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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Goethes Frau.

prächtig ausgestattete Schrift hat den Titel: Briefe von Goethes Fran an
Nikolaus Meyer. Mit Einleitung, Facsimiles, einer Lebensskizze Nikolaus
Meyers und Porträts. Straßburg, Karl I. Trübner, 1887. (41 Seiten Text
in Quart auf Büttenpapier nebst 8 Blatt Facsimiles.)

"Briefe von Goethes Fran" -- so lautet der Titel. Damit ist schon von
vornherein Stellung genommen gegen die allgemein übliche Redeweise von einer
"Christiane Vulpius." Diese Redewendung nimmt dieser Frau ein Recht weg,
das sie durch jahrelange Prüfungen und Duldungen sich ehrlich erworben hat:
das Ehrenrecht, den Ehrennamen "Christiane von Goethe" zu führen. Daß
sie sich dieses Namens würdig bewiesen hat, diesem Nachweis ist auch diese neue
Publikation gewidmet. Die Einleitung spricht zunächst von den Briefen und
von ihrer Verfasserin. Die "freundschaftlichen Briefe von Goethe und seiner
Frau an Nikolaus Meyer" sind schon im Jahre 1856 bei Härtung in Leipzig
herausgegeben worden, aber, was bei der schlechten Kalligraphie und Ortho¬
graphie der Verfasserin zu entschuldigen ist, ungenau, mit vielen Lesefehlern.
Die beigegebenen Facsimiles zeigen allerdings eine sehr schlechte Hand und eine
äußerst mangelhafte Rechtschreibung. Aber mit Recht macht der Herausgeber
darauf aufmerksam, daß sehr bedeutende Persönlichkeiten der damaligen Zeit nicht
viel besser schrieben: z. B. Blücher und Goethes eigne Mutter, die "Frau Rat."
Man kann also nicht ohne weiteres sagen, schon in der Form zeige sich Christiane
als ein "bloßes Naturkind" ohne geistige Bildung. Aber auch der Inhalt zeigt
uns die Verfasserin nicht als eine ungebildete Person. Zwar finden wir keine
geistreichen Wendungen, keine witzigen Pointen, aber neben allerlei hausbackenen
Mitteilungen finden wir doch viele Nachrichten über literarische Vorgänge und
Zustände, über das Kommen und Gehen berühmter Persönlichkeiten. In dem¬
selben Briefe, in dem sie um "fünfzig Pfund Butter" bittet, meldet sie auch
die Aufführung der Jungfrau von Orleans und der Natürlichen Tochter; in
demselben Briefe, in dem sie für "die schönen Fische" dankt, meldet sie die An¬
kunft der Frau von Stael; sie spricht viel von ihrer Tanzlust, aber sie meldet
auch, daß Goethe den Götz für das Theater umarbeitet, daß die Vorlesungen
von Gall beginnen und daß ein neues Stück von Schiller einstudirt wird. Wir
erhalten aus den Briefen den Eindruck harmloser Gutmütigkeit, naiver Em¬
pfänglichkeit, treuer Anhänglichkeit, sorgsamer Hausfraulichkeit. Rührend ist die
dankbare Anhänglichkeit an den Adressaten, Nikolaus Meyer. Dieser hatte den
Winter 1799 bis 1800 in Goethes Hause zugebracht; die vergleichende Ana¬
tomie war das Band zwischen dem jungen Mediziner und Goethe. Die Mit¬
teilungen über diesen Mann, welche zum Teil aus persönlichen Quellen geflossen
sind -- die Publikation ist der Tochter desselben gewidmet --, lassen ihn als
einen liebenswürdigen und ideal gerichteten Menschen erkennen, der aus persön¬
lichem Umgange die Vielverkannte ihrem wahren Werte nach schätzen lernte
und dem sie daher in allen Dingen offenes Vertrauen schenkte, dessen Freund-


Goethes Frau.

prächtig ausgestattete Schrift hat den Titel: Briefe von Goethes Fran an
Nikolaus Meyer. Mit Einleitung, Facsimiles, einer Lebensskizze Nikolaus
Meyers und Porträts. Straßburg, Karl I. Trübner, 1887. (41 Seiten Text
in Quart auf Büttenpapier nebst 8 Blatt Facsimiles.)

„Briefe von Goethes Fran" — so lautet der Titel. Damit ist schon von
vornherein Stellung genommen gegen die allgemein übliche Redeweise von einer
„Christiane Vulpius." Diese Redewendung nimmt dieser Frau ein Recht weg,
das sie durch jahrelange Prüfungen und Duldungen sich ehrlich erworben hat:
das Ehrenrecht, den Ehrennamen „Christiane von Goethe" zu führen. Daß
sie sich dieses Namens würdig bewiesen hat, diesem Nachweis ist auch diese neue
Publikation gewidmet. Die Einleitung spricht zunächst von den Briefen und
von ihrer Verfasserin. Die „freundschaftlichen Briefe von Goethe und seiner
Frau an Nikolaus Meyer" sind schon im Jahre 1856 bei Härtung in Leipzig
herausgegeben worden, aber, was bei der schlechten Kalligraphie und Ortho¬
graphie der Verfasserin zu entschuldigen ist, ungenau, mit vielen Lesefehlern.
Die beigegebenen Facsimiles zeigen allerdings eine sehr schlechte Hand und eine
äußerst mangelhafte Rechtschreibung. Aber mit Recht macht der Herausgeber
darauf aufmerksam, daß sehr bedeutende Persönlichkeiten der damaligen Zeit nicht
viel besser schrieben: z. B. Blücher und Goethes eigne Mutter, die „Frau Rat."
Man kann also nicht ohne weiteres sagen, schon in der Form zeige sich Christiane
als ein „bloßes Naturkind" ohne geistige Bildung. Aber auch der Inhalt zeigt
uns die Verfasserin nicht als eine ungebildete Person. Zwar finden wir keine
geistreichen Wendungen, keine witzigen Pointen, aber neben allerlei hausbackenen
Mitteilungen finden wir doch viele Nachrichten über literarische Vorgänge und
Zustände, über das Kommen und Gehen berühmter Persönlichkeiten. In dem¬
selben Briefe, in dem sie um „fünfzig Pfund Butter" bittet, meldet sie auch
die Aufführung der Jungfrau von Orleans und der Natürlichen Tochter; in
demselben Briefe, in dem sie für „die schönen Fische" dankt, meldet sie die An¬
kunft der Frau von Stael; sie spricht viel von ihrer Tanzlust, aber sie meldet
auch, daß Goethe den Götz für das Theater umarbeitet, daß die Vorlesungen
von Gall beginnen und daß ein neues Stück von Schiller einstudirt wird. Wir
erhalten aus den Briefen den Eindruck harmloser Gutmütigkeit, naiver Em¬
pfänglichkeit, treuer Anhänglichkeit, sorgsamer Hausfraulichkeit. Rührend ist die
dankbare Anhänglichkeit an den Adressaten, Nikolaus Meyer. Dieser hatte den
Winter 1799 bis 1800 in Goethes Hause zugebracht; die vergleichende Ana¬
tomie war das Band zwischen dem jungen Mediziner und Goethe. Die Mit¬
teilungen über diesen Mann, welche zum Teil aus persönlichen Quellen geflossen
sind — die Publikation ist der Tochter desselben gewidmet —, lassen ihn als
einen liebenswürdigen und ideal gerichteten Menschen erkennen, der aus persön¬
lichem Umgange die Vielverkannte ihrem wahren Werte nach schätzen lernte
und dem sie daher in allen Dingen offenes Vertrauen schenkte, dessen Freund-


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[0472] Goethes Frau. prächtig ausgestattete Schrift hat den Titel: Briefe von Goethes Fran an Nikolaus Meyer. Mit Einleitung, Facsimiles, einer Lebensskizze Nikolaus Meyers und Porträts. Straßburg, Karl I. Trübner, 1887. (41 Seiten Text in Quart auf Büttenpapier nebst 8 Blatt Facsimiles.) „Briefe von Goethes Fran" — so lautet der Titel. Damit ist schon von vornherein Stellung genommen gegen die allgemein übliche Redeweise von einer „Christiane Vulpius." Diese Redewendung nimmt dieser Frau ein Recht weg, das sie durch jahrelange Prüfungen und Duldungen sich ehrlich erworben hat: das Ehrenrecht, den Ehrennamen „Christiane von Goethe" zu führen. Daß sie sich dieses Namens würdig bewiesen hat, diesem Nachweis ist auch diese neue Publikation gewidmet. Die Einleitung spricht zunächst von den Briefen und von ihrer Verfasserin. Die „freundschaftlichen Briefe von Goethe und seiner Frau an Nikolaus Meyer" sind schon im Jahre 1856 bei Härtung in Leipzig herausgegeben worden, aber, was bei der schlechten Kalligraphie und Ortho¬ graphie der Verfasserin zu entschuldigen ist, ungenau, mit vielen Lesefehlern. Die beigegebenen Facsimiles zeigen allerdings eine sehr schlechte Hand und eine äußerst mangelhafte Rechtschreibung. Aber mit Recht macht der Herausgeber darauf aufmerksam, daß sehr bedeutende Persönlichkeiten der damaligen Zeit nicht viel besser schrieben: z. B. Blücher und Goethes eigne Mutter, die „Frau Rat." Man kann also nicht ohne weiteres sagen, schon in der Form zeige sich Christiane als ein „bloßes Naturkind" ohne geistige Bildung. Aber auch der Inhalt zeigt uns die Verfasserin nicht als eine ungebildete Person. Zwar finden wir keine geistreichen Wendungen, keine witzigen Pointen, aber neben allerlei hausbackenen Mitteilungen finden wir doch viele Nachrichten über literarische Vorgänge und Zustände, über das Kommen und Gehen berühmter Persönlichkeiten. In dem¬ selben Briefe, in dem sie um „fünfzig Pfund Butter" bittet, meldet sie auch die Aufführung der Jungfrau von Orleans und der Natürlichen Tochter; in demselben Briefe, in dem sie für „die schönen Fische" dankt, meldet sie die An¬ kunft der Frau von Stael; sie spricht viel von ihrer Tanzlust, aber sie meldet auch, daß Goethe den Götz für das Theater umarbeitet, daß die Vorlesungen von Gall beginnen und daß ein neues Stück von Schiller einstudirt wird. Wir erhalten aus den Briefen den Eindruck harmloser Gutmütigkeit, naiver Em¬ pfänglichkeit, treuer Anhänglichkeit, sorgsamer Hausfraulichkeit. Rührend ist die dankbare Anhänglichkeit an den Adressaten, Nikolaus Meyer. Dieser hatte den Winter 1799 bis 1800 in Goethes Hause zugebracht; die vergleichende Ana¬ tomie war das Band zwischen dem jungen Mediziner und Goethe. Die Mit¬ teilungen über diesen Mann, welche zum Teil aus persönlichen Quellen geflossen sind — die Publikation ist der Tochter desselben gewidmet —, lassen ihn als einen liebenswürdigen und ideal gerichteten Menschen erkennen, der aus persön¬ lichem Umgange die Vielverkannte ihrem wahren Werte nach schätzen lernte und dem sie daher in allen Dingen offenes Vertrauen schenkte, dessen Freund-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/472>, abgerufen am 15.05.2024.