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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Zweikampf und Strafgesetz.

Von den Parteien einander stillschweigend gewährte Einwilligung, daß innerhalb
der hergebrachten und der für den bestimmten Fall vereinbarten Regeln jeder
den andern verletzen darf, begründen den himmelweiter Unterschied zwischen der
Strafbarkeit einer im Zweikampf und einer bei andrer Gelegenheit einem
Menschen beigebrachten Verletzung. Der rohe Geselle, welcher einen harmlosen
Wanderer mit dem Knotenstocke überfällt, hat diesen nicht vorher gefragt, ob
er mit dem Überfall einverstanden sei; er hat ihm auch nicht zur Gegenwehr
einen gleichen Knotenstock in die Hand gedrückt; er hat auch keinen Unparteiischen
bestellt, welcher dafür sorgen soll, daß Licht und Sonne gleich verteilt sind.
Der Duellant dagegen, welcher seinen schuldlosen, friedliebenden Gegner im
Zweikampf tötet, hätte diesem kein Haar gekrümmt, wenn er nicht einge¬
willigt und wenn nicht zuvor ein von beiden Teilen gleich anerkannter Ehren¬
mann für gleiche Waffen und gleiche Verteilung aller Vorteile und Nachteile
gesorgt hätte. Unter Berücksichtigung dieser Umstände wird man selbst für die
schwersten Fälle der "Tötung im Zweikampf" eine weit mildere Strafe, als
sie dem gemeinen Mörder gebührt, für gerecht anerkennen müssen. Daß ander¬
seits auch derjenige, welcher zum Zweikampf ohne Verschulden gedrängt worden
ist, Strafe verdient, weil er sich gegen die öffentliche Ordnung vergangen hat, daß
mithin seine Freisprechung gänzlich ungerechtfertigt wäre, geht aus dein oben
gesagten hervor.

Die Folgen einer Aufhebung der Duellparagraphen würden aber auch ganz
andre sein, als die Vorkämpfer einer solchen Maßregel glaube". Würde den
im Zweikampfe enthaltenen, gegen Leib oder Leben gerichteten Handlungen der
Schutz jener Paragraphen entzogen, so würde sich der Richter genötigt sehen,
sie nach den Bestimmungen des Reichsstrafgesetzbuches über die Verbrechen gegen
Leib und Leben (Sechzehnter und Siebzehnter Abschnitt) zu beurteilen. Denn
würde er aber nur in den seltensten, und zwar keineswegs gerade in den
schwersten Fällen zu einer Verurteilung kommen, da beiden Parteien fast
immer der Notwehrparagraph*) zur Seite stünde.

Angriffe gegen Leib oder Leben eines Menschen sind rechtswidrig ohne
Rücksicht darauf, ob sie von einem leichtfertigen oder von einem friedliebenden
Menschen ausgehen, und bleiben es auch dem gegenüber, der auf die Unver¬
letzlichkeit der eignen Person verzichtet. Denn das Gesetz erkennt einen solchen
Verzicht so wenig an, daß es sogar das "ausdrückliche und ernste Verlangen"
eines Menschen, getötet zu werden, nicht als Strafausschließnngsgrund.für den¬
jenigen gelten läßt, welcher diesem Verlangen nachkommt (§ 216). Sobald ein
Duellant die Pistole zum Schuß gegen seinen Gegner erhebt, oder sobald der



*) Die beiden ersten Absätze des Z S3 lauten: "Eine strafbare Handlung ist nicht vor¬
handen, wenn die Handlung durch Notwehr geboten war. Notwehr ist diejenige Verteidigung,
welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem
andern abzutuenden."
Zweikampf und Strafgesetz.

Von den Parteien einander stillschweigend gewährte Einwilligung, daß innerhalb
der hergebrachten und der für den bestimmten Fall vereinbarten Regeln jeder
den andern verletzen darf, begründen den himmelweiter Unterschied zwischen der
Strafbarkeit einer im Zweikampf und einer bei andrer Gelegenheit einem
Menschen beigebrachten Verletzung. Der rohe Geselle, welcher einen harmlosen
Wanderer mit dem Knotenstocke überfällt, hat diesen nicht vorher gefragt, ob
er mit dem Überfall einverstanden sei; er hat ihm auch nicht zur Gegenwehr
einen gleichen Knotenstock in die Hand gedrückt; er hat auch keinen Unparteiischen
bestellt, welcher dafür sorgen soll, daß Licht und Sonne gleich verteilt sind.
Der Duellant dagegen, welcher seinen schuldlosen, friedliebenden Gegner im
Zweikampf tötet, hätte diesem kein Haar gekrümmt, wenn er nicht einge¬
willigt und wenn nicht zuvor ein von beiden Teilen gleich anerkannter Ehren¬
mann für gleiche Waffen und gleiche Verteilung aller Vorteile und Nachteile
gesorgt hätte. Unter Berücksichtigung dieser Umstände wird man selbst für die
schwersten Fälle der „Tötung im Zweikampf" eine weit mildere Strafe, als
sie dem gemeinen Mörder gebührt, für gerecht anerkennen müssen. Daß ander¬
seits auch derjenige, welcher zum Zweikampf ohne Verschulden gedrängt worden
ist, Strafe verdient, weil er sich gegen die öffentliche Ordnung vergangen hat, daß
mithin seine Freisprechung gänzlich ungerechtfertigt wäre, geht aus dein oben
gesagten hervor.

Die Folgen einer Aufhebung der Duellparagraphen würden aber auch ganz
andre sein, als die Vorkämpfer einer solchen Maßregel glaube». Würde den
im Zweikampfe enthaltenen, gegen Leib oder Leben gerichteten Handlungen der
Schutz jener Paragraphen entzogen, so würde sich der Richter genötigt sehen,
sie nach den Bestimmungen des Reichsstrafgesetzbuches über die Verbrechen gegen
Leib und Leben (Sechzehnter und Siebzehnter Abschnitt) zu beurteilen. Denn
würde er aber nur in den seltensten, und zwar keineswegs gerade in den
schwersten Fällen zu einer Verurteilung kommen, da beiden Parteien fast
immer der Notwehrparagraph*) zur Seite stünde.

Angriffe gegen Leib oder Leben eines Menschen sind rechtswidrig ohne
Rücksicht darauf, ob sie von einem leichtfertigen oder von einem friedliebenden
Menschen ausgehen, und bleiben es auch dem gegenüber, der auf die Unver¬
letzlichkeit der eignen Person verzichtet. Denn das Gesetz erkennt einen solchen
Verzicht so wenig an, daß es sogar das „ausdrückliche und ernste Verlangen"
eines Menschen, getötet zu werden, nicht als Strafausschließnngsgrund.für den¬
jenigen gelten läßt, welcher diesem Verlangen nachkommt (§ 216). Sobald ein
Duellant die Pistole zum Schuß gegen seinen Gegner erhebt, oder sobald der



*) Die beiden ersten Absätze des Z S3 lauten: „Eine strafbare Handlung ist nicht vor¬
handen, wenn die Handlung durch Notwehr geboten war. Notwehr ist diejenige Verteidigung,
welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem
andern abzutuenden."
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[0469] Zweikampf und Strafgesetz. Von den Parteien einander stillschweigend gewährte Einwilligung, daß innerhalb der hergebrachten und der für den bestimmten Fall vereinbarten Regeln jeder den andern verletzen darf, begründen den himmelweiter Unterschied zwischen der Strafbarkeit einer im Zweikampf und einer bei andrer Gelegenheit einem Menschen beigebrachten Verletzung. Der rohe Geselle, welcher einen harmlosen Wanderer mit dem Knotenstocke überfällt, hat diesen nicht vorher gefragt, ob er mit dem Überfall einverstanden sei; er hat ihm auch nicht zur Gegenwehr einen gleichen Knotenstock in die Hand gedrückt; er hat auch keinen Unparteiischen bestellt, welcher dafür sorgen soll, daß Licht und Sonne gleich verteilt sind. Der Duellant dagegen, welcher seinen schuldlosen, friedliebenden Gegner im Zweikampf tötet, hätte diesem kein Haar gekrümmt, wenn er nicht einge¬ willigt und wenn nicht zuvor ein von beiden Teilen gleich anerkannter Ehren¬ mann für gleiche Waffen und gleiche Verteilung aller Vorteile und Nachteile gesorgt hätte. Unter Berücksichtigung dieser Umstände wird man selbst für die schwersten Fälle der „Tötung im Zweikampf" eine weit mildere Strafe, als sie dem gemeinen Mörder gebührt, für gerecht anerkennen müssen. Daß ander¬ seits auch derjenige, welcher zum Zweikampf ohne Verschulden gedrängt worden ist, Strafe verdient, weil er sich gegen die öffentliche Ordnung vergangen hat, daß mithin seine Freisprechung gänzlich ungerechtfertigt wäre, geht aus dein oben gesagten hervor. Die Folgen einer Aufhebung der Duellparagraphen würden aber auch ganz andre sein, als die Vorkämpfer einer solchen Maßregel glaube». Würde den im Zweikampfe enthaltenen, gegen Leib oder Leben gerichteten Handlungen der Schutz jener Paragraphen entzogen, so würde sich der Richter genötigt sehen, sie nach den Bestimmungen des Reichsstrafgesetzbuches über die Verbrechen gegen Leib und Leben (Sechzehnter und Siebzehnter Abschnitt) zu beurteilen. Denn würde er aber nur in den seltensten, und zwar keineswegs gerade in den schwersten Fällen zu einer Verurteilung kommen, da beiden Parteien fast immer der Notwehrparagraph*) zur Seite stünde. Angriffe gegen Leib oder Leben eines Menschen sind rechtswidrig ohne Rücksicht darauf, ob sie von einem leichtfertigen oder von einem friedliebenden Menschen ausgehen, und bleiben es auch dem gegenüber, der auf die Unver¬ letzlichkeit der eignen Person verzichtet. Denn das Gesetz erkennt einen solchen Verzicht so wenig an, daß es sogar das „ausdrückliche und ernste Verlangen" eines Menschen, getötet zu werden, nicht als Strafausschließnngsgrund.für den¬ jenigen gelten läßt, welcher diesem Verlangen nachkommt (§ 216). Sobald ein Duellant die Pistole zum Schuß gegen seinen Gegner erhebt, oder sobald der *) Die beiden ersten Absätze des Z S3 lauten: „Eine strafbare Handlung ist nicht vor¬ handen, wenn die Handlung durch Notwehr geboten war. Notwehr ist diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem andern abzutuenden."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/469>, abgerufen am 04.06.2024.