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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Ans den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers.

Homburg zurückkehrten, erfuhren wir, was inzwischen in Frankfurt vorgegangen
war. Sämtliche in der freien Stadt anwesenden "Turner" -- man schätzte ihre
Zahl auf 40 000 -- wären auf einem freien Platze vor dem Thore (der Pfingst-
weide) versammelt gewesen. Die Führer der Demokratie, Robert Blum,
Schlöffet u. a., hätten dort zündende Reden gehalten. Endlich sei beschlossen
worden, an, folgenden Tage eine Sturmpetition an die Paulskirche zu erlassen:
die Mitglieder der Rechten und alle Preußen sollten sofort aus der Versammlung
ausscheiden; geschähe dies nicht, so würde das souveräne Volk eindringen und
ein Blutbad anrichten. Die Regierung hätte Kenntnis von diesem Beschlusse
und Hütte sofort in die Nachbarschaft telegraphirt, um womöglich noch in heu¬
tiger Nacht einige Bataillone heranzuziehen.

Wir gingen erst spät auseinander und wünschten uns ungestörte Ruhe;
doch mag mancher in dieser Nacht unruhige Träume gehabt haben.

Montag den 18. September, als ich früh aus dem Fenster meiner Woh¬
nung sah, bemerkte ich viel Landvolk, das anscheinend aus der nächsten Um¬
gegend in die Stadt zog und mit Flinten, Piken, Heu- und Mistgabeln, ja auch
mit Dreschflegeln bewaffnet war. Plötzlich entstand eine wirre Bewegung unter
diesen Leuten; man lief wie toll durcheinander und schrie und schimpfte. Ich
hörte den Ruf: "Die Praiße sind da!" Einzelne warfen die Waffen fort und
drückten sich in die nächsten Häuser, um sich zu verstecken. Mein Hauswirt
stürzte in mein Zimmer: "Um Gottes Willen, die Preußen sind da! stellen Sie
in der Paulskirche sofort den Antrag, daß sie zurückgeschickt werden, sonst
werden unsre Kinder in der Wiege gemordet, ja es wird in der ganzen Stadt
kein Stein auf dem andern bleiben!" Ich gab mir alle Mühe, den Mann zu
beruhigen. Vergeblich.

Ich ging zur Sitzung. Vor der Paulskirche fand ich -- welche Über¬
raschung! -- ein Bataillon Preußen aufgestellt. Wie hoch mir das Herz schlug,
unsre blauen Jungen zu sehen, kann nur der ermessen, der je in ähnlicher Lage
war. Es war ein Bataillon des schlesischen Füsilierregiments, das man von
Mainz herübergeschickt hatte. Ich wechselte einige Worte mit einem mir bekannten
Offizier und betrat dann in gehobener Stimmung unser Haus.

Es stauben die langweiligen Grundrechte auf der Tagesordnung. Die ge¬
lehrten Reden der Herren Professoren vermochten nirgends rechte Teilnahme
zu erwecken. Ein Antrag der Linken, "das Militär müsse zurückgezogen werden,
weil man nicht unter den Waffen beraten dürfe," wurde vom Ministerium
zurückgewiesen. Endlich wurde der Tags zuvor auf der Pfingstweide beschlossene
Antrag wohl stilisirt dem Präsidenten übergeben. Dieser verlas ihn mit würde¬
voller Ruhe und sagte dann mit einer Unbefangenheit, die den Verdacht einer
leisen Ironie erwecken konnte: "Ich werde diesen Antrag dem Ausschuß für
die Geschäftsordnung überweisen." Wir riefen Bravo. Man wußte aber sehr
Wohl, daß dann der Antrag, wenn überhaupt, erst nach Wochen zur Beratung


Grenzboten III. 1887. 62
Ans den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers.

Homburg zurückkehrten, erfuhren wir, was inzwischen in Frankfurt vorgegangen
war. Sämtliche in der freien Stadt anwesenden „Turner" — man schätzte ihre
Zahl auf 40 000 — wären auf einem freien Platze vor dem Thore (der Pfingst-
weide) versammelt gewesen. Die Führer der Demokratie, Robert Blum,
Schlöffet u. a., hätten dort zündende Reden gehalten. Endlich sei beschlossen
worden, an, folgenden Tage eine Sturmpetition an die Paulskirche zu erlassen:
die Mitglieder der Rechten und alle Preußen sollten sofort aus der Versammlung
ausscheiden; geschähe dies nicht, so würde das souveräne Volk eindringen und
ein Blutbad anrichten. Die Regierung hätte Kenntnis von diesem Beschlusse
und Hütte sofort in die Nachbarschaft telegraphirt, um womöglich noch in heu¬
tiger Nacht einige Bataillone heranzuziehen.

Wir gingen erst spät auseinander und wünschten uns ungestörte Ruhe;
doch mag mancher in dieser Nacht unruhige Träume gehabt haben.

Montag den 18. September, als ich früh aus dem Fenster meiner Woh¬
nung sah, bemerkte ich viel Landvolk, das anscheinend aus der nächsten Um¬
gegend in die Stadt zog und mit Flinten, Piken, Heu- und Mistgabeln, ja auch
mit Dreschflegeln bewaffnet war. Plötzlich entstand eine wirre Bewegung unter
diesen Leuten; man lief wie toll durcheinander und schrie und schimpfte. Ich
hörte den Ruf: „Die Praiße sind da!" Einzelne warfen die Waffen fort und
drückten sich in die nächsten Häuser, um sich zu verstecken. Mein Hauswirt
stürzte in mein Zimmer: „Um Gottes Willen, die Preußen sind da! stellen Sie
in der Paulskirche sofort den Antrag, daß sie zurückgeschickt werden, sonst
werden unsre Kinder in der Wiege gemordet, ja es wird in der ganzen Stadt
kein Stein auf dem andern bleiben!" Ich gab mir alle Mühe, den Mann zu
beruhigen. Vergeblich.

Ich ging zur Sitzung. Vor der Paulskirche fand ich — welche Über¬
raschung! — ein Bataillon Preußen aufgestellt. Wie hoch mir das Herz schlug,
unsre blauen Jungen zu sehen, kann nur der ermessen, der je in ähnlicher Lage
war. Es war ein Bataillon des schlesischen Füsilierregiments, das man von
Mainz herübergeschickt hatte. Ich wechselte einige Worte mit einem mir bekannten
Offizier und betrat dann in gehobener Stimmung unser Haus.

Es stauben die langweiligen Grundrechte auf der Tagesordnung. Die ge¬
lehrten Reden der Herren Professoren vermochten nirgends rechte Teilnahme
zu erwecken. Ein Antrag der Linken, „das Militär müsse zurückgezogen werden,
weil man nicht unter den Waffen beraten dürfe," wurde vom Ministerium
zurückgewiesen. Endlich wurde der Tags zuvor auf der Pfingstweide beschlossene
Antrag wohl stilisirt dem Präsidenten übergeben. Dieser verlas ihn mit würde¬
voller Ruhe und sagte dann mit einer Unbefangenheit, die den Verdacht einer
leisen Ironie erwecken konnte: „Ich werde diesen Antrag dem Ausschuß für
die Geschäftsordnung überweisen." Wir riefen Bravo. Man wußte aber sehr
Wohl, daß dann der Antrag, wenn überhaupt, erst nach Wochen zur Beratung


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[0497] Ans den hinterlassenen Papieren eines preußischen Staatsministers. Homburg zurückkehrten, erfuhren wir, was inzwischen in Frankfurt vorgegangen war. Sämtliche in der freien Stadt anwesenden „Turner" — man schätzte ihre Zahl auf 40 000 — wären auf einem freien Platze vor dem Thore (der Pfingst- weide) versammelt gewesen. Die Führer der Demokratie, Robert Blum, Schlöffet u. a., hätten dort zündende Reden gehalten. Endlich sei beschlossen worden, an, folgenden Tage eine Sturmpetition an die Paulskirche zu erlassen: die Mitglieder der Rechten und alle Preußen sollten sofort aus der Versammlung ausscheiden; geschähe dies nicht, so würde das souveräne Volk eindringen und ein Blutbad anrichten. Die Regierung hätte Kenntnis von diesem Beschlusse und Hütte sofort in die Nachbarschaft telegraphirt, um womöglich noch in heu¬ tiger Nacht einige Bataillone heranzuziehen. Wir gingen erst spät auseinander und wünschten uns ungestörte Ruhe; doch mag mancher in dieser Nacht unruhige Träume gehabt haben. Montag den 18. September, als ich früh aus dem Fenster meiner Woh¬ nung sah, bemerkte ich viel Landvolk, das anscheinend aus der nächsten Um¬ gegend in die Stadt zog und mit Flinten, Piken, Heu- und Mistgabeln, ja auch mit Dreschflegeln bewaffnet war. Plötzlich entstand eine wirre Bewegung unter diesen Leuten; man lief wie toll durcheinander und schrie und schimpfte. Ich hörte den Ruf: „Die Praiße sind da!" Einzelne warfen die Waffen fort und drückten sich in die nächsten Häuser, um sich zu verstecken. Mein Hauswirt stürzte in mein Zimmer: „Um Gottes Willen, die Preußen sind da! stellen Sie in der Paulskirche sofort den Antrag, daß sie zurückgeschickt werden, sonst werden unsre Kinder in der Wiege gemordet, ja es wird in der ganzen Stadt kein Stein auf dem andern bleiben!" Ich gab mir alle Mühe, den Mann zu beruhigen. Vergeblich. Ich ging zur Sitzung. Vor der Paulskirche fand ich — welche Über¬ raschung! — ein Bataillon Preußen aufgestellt. Wie hoch mir das Herz schlug, unsre blauen Jungen zu sehen, kann nur der ermessen, der je in ähnlicher Lage war. Es war ein Bataillon des schlesischen Füsilierregiments, das man von Mainz herübergeschickt hatte. Ich wechselte einige Worte mit einem mir bekannten Offizier und betrat dann in gehobener Stimmung unser Haus. Es stauben die langweiligen Grundrechte auf der Tagesordnung. Die ge¬ lehrten Reden der Herren Professoren vermochten nirgends rechte Teilnahme zu erwecken. Ein Antrag der Linken, „das Militär müsse zurückgezogen werden, weil man nicht unter den Waffen beraten dürfe," wurde vom Ministerium zurückgewiesen. Endlich wurde der Tags zuvor auf der Pfingstweide beschlossene Antrag wohl stilisirt dem Präsidenten übergeben. Dieser verlas ihn mit würde¬ voller Ruhe und sagte dann mit einer Unbefangenheit, die den Verdacht einer leisen Ironie erwecken konnte: „Ich werde diesen Antrag dem Ausschuß für die Geschäftsordnung überweisen." Wir riefen Bravo. Man wußte aber sehr Wohl, daß dann der Antrag, wenn überhaupt, erst nach Wochen zur Beratung Grenzboten III. 1887. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/497>, abgerufen am 19.05.2024.