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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Das Schulgeld,

die Scholle und andre Umstände wesentliche Schwankungen in der Leistungs¬
fähigkeit der Hausväter hinderten, Paßt aber ganz und gar nicht zu unsern
heutigen Verhältnissen mit ihrer Mobilisirung des Grundeigentums, Freizügigkeit
und ausgebildeten Industrie. Es bleibt also als Träger der Schullast, da an
eine gänzliche Übernahme derselben auf den Staat nicht zu denken ist, nur, wie
dies bereits die Verfassung vorsieht, die politische Gemeinde übrig, die im Fall
des Unvermögens durch den Staat unterstützt werden muß. Wie weit freilich
die Beteiligung des Staates zu gehen haben wird, das ist wieder eine zur Zeit
noch ungelöste, viel umstrittene Frage.

Herrscht somit wenigstens über den Hauptträger der Schullast Überein¬
stimmung, so ist dieses in keiner Weise bezüglich der Art der Aufbringung der
Fall. Es bieten sich hierzu zwei Wege, die Aufbringung durch Gebühren der¬
jenigen, welche die Schule benutzen, d. h. durch Schulgeld, oder durch Beiträge,
Steuern der Mitglieder des Unterhaltungspflichtigen Verbandes, ohne Rücksicht
darauf, ob sie die Schule benutzen oder nicht.

Die Verfassung enthält im Art. 26 den Grundsatz: "In der öffentlichen
Volksschule wird der Unterricht unentgeltlich erteilt," verwirft also den ersten
Weg und verlangt die Einschlagung des zweiten. Etwas neues enthält dieser,
den Menschenrechten der französischen Verfassung vom 3. September 1791 ent¬
lehnte Grundsatz für Altpreußen nicht; denn bereits im H 32 Teil II Tit. 12
des Allgemeinen Landrechts heißt es: "Gegen Erlegung dieser Beiträge -- d. h.
eben der Schulsteuer -- sind alsdann die Kinder der Contribuenten von Ent¬
richtung eines Schulgeldes für immer frei."

Obwohl somit der Grundsatz der Unentgeltlichkeit des Volksschulnnterrichts
und damit der Aufbringung der Schullasten durch Steuern der preußischen Gesetz¬
gebung bereits seit einem Jahrhundert angehört, ist er in der Praxis noch keines¬
wegs durchgeführt, vielmehr werden in Preußen noch etwa 13 Millionen Mark
jährlich an Schulgeld erhoben, und es ist auch in der Theorie die Frage der
Aufhebung des Schulgeldes an den Volksschulen noch offen und viel bestritten.

Die Gründe, die von den Gegnern und den Freunden des Schulgeldes für
für ihre Ansichten ins Feld geführt werden, sind finanzielle, soziale, schultechnische
und rechtliche. Das Schwergewicht liegt jedoch auf beiden Seiten in den finan¬
ziellen Gründen.

Den Ausgangspunkt bildet für beide Parteien die Natur des Schulgeldes.
Die Gegner desselben streiten ihm die Gcbühreneigenschaft vollständig ab und
nennen es geradezu eine Kopfsteuer, während die Verteidiger des Schulgeldes
darauf beharren, daß es nichts als eine reine Gebühr sei. Die erstern meinen,
daß, weil der Staat den Besuch der Schule als eine Zwnngspflicht fordere,
und zwar in seinem Interesse und in dem der Gemeinde fordere, von einer
Gebühr für den Schulbesuch nicht die Rede sein könne, da es zu dem Wesen
der Gebühr gehöre, daß die betreffende Staatsthätigkeit aus freien Stücken


Das Schulgeld,

die Scholle und andre Umstände wesentliche Schwankungen in der Leistungs¬
fähigkeit der Hausväter hinderten, Paßt aber ganz und gar nicht zu unsern
heutigen Verhältnissen mit ihrer Mobilisirung des Grundeigentums, Freizügigkeit
und ausgebildeten Industrie. Es bleibt also als Träger der Schullast, da an
eine gänzliche Übernahme derselben auf den Staat nicht zu denken ist, nur, wie
dies bereits die Verfassung vorsieht, die politische Gemeinde übrig, die im Fall
des Unvermögens durch den Staat unterstützt werden muß. Wie weit freilich
die Beteiligung des Staates zu gehen haben wird, das ist wieder eine zur Zeit
noch ungelöste, viel umstrittene Frage.

Herrscht somit wenigstens über den Hauptträger der Schullast Überein¬
stimmung, so ist dieses in keiner Weise bezüglich der Art der Aufbringung der
Fall. Es bieten sich hierzu zwei Wege, die Aufbringung durch Gebühren der¬
jenigen, welche die Schule benutzen, d. h. durch Schulgeld, oder durch Beiträge,
Steuern der Mitglieder des Unterhaltungspflichtigen Verbandes, ohne Rücksicht
darauf, ob sie die Schule benutzen oder nicht.

Die Verfassung enthält im Art. 26 den Grundsatz: „In der öffentlichen
Volksschule wird der Unterricht unentgeltlich erteilt," verwirft also den ersten
Weg und verlangt die Einschlagung des zweiten. Etwas neues enthält dieser,
den Menschenrechten der französischen Verfassung vom 3. September 1791 ent¬
lehnte Grundsatz für Altpreußen nicht; denn bereits im H 32 Teil II Tit. 12
des Allgemeinen Landrechts heißt es: „Gegen Erlegung dieser Beiträge — d. h.
eben der Schulsteuer — sind alsdann die Kinder der Contribuenten von Ent¬
richtung eines Schulgeldes für immer frei."

Obwohl somit der Grundsatz der Unentgeltlichkeit des Volksschulnnterrichts
und damit der Aufbringung der Schullasten durch Steuern der preußischen Gesetz¬
gebung bereits seit einem Jahrhundert angehört, ist er in der Praxis noch keines¬
wegs durchgeführt, vielmehr werden in Preußen noch etwa 13 Millionen Mark
jährlich an Schulgeld erhoben, und es ist auch in der Theorie die Frage der
Aufhebung des Schulgeldes an den Volksschulen noch offen und viel bestritten.

Die Gründe, die von den Gegnern und den Freunden des Schulgeldes für
für ihre Ansichten ins Feld geführt werden, sind finanzielle, soziale, schultechnische
und rechtliche. Das Schwergewicht liegt jedoch auf beiden Seiten in den finan¬
ziellen Gründen.

Den Ausgangspunkt bildet für beide Parteien die Natur des Schulgeldes.
Die Gegner desselben streiten ihm die Gcbühreneigenschaft vollständig ab und
nennen es geradezu eine Kopfsteuer, während die Verteidiger des Schulgeldes
darauf beharren, daß es nichts als eine reine Gebühr sei. Die erstern meinen,
daß, weil der Staat den Besuch der Schule als eine Zwnngspflicht fordere,
und zwar in seinem Interesse und in dem der Gemeinde fordere, von einer
Gebühr für den Schulbesuch nicht die Rede sein könne, da es zu dem Wesen
der Gebühr gehöre, daß die betreffende Staatsthätigkeit aus freien Stücken


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[0518] Das Schulgeld, die Scholle und andre Umstände wesentliche Schwankungen in der Leistungs¬ fähigkeit der Hausväter hinderten, Paßt aber ganz und gar nicht zu unsern heutigen Verhältnissen mit ihrer Mobilisirung des Grundeigentums, Freizügigkeit und ausgebildeten Industrie. Es bleibt also als Träger der Schullast, da an eine gänzliche Übernahme derselben auf den Staat nicht zu denken ist, nur, wie dies bereits die Verfassung vorsieht, die politische Gemeinde übrig, die im Fall des Unvermögens durch den Staat unterstützt werden muß. Wie weit freilich die Beteiligung des Staates zu gehen haben wird, das ist wieder eine zur Zeit noch ungelöste, viel umstrittene Frage. Herrscht somit wenigstens über den Hauptträger der Schullast Überein¬ stimmung, so ist dieses in keiner Weise bezüglich der Art der Aufbringung der Fall. Es bieten sich hierzu zwei Wege, die Aufbringung durch Gebühren der¬ jenigen, welche die Schule benutzen, d. h. durch Schulgeld, oder durch Beiträge, Steuern der Mitglieder des Unterhaltungspflichtigen Verbandes, ohne Rücksicht darauf, ob sie die Schule benutzen oder nicht. Die Verfassung enthält im Art. 26 den Grundsatz: „In der öffentlichen Volksschule wird der Unterricht unentgeltlich erteilt," verwirft also den ersten Weg und verlangt die Einschlagung des zweiten. Etwas neues enthält dieser, den Menschenrechten der französischen Verfassung vom 3. September 1791 ent¬ lehnte Grundsatz für Altpreußen nicht; denn bereits im H 32 Teil II Tit. 12 des Allgemeinen Landrechts heißt es: „Gegen Erlegung dieser Beiträge — d. h. eben der Schulsteuer — sind alsdann die Kinder der Contribuenten von Ent¬ richtung eines Schulgeldes für immer frei." Obwohl somit der Grundsatz der Unentgeltlichkeit des Volksschulnnterrichts und damit der Aufbringung der Schullasten durch Steuern der preußischen Gesetz¬ gebung bereits seit einem Jahrhundert angehört, ist er in der Praxis noch keines¬ wegs durchgeführt, vielmehr werden in Preußen noch etwa 13 Millionen Mark jährlich an Schulgeld erhoben, und es ist auch in der Theorie die Frage der Aufhebung des Schulgeldes an den Volksschulen noch offen und viel bestritten. Die Gründe, die von den Gegnern und den Freunden des Schulgeldes für für ihre Ansichten ins Feld geführt werden, sind finanzielle, soziale, schultechnische und rechtliche. Das Schwergewicht liegt jedoch auf beiden Seiten in den finan¬ ziellen Gründen. Den Ausgangspunkt bildet für beide Parteien die Natur des Schulgeldes. Die Gegner desselben streiten ihm die Gcbühreneigenschaft vollständig ab und nennen es geradezu eine Kopfsteuer, während die Verteidiger des Schulgeldes darauf beharren, daß es nichts als eine reine Gebühr sei. Die erstern meinen, daß, weil der Staat den Besuch der Schule als eine Zwnngspflicht fordere, und zwar in seinem Interesse und in dem der Gemeinde fordere, von einer Gebühr für den Schulbesuch nicht die Rede sein könne, da es zu dem Wesen der Gebühr gehöre, daß die betreffende Staatsthätigkeit aus freien Stücken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/518>, abgerufen am 15.05.2024.