristisch ist.

Ranke hat sich zwar nicht immer von der Tagespolitik fern gehalten, aber
sein Eintreten war wiederum nur das des Gelehrten, der innerhalb seines eignen
Feldes und allein mit den ihm eignen Waffen der wissenschaftlichen Überzeugung
seine Meinung darlegt. Diese bisher nicht völlig bekannte Thätigkeit Rankes
ist jetzt in dankenswerter Weise in dem von Alfred Dove herausgegebenen (bei
Duncker und Humblot) erschienenen Bande nachgelassener Schriften: Zur Ge¬
schichte Deutschlands und Frankreichs im neunzehnten Jahrhundert
im Zusammenhang der Öffentlichkeit übergeben worden.

Der größte Teil des Inhalts dieses Bandes war allerdings schon bekannt.
Diejenigen Aufsätze, welche sich auf die deutsch-französischen Verhältnisse be¬
ziehen, sind in den beiden Bänden der von Ranke 1832 bis 1836 heraus¬
gegebene" "Historisch-Politischen Zeitschrift" erschienen. Damals war die Absicht
der Mittelpartei, durch Herausgabe einer solchen Zeitschrift in allgemeinen Auf¬
sätze" klärend und belehrend für die von rechts und links bekämpfte preußische
Politik einzutreten. Von beiden Seiten wurde diese Zeitschrift heftig angegriffen,
und es zeigte sich nur zu bald, daß die vornehme Höhe, auf der sie sich hielt,
keine populäre Wirkung äußern konnte. Es zeigte sich aber auch, daß Ranke
selbst nicht der Mann war, um in die Tagespolitik herunterzusteigen; die von
ihm der Zeitschrift überlieferten Aufsätze sind wesentlich historische und betreffen
die äußern politischen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, für welche damals
bei dem Drange nach einer Lösung der innern Verfassungsfragen nach dem be¬
liebten französischen Muster nicht viel Anklang zu finden war.

Auch der zweite Teil des Bandes, welcher den Briefwechsel Friedrich
Wilhelms IV. mit Bunsen betrifft, ist schon 1873 veröffentlicht worden und
sollte als Vorstudie zu den: Leben des vielgeprüften Königs dienen.

Zum erstenmale dagegen werden hier acht politische Denkschriften aus den
Jahren 1848 bis 1851 veröffentlicht, welche für Friedrich Wilhelm IV. bestimmt
und an dessen Flügeladjutanten, den nachmaligen Statthalter in Elsaß-Loth¬
ringen, Freiherrn von Manteuffel, gerichtet waren. Diese Denkschriften beziehen


Ranke als Tagesxolitikcr,

Mommsen nachgesehen, daß er die Juden als ein zersetzendes Element im Volke
bezeichnet hatte. Bei seinen Beleidigungen gegen den Reichskanzler Pries man
seine vom Heroenkultus freie Gesinnung und vergaß seinen Dithyrambus auf Cäsar.

Ganz anders Ranke; er hat sich niemals in die Arena begeben, um den Beifall
des süßen Pöbels zu erringen, und so kam es, daß der größte Historiker, den
Deutschland besessen hat, der Menge unbekannt blieb. Während für Virchow
und Mommsen lärmende politische Demonstrationen in Szene gesetzt wurden,
blieb Ranke Jahrzehnte lang von seinen Mitbürgern unbeachtet. Seine Lehren
und seine Schriften wirkten nur auf den großen Kreis seiner Schüler und auf
den kleinern der Gebildeten in der Nation, welche ebenso Belehrung wie Genuß
aus der vornehmen Objektivität schöpften, die für Rankes Arbeiten charakte¬
ristisch ist.

Ranke hat sich zwar nicht immer von der Tagespolitik fern gehalten, aber
sein Eintreten war wiederum nur das des Gelehrten, der innerhalb seines eignen
Feldes und allein mit den ihm eignen Waffen der wissenschaftlichen Überzeugung
seine Meinung darlegt. Diese bisher nicht völlig bekannte Thätigkeit Rankes
ist jetzt in dankenswerter Weise in dem von Alfred Dove herausgegebenen (bei
Duncker und Humblot) erschienenen Bande nachgelassener Schriften: Zur Ge¬
schichte Deutschlands und Frankreichs im neunzehnten Jahrhundert
im Zusammenhang der Öffentlichkeit übergeben worden.

Der größte Teil des Inhalts dieses Bandes war allerdings schon bekannt.
Diejenigen Aufsätze, welche sich auf die deutsch-französischen Verhältnisse be¬
ziehen, sind in den beiden Bänden der von Ranke 1832 bis 1836 heraus¬
gegebene» „Historisch-Politischen Zeitschrift" erschienen. Damals war die Absicht
der Mittelpartei, durch Herausgabe einer solchen Zeitschrift in allgemeinen Auf¬
sätze» klärend und belehrend für die von rechts und links bekämpfte preußische
Politik einzutreten. Von beiden Seiten wurde diese Zeitschrift heftig angegriffen,
und es zeigte sich nur zu bald, daß die vornehme Höhe, auf der sie sich hielt,
keine populäre Wirkung äußern konnte. Es zeigte sich aber auch, daß Ranke
selbst nicht der Mann war, um in die Tagespolitik herunterzusteigen; die von
ihm der Zeitschrift überlieferten Aufsätze sind wesentlich historische und betreffen
die äußern politischen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, für welche damals
bei dem Drange nach einer Lösung der innern Verfassungsfragen nach dem be¬
liebten französischen Muster nicht viel Anklang zu finden war.

Auch der zweite Teil des Bandes, welcher den Briefwechsel Friedrich
Wilhelms IV. mit Bunsen betrifft, ist schon 1873 veröffentlicht worden und
sollte als Vorstudie zu den: Leben des vielgeprüften Königs dienen.

Zum erstenmale dagegen werden hier acht politische Denkschriften aus den
Jahren 1848 bis 1851 veröffentlicht, welche für Friedrich Wilhelm IV. bestimmt
und an dessen Flügeladjutanten, den nachmaligen Statthalter in Elsaß-Loth¬
ringen, Freiherrn von Manteuffel, gerichtet waren. Diese Denkschriften beziehen


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[0410] Ranke als Tagesxolitikcr, Mommsen nachgesehen, daß er die Juden als ein zersetzendes Element im Volke bezeichnet hatte. Bei seinen Beleidigungen gegen den Reichskanzler Pries man seine vom Heroenkultus freie Gesinnung und vergaß seinen Dithyrambus auf Cäsar. Ganz anders Ranke; er hat sich niemals in die Arena begeben, um den Beifall des süßen Pöbels zu erringen, und so kam es, daß der größte Historiker, den Deutschland besessen hat, der Menge unbekannt blieb. Während für Virchow und Mommsen lärmende politische Demonstrationen in Szene gesetzt wurden, blieb Ranke Jahrzehnte lang von seinen Mitbürgern unbeachtet. Seine Lehren und seine Schriften wirkten nur auf den großen Kreis seiner Schüler und auf den kleinern der Gebildeten in der Nation, welche ebenso Belehrung wie Genuß aus der vornehmen Objektivität schöpften, die für Rankes Arbeiten charakte¬ ristisch ist. Ranke hat sich zwar nicht immer von der Tagespolitik fern gehalten, aber sein Eintreten war wiederum nur das des Gelehrten, der innerhalb seines eignen Feldes und allein mit den ihm eignen Waffen der wissenschaftlichen Überzeugung seine Meinung darlegt. Diese bisher nicht völlig bekannte Thätigkeit Rankes ist jetzt in dankenswerter Weise in dem von Alfred Dove herausgegebenen (bei Duncker und Humblot) erschienenen Bande nachgelassener Schriften: Zur Ge¬ schichte Deutschlands und Frankreichs im neunzehnten Jahrhundert im Zusammenhang der Öffentlichkeit übergeben worden. Der größte Teil des Inhalts dieses Bandes war allerdings schon bekannt. Diejenigen Aufsätze, welche sich auf die deutsch-französischen Verhältnisse be¬ ziehen, sind in den beiden Bänden der von Ranke 1832 bis 1836 heraus¬ gegebene» „Historisch-Politischen Zeitschrift" erschienen. Damals war die Absicht der Mittelpartei, durch Herausgabe einer solchen Zeitschrift in allgemeinen Auf¬ sätze» klärend und belehrend für die von rechts und links bekämpfte preußische Politik einzutreten. Von beiden Seiten wurde diese Zeitschrift heftig angegriffen, und es zeigte sich nur zu bald, daß die vornehme Höhe, auf der sie sich hielt, keine populäre Wirkung äußern konnte. Es zeigte sich aber auch, daß Ranke selbst nicht der Mann war, um in die Tagespolitik herunterzusteigen; die von ihm der Zeitschrift überlieferten Aufsätze sind wesentlich historische und betreffen die äußern politischen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit, für welche damals bei dem Drange nach einer Lösung der innern Verfassungsfragen nach dem be¬ liebten französischen Muster nicht viel Anklang zu finden war. Auch der zweite Teil des Bandes, welcher den Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen betrifft, ist schon 1873 veröffentlicht worden und sollte als Vorstudie zu den: Leben des vielgeprüften Königs dienen. Zum erstenmale dagegen werden hier acht politische Denkschriften aus den Jahren 1848 bis 1851 veröffentlicht, welche für Friedrich Wilhelm IV. bestimmt und an dessen Flügeladjutanten, den nachmaligen Statthalter in Elsaß-Loth¬ ringen, Freiherrn von Manteuffel, gerichtet waren. Diese Denkschriften beziehen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/410>, abgerufen am 15.05.2024.