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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Ranke als Tagospolitiker.

leicht das Recht auf Arbeit anerkennen sollte." Es ist in der That staunens¬
wert und mehr als Zufall, daß sich auch auf dem schwierigsten Gebiete der
sozialen Frage Deutschlands -größter Historiker und größter Staatsmann be¬
gegnen, daß ihren Gedanken sogar dasselbe Schlagwort "Recht auf Arbeit"
entspringt. Freilich geht Ranke nicht näher auf diesen inhaltreichen Satz
ein. Die "Negulnrisiruug der Thätigkeit der Handarbeiter" hat er noch
nicht völlig durchdacht; er spricht nur von einer Organisirung der dienstpflich¬
tigen Arbeiter in Friedenszeiten bei öffentlichen Bauten u. dergl. Aber sein
Gedanke enthält das großartige sozialpolitische Programm, welches der Reichs¬
kanzler in eine Wirklichkeit gebracht hat, wie sie Ranke kaum in seinen kühnsten
Erwartungen für möglich gehalten hat.

Auch Rankes Ansicht über die deutsche Frage ist eine ganz besondre und
eine solche, wie sie sich nachträglich verwirklicht hat. Es sind nicht billige
Prophezeiungen, die g, 1a Virchow ebenso kühn ausgesprochen werden, als sie
nicht eintreffen. Es ist die Überzeugung des prüfenden Historikers, der die Auf¬
gabe Preußens begriffen hat. In jener Zeit, wo die Reaktion des Jahres 1851
in dein Anschluß an Österreich das einzige Heil Deutschlands sieht, ist es
Ranke, der eine solche Verbindung bekämpft; in seiner Ansicht über den Aus¬
schluß vou Österreich und über die Unterordnung der kleinen deutschen Fürsten
unter preußischen Oberbefehl begegnet sich wiederum Ranke mit der Politik Wis¬
marers am Bundestage.

Es würde zu weit führen, hier die einzelnen Stationen zu beleuchten, die
Ranke bei den wechselnden Phasen der preußischen Politik durchmachte, um
seinem Könige die erbetene Beleuchtung der politischen Verhältnisse zu geben.
Es ist aber herzerfreuend, aus seinen Denkschriften zu sehen, wie er nicht einen
Augenblick den preußischen Beruf in Deutschland verkannt, nicht einen Augen¬
blick die unveräußerlichen Rechte Preußens dem Drange der Verhältnisse ge¬
opfert hat.

Diese Denkschriften bilden einen lebendigen Kommentar zu einer Äußerung
des Reichskanzlers, die er den Erben Rankes gegenüber gethan hat. Wenn er
nach dem Tode des großen Historikers den Söhnen desselben schrieb: "Ich
bin mit Ihrem Herrn Vater aufs innigste verbunden gewesen durch die Ge¬
meinsamkeit der politischen Gesiminngen," so erhält dieser Ausspruch durch die
jetzt veröffentlichten Denkschriften eine bisher nicht bekannte Grundlage.

Für uns aber ist es eine ganz besondre Genugthuung, diese Übereinstim¬
mung zwischen dem größten Geschichtschreiber und dem größten Staatsmanne,
die das deutsche Volk besessen hat, auch urkundlich bestätigt zu sehen. Diese Genug¬
thuung ist umso größer, je seltener in der Geschichte und der Politik Theorie und
Praxis sich begegnen. Hat Alexander der Große den Achill beneidet, weil er in
Homer den Herold seiner Thaten gefunden hatte, so darf Fürst Bismarck Be¬
friedigung empfinden, daß das, was er für Preußen und Deutschland, für die


Ranke als Tagospolitiker.

leicht das Recht auf Arbeit anerkennen sollte." Es ist in der That staunens¬
wert und mehr als Zufall, daß sich auch auf dem schwierigsten Gebiete der
sozialen Frage Deutschlands -größter Historiker und größter Staatsmann be¬
gegnen, daß ihren Gedanken sogar dasselbe Schlagwort „Recht auf Arbeit"
entspringt. Freilich geht Ranke nicht näher auf diesen inhaltreichen Satz
ein. Die „Negulnrisiruug der Thätigkeit der Handarbeiter" hat er noch
nicht völlig durchdacht; er spricht nur von einer Organisirung der dienstpflich¬
tigen Arbeiter in Friedenszeiten bei öffentlichen Bauten u. dergl. Aber sein
Gedanke enthält das großartige sozialpolitische Programm, welches der Reichs¬
kanzler in eine Wirklichkeit gebracht hat, wie sie Ranke kaum in seinen kühnsten
Erwartungen für möglich gehalten hat.

Auch Rankes Ansicht über die deutsche Frage ist eine ganz besondre und
eine solche, wie sie sich nachträglich verwirklicht hat. Es sind nicht billige
Prophezeiungen, die g, 1a Virchow ebenso kühn ausgesprochen werden, als sie
nicht eintreffen. Es ist die Überzeugung des prüfenden Historikers, der die Auf¬
gabe Preußens begriffen hat. In jener Zeit, wo die Reaktion des Jahres 1851
in dein Anschluß an Österreich das einzige Heil Deutschlands sieht, ist es
Ranke, der eine solche Verbindung bekämpft; in seiner Ansicht über den Aus¬
schluß vou Österreich und über die Unterordnung der kleinen deutschen Fürsten
unter preußischen Oberbefehl begegnet sich wiederum Ranke mit der Politik Wis¬
marers am Bundestage.

Es würde zu weit führen, hier die einzelnen Stationen zu beleuchten, die
Ranke bei den wechselnden Phasen der preußischen Politik durchmachte, um
seinem Könige die erbetene Beleuchtung der politischen Verhältnisse zu geben.
Es ist aber herzerfreuend, aus seinen Denkschriften zu sehen, wie er nicht einen
Augenblick den preußischen Beruf in Deutschland verkannt, nicht einen Augen¬
blick die unveräußerlichen Rechte Preußens dem Drange der Verhältnisse ge¬
opfert hat.

Diese Denkschriften bilden einen lebendigen Kommentar zu einer Äußerung
des Reichskanzlers, die er den Erben Rankes gegenüber gethan hat. Wenn er
nach dem Tode des großen Historikers den Söhnen desselben schrieb: „Ich
bin mit Ihrem Herrn Vater aufs innigste verbunden gewesen durch die Ge¬
meinsamkeit der politischen Gesiminngen," so erhält dieser Ausspruch durch die
jetzt veröffentlichten Denkschriften eine bisher nicht bekannte Grundlage.

Für uns aber ist es eine ganz besondre Genugthuung, diese Übereinstim¬
mung zwischen dem größten Geschichtschreiber und dem größten Staatsmanne,
die das deutsche Volk besessen hat, auch urkundlich bestätigt zu sehen. Diese Genug¬
thuung ist umso größer, je seltener in der Geschichte und der Politik Theorie und
Praxis sich begegnen. Hat Alexander der Große den Achill beneidet, weil er in
Homer den Herold seiner Thaten gefunden hatte, so darf Fürst Bismarck Be¬
friedigung empfinden, daß das, was er für Preußen und Deutschland, für die


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[0412] Ranke als Tagospolitiker. leicht das Recht auf Arbeit anerkennen sollte." Es ist in der That staunens¬ wert und mehr als Zufall, daß sich auch auf dem schwierigsten Gebiete der sozialen Frage Deutschlands -größter Historiker und größter Staatsmann be¬ gegnen, daß ihren Gedanken sogar dasselbe Schlagwort „Recht auf Arbeit" entspringt. Freilich geht Ranke nicht näher auf diesen inhaltreichen Satz ein. Die „Negulnrisiruug der Thätigkeit der Handarbeiter" hat er noch nicht völlig durchdacht; er spricht nur von einer Organisirung der dienstpflich¬ tigen Arbeiter in Friedenszeiten bei öffentlichen Bauten u. dergl. Aber sein Gedanke enthält das großartige sozialpolitische Programm, welches der Reichs¬ kanzler in eine Wirklichkeit gebracht hat, wie sie Ranke kaum in seinen kühnsten Erwartungen für möglich gehalten hat. Auch Rankes Ansicht über die deutsche Frage ist eine ganz besondre und eine solche, wie sie sich nachträglich verwirklicht hat. Es sind nicht billige Prophezeiungen, die g, 1a Virchow ebenso kühn ausgesprochen werden, als sie nicht eintreffen. Es ist die Überzeugung des prüfenden Historikers, der die Auf¬ gabe Preußens begriffen hat. In jener Zeit, wo die Reaktion des Jahres 1851 in dein Anschluß an Österreich das einzige Heil Deutschlands sieht, ist es Ranke, der eine solche Verbindung bekämpft; in seiner Ansicht über den Aus¬ schluß vou Österreich und über die Unterordnung der kleinen deutschen Fürsten unter preußischen Oberbefehl begegnet sich wiederum Ranke mit der Politik Wis¬ marers am Bundestage. Es würde zu weit führen, hier die einzelnen Stationen zu beleuchten, die Ranke bei den wechselnden Phasen der preußischen Politik durchmachte, um seinem Könige die erbetene Beleuchtung der politischen Verhältnisse zu geben. Es ist aber herzerfreuend, aus seinen Denkschriften zu sehen, wie er nicht einen Augenblick den preußischen Beruf in Deutschland verkannt, nicht einen Augen¬ blick die unveräußerlichen Rechte Preußens dem Drange der Verhältnisse ge¬ opfert hat. Diese Denkschriften bilden einen lebendigen Kommentar zu einer Äußerung des Reichskanzlers, die er den Erben Rankes gegenüber gethan hat. Wenn er nach dem Tode des großen Historikers den Söhnen desselben schrieb: „Ich bin mit Ihrem Herrn Vater aufs innigste verbunden gewesen durch die Ge¬ meinsamkeit der politischen Gesiminngen," so erhält dieser Ausspruch durch die jetzt veröffentlichten Denkschriften eine bisher nicht bekannte Grundlage. Für uns aber ist es eine ganz besondre Genugthuung, diese Übereinstim¬ mung zwischen dem größten Geschichtschreiber und dem größten Staatsmanne, die das deutsche Volk besessen hat, auch urkundlich bestätigt zu sehen. Diese Genug¬ thuung ist umso größer, je seltener in der Geschichte und der Politik Theorie und Praxis sich begegnen. Hat Alexander der Große den Achill beneidet, weil er in Homer den Herold seiner Thaten gefunden hatte, so darf Fürst Bismarck Be¬ friedigung empfinden, daß das, was er für Preußen und Deutschland, für die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/412>, abgerufen am 13.05.2024.