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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.

werden die gestmdheitsgefährdenden Betriebe jetzt diejenigen sein, welche die
meisten Jnvaliditätsfälle zu verzeichnen und die meisten Kosten aufzubringen
haben werden. Im eignen Interesse werden sie also bestrebt sein, diese Kosten
zu mindern und den Eintritt der Invalidität bei ihren Arbeitern hinauszuschieben
durch möglichste Beseitigung der gesundheitsschädlichen Einflüsse bei der Arbeit
sowohl wie durch Verkürzung der Arbeitszeit.

Wie die Arbeiter und Unternehmer, so ist endlich auch der Staat bei der
Altersversorgung der Arbeiter interessirt. Die Arbeiterfrage droht wie ein
dunkles Gespenst am politischen Horizont. Alles, was geeignet ist, eine fried¬
liche Lösung derselben herbeizuführen, erhöht die allgemeine Sicherheit und ver¬
mindert die Gefahr eines gewaltsamen Umsturzes alles Bestehenden. Und so
kann ein Beitrag aus Staatsmitteln angesehen werden als ein Opfer, das die
Allgemeinheit ihrer Ruhe und Sicherheit darbringt. Die Altersversorgung aber
kommt dem Staate auch unmittelbar zu Gute. Durch sie werden viele Armen¬
unterstützungen unnötig, und diese wurden bisher aufgebracht von den Gemeinden,
also den Gliedern des Staates.

Arbeiter, Unternehmer und Staat kommen also bei der Invaliden- und
Altersversorgung der Arbeiter in Betracht, und- demgemäß erscheint es zweck¬
entsprechend, die Lasten ans sie gleichmäßig zu verteilen. Wenn viele es un¬
billig finden möchten, daß der Arbeiter bei seinem niedrigen Lohne auch zu den
Lasten herangezogen wird, so ist zu bedenken, daß gegenüber den kleinen von
ihm geforderten Beiträgen der unmittelbare Nutzen der Einrichtung ihm allein
zufällt, daß der Beitrag von ihm nur entrichtet werden soll, so lange er Be¬
schäftigung hat, und daß mit der Zeit dieser Beitrag durch Lohnerhöhung doch
auf den Unternehmer abgewälzt werden dürfte, während anderseits durch
ihn dem Arbeiter wieder ein Anrecht auf Teilnahme an der Verwaltung ge¬
wahrt wird.

Was die Organisation der Versicherung anlangt, so erscheint es mit Bezug
auf die Unfallversicherung als das Zweckmäßigste, wenn sie wieder auf genossen¬
schaftlicher Grundlage aufgebaut wird, wenn neben den Beiträgen des Staates
die bisherigen Berufsgenossenschaften auch die Träger der Alters- und Inva¬
lidenversicherung werden, und die Genossenschaftsorgane neben der Unfallver¬
sicherung auch die Verwaltung der letzteren übernehmen. Die Beiträge werden
hier wie dort von den einzelnen Betrieben erhoben, und wenn die Betriebe,
die zur Unfallversicherung beisteuern, an demselben Umfange auch zur Alters¬
versorgung herangezogen werden, so entscheidet über die Beitragshöhe jeder Fabrik
ein und dasselbe Genosfenschaftskataster. Zudem läßt, wie bei der Unfallver¬
sicherung die gleiche Vetriebsgefcchr, so hier die gleiche Gesundheitsgefährdung
die Scheidung der Industrie in einzelne ihrer Natur nach zusammengehörige
Gruppen behufs gerechterer Verteilung der Lasten nur wünschenswert erscheinen.
Nur müssen die Kosten für Unfall- und Altersversicherung getrennt und von


Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter.

werden die gestmdheitsgefährdenden Betriebe jetzt diejenigen sein, welche die
meisten Jnvaliditätsfälle zu verzeichnen und die meisten Kosten aufzubringen
haben werden. Im eignen Interesse werden sie also bestrebt sein, diese Kosten
zu mindern und den Eintritt der Invalidität bei ihren Arbeitern hinauszuschieben
durch möglichste Beseitigung der gesundheitsschädlichen Einflüsse bei der Arbeit
sowohl wie durch Verkürzung der Arbeitszeit.

Wie die Arbeiter und Unternehmer, so ist endlich auch der Staat bei der
Altersversorgung der Arbeiter interessirt. Die Arbeiterfrage droht wie ein
dunkles Gespenst am politischen Horizont. Alles, was geeignet ist, eine fried¬
liche Lösung derselben herbeizuführen, erhöht die allgemeine Sicherheit und ver¬
mindert die Gefahr eines gewaltsamen Umsturzes alles Bestehenden. Und so
kann ein Beitrag aus Staatsmitteln angesehen werden als ein Opfer, das die
Allgemeinheit ihrer Ruhe und Sicherheit darbringt. Die Altersversorgung aber
kommt dem Staate auch unmittelbar zu Gute. Durch sie werden viele Armen¬
unterstützungen unnötig, und diese wurden bisher aufgebracht von den Gemeinden,
also den Gliedern des Staates.

Arbeiter, Unternehmer und Staat kommen also bei der Invaliden- und
Altersversorgung der Arbeiter in Betracht, und- demgemäß erscheint es zweck¬
entsprechend, die Lasten ans sie gleichmäßig zu verteilen. Wenn viele es un¬
billig finden möchten, daß der Arbeiter bei seinem niedrigen Lohne auch zu den
Lasten herangezogen wird, so ist zu bedenken, daß gegenüber den kleinen von
ihm geforderten Beiträgen der unmittelbare Nutzen der Einrichtung ihm allein
zufällt, daß der Beitrag von ihm nur entrichtet werden soll, so lange er Be¬
schäftigung hat, und daß mit der Zeit dieser Beitrag durch Lohnerhöhung doch
auf den Unternehmer abgewälzt werden dürfte, während anderseits durch
ihn dem Arbeiter wieder ein Anrecht auf Teilnahme an der Verwaltung ge¬
wahrt wird.

Was die Organisation der Versicherung anlangt, so erscheint es mit Bezug
auf die Unfallversicherung als das Zweckmäßigste, wenn sie wieder auf genossen¬
schaftlicher Grundlage aufgebaut wird, wenn neben den Beiträgen des Staates
die bisherigen Berufsgenossenschaften auch die Träger der Alters- und Inva¬
lidenversicherung werden, und die Genossenschaftsorgane neben der Unfallver¬
sicherung auch die Verwaltung der letzteren übernehmen. Die Beiträge werden
hier wie dort von den einzelnen Betrieben erhoben, und wenn die Betriebe,
die zur Unfallversicherung beisteuern, an demselben Umfange auch zur Alters¬
versorgung herangezogen werden, so entscheidet über die Beitragshöhe jeder Fabrik
ein und dasselbe Genosfenschaftskataster. Zudem läßt, wie bei der Unfallver¬
sicherung die gleiche Vetriebsgefcchr, so hier die gleiche Gesundheitsgefährdung
die Scheidung der Industrie in einzelne ihrer Natur nach zusammengehörige
Gruppen behufs gerechterer Verteilung der Lasten nur wünschenswert erscheinen.
Nur müssen die Kosten für Unfall- und Altersversicherung getrennt und von


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[0516] Die Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter. werden die gestmdheitsgefährdenden Betriebe jetzt diejenigen sein, welche die meisten Jnvaliditätsfälle zu verzeichnen und die meisten Kosten aufzubringen haben werden. Im eignen Interesse werden sie also bestrebt sein, diese Kosten zu mindern und den Eintritt der Invalidität bei ihren Arbeitern hinauszuschieben durch möglichste Beseitigung der gesundheitsschädlichen Einflüsse bei der Arbeit sowohl wie durch Verkürzung der Arbeitszeit. Wie die Arbeiter und Unternehmer, so ist endlich auch der Staat bei der Altersversorgung der Arbeiter interessirt. Die Arbeiterfrage droht wie ein dunkles Gespenst am politischen Horizont. Alles, was geeignet ist, eine fried¬ liche Lösung derselben herbeizuführen, erhöht die allgemeine Sicherheit und ver¬ mindert die Gefahr eines gewaltsamen Umsturzes alles Bestehenden. Und so kann ein Beitrag aus Staatsmitteln angesehen werden als ein Opfer, das die Allgemeinheit ihrer Ruhe und Sicherheit darbringt. Die Altersversorgung aber kommt dem Staate auch unmittelbar zu Gute. Durch sie werden viele Armen¬ unterstützungen unnötig, und diese wurden bisher aufgebracht von den Gemeinden, also den Gliedern des Staates. Arbeiter, Unternehmer und Staat kommen also bei der Invaliden- und Altersversorgung der Arbeiter in Betracht, und- demgemäß erscheint es zweck¬ entsprechend, die Lasten ans sie gleichmäßig zu verteilen. Wenn viele es un¬ billig finden möchten, daß der Arbeiter bei seinem niedrigen Lohne auch zu den Lasten herangezogen wird, so ist zu bedenken, daß gegenüber den kleinen von ihm geforderten Beiträgen der unmittelbare Nutzen der Einrichtung ihm allein zufällt, daß der Beitrag von ihm nur entrichtet werden soll, so lange er Be¬ schäftigung hat, und daß mit der Zeit dieser Beitrag durch Lohnerhöhung doch auf den Unternehmer abgewälzt werden dürfte, während anderseits durch ihn dem Arbeiter wieder ein Anrecht auf Teilnahme an der Verwaltung ge¬ wahrt wird. Was die Organisation der Versicherung anlangt, so erscheint es mit Bezug auf die Unfallversicherung als das Zweckmäßigste, wenn sie wieder auf genossen¬ schaftlicher Grundlage aufgebaut wird, wenn neben den Beiträgen des Staates die bisherigen Berufsgenossenschaften auch die Träger der Alters- und Inva¬ lidenversicherung werden, und die Genossenschaftsorgane neben der Unfallver¬ sicherung auch die Verwaltung der letzteren übernehmen. Die Beiträge werden hier wie dort von den einzelnen Betrieben erhoben, und wenn die Betriebe, die zur Unfallversicherung beisteuern, an demselben Umfange auch zur Alters¬ versorgung herangezogen werden, so entscheidet über die Beitragshöhe jeder Fabrik ein und dasselbe Genosfenschaftskataster. Zudem läßt, wie bei der Unfallver¬ sicherung die gleiche Vetriebsgefcchr, so hier die gleiche Gesundheitsgefährdung die Scheidung der Industrie in einzelne ihrer Natur nach zusammengehörige Gruppen behufs gerechterer Verteilung der Lasten nur wünschenswert erscheinen. Nur müssen die Kosten für Unfall- und Altersversicherung getrennt und von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/516>, abgerufen am 15.05.2024.