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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.

sorgung wird hier erreicht durch regelmäßige Beitrage, die in den jüngern Jahren
bis zum Eintritt der Rentenzahlung entrichtet werden. Es ist natürlich, daß
diese Beiträge umso höher ausfallen, je später mit Zahlung derselben begonnen
wird. Was soll nun mit den ältern Arbeitern werden, die voraussichtlich nur
noch wenige Jahre arbeitsfähig bleiben werden, und für die der jährlich zu er¬
hebende Beitrag die später zu empfangende Rente nahezu erreicht oder gar über¬
steigt? Entweder man schließt diese ganz von der Versicherung aus, und dann
wird die Alters- und Invalidenversicherung, die doch augenblickliche Notstände
beseitigen soll, erst in Jahrzehnten wirksame Abhilfe schaffen. Oder man ent¬
schließt sich, die für die ältern Altersklassen erforderlichen Summen, die aufzu¬
bringen den in erster Linie beteiligten eine Unmöglichkeit ist, ans Staats- und
Kommunalmitteln beizusteuern, und dann sind die Kosten für die Organisation
zu Anfang am höchsten, und anstatt sämtliche Beteiligte ganz allmählich an
die ganz neuen Ausgaben zu gewöhnen, belastet man sie gleich so stark, daß in
der einen oder andern Hinsicht üble Folgen kaum zu vermeiden sein dürften.

Nein, soll die Alters- und Jnvalidenversorgung der Arbeiter staatlich ge¬
regelt werden, so kann dies wieder, wie bei der Unfallversicherung, nur auf dem
Wege des Umlageverfahrens geschehen. Anstatt für die noch in Arbeit stehenden
Arbeiter Prämienzahlungen zu leisten und so Kapitalien anzusammeln, aus
denen wieder die Renten für die Altersschwachen und Invaliden bestritten werden,
müßten Arbeiter, Industrielle und Staat einfach alljährlich die Summen auf¬
bringen, die für jene Neutcnzahlnngen erforderlich sind. Die Erspcirnng an
Verwaltungskosten wäre bedeutend. Mit den einzelnen Arbeitern hätte es die
Verwaltung erst von dem Augenblicke an zu thun, wo sie in den Rentcngcnnß
träten. Für die Beiträge haftbar wären nur die Unternehmer nach Verhältnis
der Arbeiterzahl und des Arbeitslohnes. Ihnen fiele auch die Verrechnung
mit ihren Arbeitern zu. Ein Wechsel des Arbeitgebers käme bei den Arbeitern
gar nicht in Betracht. An die Stelle der Überwachung von Millionen von Ar¬
beitern träte die Überwachung der einzelnen Fabriken, und daß diese ohne be¬
sonders bedeutende Kosten durchzuführen ist, dafür haben die Berufsgenossen-
schaften den Beweis geliefert.

Nun sagen die Anhänger der Privatversicherung, das Umlagcverfahren sei
unwissenschaftlich. Aber worin besteht die vermeintliche Unwissenschaftlichkeit?
Etwa darin, daß man bei ihm mit den vier Spezies auskommt und statistische
Tabellen und etwas Wahrscheinlichkcitsrechnuug entbehren kann? Zunächst be¬
sitzen wir noch keine zuverlässigen Juvaliditätstafelu, und dann kommen, abge¬
sehen von den verschieden großen Zuschüssen in den ersten Jahren nach Eintritt
des Beharrungszustaudes, in dem die Anzahl der durch Tod ausscheidenden
Versorgungsberechtigtcn gleich der Anzahl der neu hinzukommenden ist, Umlage-
und Anlageverfahren auf dasselbe heraus. Bei jenem wird aufgebracht, was
in jedem Jahre für Rentenzahlungen ausgegeben ist, bei diesem vermindert sich


Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.

sorgung wird hier erreicht durch regelmäßige Beitrage, die in den jüngern Jahren
bis zum Eintritt der Rentenzahlung entrichtet werden. Es ist natürlich, daß
diese Beiträge umso höher ausfallen, je später mit Zahlung derselben begonnen
wird. Was soll nun mit den ältern Arbeitern werden, die voraussichtlich nur
noch wenige Jahre arbeitsfähig bleiben werden, und für die der jährlich zu er¬
hebende Beitrag die später zu empfangende Rente nahezu erreicht oder gar über¬
steigt? Entweder man schließt diese ganz von der Versicherung aus, und dann
wird die Alters- und Invalidenversicherung, die doch augenblickliche Notstände
beseitigen soll, erst in Jahrzehnten wirksame Abhilfe schaffen. Oder man ent¬
schließt sich, die für die ältern Altersklassen erforderlichen Summen, die aufzu¬
bringen den in erster Linie beteiligten eine Unmöglichkeit ist, ans Staats- und
Kommunalmitteln beizusteuern, und dann sind die Kosten für die Organisation
zu Anfang am höchsten, und anstatt sämtliche Beteiligte ganz allmählich an
die ganz neuen Ausgaben zu gewöhnen, belastet man sie gleich so stark, daß in
der einen oder andern Hinsicht üble Folgen kaum zu vermeiden sein dürften.

Nein, soll die Alters- und Jnvalidenversorgung der Arbeiter staatlich ge¬
regelt werden, so kann dies wieder, wie bei der Unfallversicherung, nur auf dem
Wege des Umlageverfahrens geschehen. Anstatt für die noch in Arbeit stehenden
Arbeiter Prämienzahlungen zu leisten und so Kapitalien anzusammeln, aus
denen wieder die Renten für die Altersschwachen und Invaliden bestritten werden,
müßten Arbeiter, Industrielle und Staat einfach alljährlich die Summen auf¬
bringen, die für jene Neutcnzahlnngen erforderlich sind. Die Erspcirnng an
Verwaltungskosten wäre bedeutend. Mit den einzelnen Arbeitern hätte es die
Verwaltung erst von dem Augenblicke an zu thun, wo sie in den Rentcngcnnß
träten. Für die Beiträge haftbar wären nur die Unternehmer nach Verhältnis
der Arbeiterzahl und des Arbeitslohnes. Ihnen fiele auch die Verrechnung
mit ihren Arbeitern zu. Ein Wechsel des Arbeitgebers käme bei den Arbeitern
gar nicht in Betracht. An die Stelle der Überwachung von Millionen von Ar¬
beitern träte die Überwachung der einzelnen Fabriken, und daß diese ohne be¬
sonders bedeutende Kosten durchzuführen ist, dafür haben die Berufsgenossen-
schaften den Beweis geliefert.

Nun sagen die Anhänger der Privatversicherung, das Umlagcverfahren sei
unwissenschaftlich. Aber worin besteht die vermeintliche Unwissenschaftlichkeit?
Etwa darin, daß man bei ihm mit den vier Spezies auskommt und statistische
Tabellen und etwas Wahrscheinlichkcitsrechnuug entbehren kann? Zunächst be¬
sitzen wir noch keine zuverlässigen Juvaliditätstafelu, und dann kommen, abge¬
sehen von den verschieden großen Zuschüssen in den ersten Jahren nach Eintritt
des Beharrungszustaudes, in dem die Anzahl der durch Tod ausscheidenden
Versorgungsberechtigtcn gleich der Anzahl der neu hinzukommenden ist, Umlage-
und Anlageverfahren auf dasselbe heraus. Bei jenem wird aufgebracht, was
in jedem Jahre für Rentenzahlungen ausgegeben ist, bei diesem vermindert sich


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[0511] Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter. sorgung wird hier erreicht durch regelmäßige Beitrage, die in den jüngern Jahren bis zum Eintritt der Rentenzahlung entrichtet werden. Es ist natürlich, daß diese Beiträge umso höher ausfallen, je später mit Zahlung derselben begonnen wird. Was soll nun mit den ältern Arbeitern werden, die voraussichtlich nur noch wenige Jahre arbeitsfähig bleiben werden, und für die der jährlich zu er¬ hebende Beitrag die später zu empfangende Rente nahezu erreicht oder gar über¬ steigt? Entweder man schließt diese ganz von der Versicherung aus, und dann wird die Alters- und Invalidenversicherung, die doch augenblickliche Notstände beseitigen soll, erst in Jahrzehnten wirksame Abhilfe schaffen. Oder man ent¬ schließt sich, die für die ältern Altersklassen erforderlichen Summen, die aufzu¬ bringen den in erster Linie beteiligten eine Unmöglichkeit ist, ans Staats- und Kommunalmitteln beizusteuern, und dann sind die Kosten für die Organisation zu Anfang am höchsten, und anstatt sämtliche Beteiligte ganz allmählich an die ganz neuen Ausgaben zu gewöhnen, belastet man sie gleich so stark, daß in der einen oder andern Hinsicht üble Folgen kaum zu vermeiden sein dürften. Nein, soll die Alters- und Jnvalidenversorgung der Arbeiter staatlich ge¬ regelt werden, so kann dies wieder, wie bei der Unfallversicherung, nur auf dem Wege des Umlageverfahrens geschehen. Anstatt für die noch in Arbeit stehenden Arbeiter Prämienzahlungen zu leisten und so Kapitalien anzusammeln, aus denen wieder die Renten für die Altersschwachen und Invaliden bestritten werden, müßten Arbeiter, Industrielle und Staat einfach alljährlich die Summen auf¬ bringen, die für jene Neutcnzahlnngen erforderlich sind. Die Erspcirnng an Verwaltungskosten wäre bedeutend. Mit den einzelnen Arbeitern hätte es die Verwaltung erst von dem Augenblicke an zu thun, wo sie in den Rentcngcnnß träten. Für die Beiträge haftbar wären nur die Unternehmer nach Verhältnis der Arbeiterzahl und des Arbeitslohnes. Ihnen fiele auch die Verrechnung mit ihren Arbeitern zu. Ein Wechsel des Arbeitgebers käme bei den Arbeitern gar nicht in Betracht. An die Stelle der Überwachung von Millionen von Ar¬ beitern träte die Überwachung der einzelnen Fabriken, und daß diese ohne be¬ sonders bedeutende Kosten durchzuführen ist, dafür haben die Berufsgenossen- schaften den Beweis geliefert. Nun sagen die Anhänger der Privatversicherung, das Umlagcverfahren sei unwissenschaftlich. Aber worin besteht die vermeintliche Unwissenschaftlichkeit? Etwa darin, daß man bei ihm mit den vier Spezies auskommt und statistische Tabellen und etwas Wahrscheinlichkcitsrechnuug entbehren kann? Zunächst be¬ sitzen wir noch keine zuverlässigen Juvaliditätstafelu, und dann kommen, abge¬ sehen von den verschieden großen Zuschüssen in den ersten Jahren nach Eintritt des Beharrungszustaudes, in dem die Anzahl der durch Tod ausscheidenden Versorgungsberechtigtcn gleich der Anzahl der neu hinzukommenden ist, Umlage- und Anlageverfahren auf dasselbe heraus. Bei jenem wird aufgebracht, was in jedem Jahre für Rentenzahlungen ausgegeben ist, bei diesem vermindert sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/511>, abgerufen am 15.05.2024.