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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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vom wunderschönen Monat Mai.

Vogelweide redet ihn einmal geradezu als Herr Meie an, nach der anmutigen Sitte
des Mittelalters, Sinnliches und Uusiunliches vollständig als Person zu fassen.

Alles in allem: dem mittelalterlichen Menschen gilt der Mai bereits als
Wonnemonat, und diese Auffassung hat die spätere Umdeutung des alten Wortes
vorbereitet. Seitdem aber ist die Verehrung des Namens geblieben, wie die
neuere Lyrik von Goethe bis auf Scheffel satsam beweist.

Von den Pflanzen gehören dem Mai außer der gewöhnlich Maiblume
oder Maiglockenblume genannten oonvkülku'la, besonders die Birke und der Wald¬
meister an. Die Birke entlehnt von dem Monat auch den Namen, ja in
manchen Gegenden Deutschlands ist das Wort Birke so gut wie unbekannt.
Mit Maien schmückt man zu Pfingsten die Häuser, und indem man die er¬
weiterte Form Male neben das Grundwort setzte, schien man mit dem zwei¬
silbiger Worte einen neuen Begriff zu gewinnen; daher kommt es, daß in
Norddeutschland das Wort in der Bedeutung von Birke zum Femininum ge¬
worden ist. Schließlich werden Laub und Zweige aller Art als Maien be¬
zeichnet, wie z. B. Schiller im ersten Akte der "Piccolomini" seinen jugendlichen
Helden sprechen läßt:


Wenn alle Hüte sich und Helme schmücken
Mit grünen Main, dem letzten Rand der Felder;

oder wie Hebel vom Sonntag sagt:


Und luegt eim me de Fenstern i
Mit sinen Augen mild und guet
Und Mitteln Mayen uffem Huck.

^ xotrori aber wird auch der Waldmeister als "Mai" bezeichnet, allerdings
weniger vom Volke als von Liebhabern des edeln Trankes, dem er die Würze
giebt. Und dieser liebenswürdige "Frühling" -- denn ein Frühling ist er im
eigentlichen Sinne des Wortes -- spendet seinen Duft, gleichviel ob der Mai
ein freundliches oder ein böses Gesicht macht. Denn nach Scheffels Zeugnis
hat er einen milden Sinn und hat seine Freude daran, den Menschenkindern
ein Wohlgefallen zu bereiten. Spricht er doch im "Trompeter" die bekannten,
von echt christlicher Denkungsart zeugenden Worte:


Schön war's, hier im dunkeln Tannwald
zwischen Felsen still zu blühen,
aber schöner noch im Mai zu
sterben, mit dein letzten Hauche
freudbedürft'gen Menschenkindern
ihren Maiwein mild durchwürzend.

Und das ist fürwahr ein tröstlicher Gedanke, der ein Gegengewicht gegen den
Zorn der Eisheiligen bilden mag. Wer wollte auch ein solches Opfer zurück¬
weisen? Ist doch der Genuß der duftenden Maibowle so ziemlich die einzige
Art zu malen -- denn auch ein Zeitwort ist aus dem Namen des Wonne-
monates hervorgegangen --, die uns modernen Menschen geblieben ist.




vom wunderschönen Monat Mai.

Vogelweide redet ihn einmal geradezu als Herr Meie an, nach der anmutigen Sitte
des Mittelalters, Sinnliches und Uusiunliches vollständig als Person zu fassen.

Alles in allem: dem mittelalterlichen Menschen gilt der Mai bereits als
Wonnemonat, und diese Auffassung hat die spätere Umdeutung des alten Wortes
vorbereitet. Seitdem aber ist die Verehrung des Namens geblieben, wie die
neuere Lyrik von Goethe bis auf Scheffel satsam beweist.

Von den Pflanzen gehören dem Mai außer der gewöhnlich Maiblume
oder Maiglockenblume genannten oonvkülku'la, besonders die Birke und der Wald¬
meister an. Die Birke entlehnt von dem Monat auch den Namen, ja in
manchen Gegenden Deutschlands ist das Wort Birke so gut wie unbekannt.
Mit Maien schmückt man zu Pfingsten die Häuser, und indem man die er¬
weiterte Form Male neben das Grundwort setzte, schien man mit dem zwei¬
silbiger Worte einen neuen Begriff zu gewinnen; daher kommt es, daß in
Norddeutschland das Wort in der Bedeutung von Birke zum Femininum ge¬
worden ist. Schließlich werden Laub und Zweige aller Art als Maien be¬
zeichnet, wie z. B. Schiller im ersten Akte der „Piccolomini" seinen jugendlichen
Helden sprechen läßt:


Wenn alle Hüte sich und Helme schmücken
Mit grünen Main, dem letzten Rand der Felder;

oder wie Hebel vom Sonntag sagt:


Und luegt eim me de Fenstern i
Mit sinen Augen mild und guet
Und Mitteln Mayen uffem Huck.

^ xotrori aber wird auch der Waldmeister als „Mai" bezeichnet, allerdings
weniger vom Volke als von Liebhabern des edeln Trankes, dem er die Würze
giebt. Und dieser liebenswürdige „Frühling" — denn ein Frühling ist er im
eigentlichen Sinne des Wortes — spendet seinen Duft, gleichviel ob der Mai
ein freundliches oder ein böses Gesicht macht. Denn nach Scheffels Zeugnis
hat er einen milden Sinn und hat seine Freude daran, den Menschenkindern
ein Wohlgefallen zu bereiten. Spricht er doch im „Trompeter" die bekannten,
von echt christlicher Denkungsart zeugenden Worte:


Schön war's, hier im dunkeln Tannwald
zwischen Felsen still zu blühen,
aber schöner noch im Mai zu
sterben, mit dein letzten Hauche
freudbedürft'gen Menschenkindern
ihren Maiwein mild durchwürzend.

Und das ist fürwahr ein tröstlicher Gedanke, der ein Gegengewicht gegen den
Zorn der Eisheiligen bilden mag. Wer wollte auch ein solches Opfer zurück¬
weisen? Ist doch der Genuß der duftenden Maibowle so ziemlich die einzige
Art zu malen — denn auch ein Zeitwort ist aus dem Namen des Wonne-
monates hervorgegangen —, die uns modernen Menschen geblieben ist.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/55>, abgerufen am 14.05.2024.