Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus den hinterlassenen papieren eines preußischen Staatsministers.

zu früh geschehen; das Land war noch viel zu wenig beruhigt, um verständige
Wahlen treffen zu können; die Zusammensetzung war daher eine möglichst un¬
glückliche. Nachdem des Königs Antwort an die Frankfurter Deputation be¬
kannt geworden war, hörte man dort Reden, die der Paulskirche würdig waren,
ja diese noch übertrafen. Ich erinnere mich einer Szene, die folgenreich war.
Der Abgeordnete von Bodelschwingh, bis zum 18. März 1848 Minister, betrat
die Tribüne, um einigen Exaltados zu antworten. Er führte aus, daß es dem
Könige ein leichtes gewesen wäre, den ruchlosen Aufstand am 18. März nieder¬
zuschlagen, daß er aber in seiner unendlichen Milde jedes fernere Blutvergießen
hätte vermeiden wollen und deshalb die Truppen zurückgezogen hätte. Da tobte
die Linke: "Das ist eine Lästerung der ruhmreichen Revolution, herunter von
der Tribüne!" Bodelschwingh blieb ruhig stehen, und nun erhob sich ein Tumult,
wie ich ihn selbst in Frankfurt nicht erlebt hatte. Da sprang ein Abgeordneter
(von Kleist-Retzow) zum Präsidenten hinauf und drückte diesem den Hut auf
den Kopf. Das war nach parlamentarischem Brauch das Zeichen, daß die
Sitzung geschlossen sei. Der Präsident verkündete die nächste Versammlung auf
nachmittags vier Uhr. Ich war wieder dort. Bodelschwingh bestieg die Tribüne
und beendete den vormittags angefangenen Satz uneingeschüchtert und in zäher
Entschlossenheit. Das Haus hielt sich jetzt so ziemlich in seinen Schranken.
Beim Herausgehen sagte ich aber zu meinem Begleiter: "Ich glaube, die Herren
Abgeordneten können die Koffer packen." Am folgenden Tage wurde der Landtag
aufgelöst. Auch ich reiste in meine Heimat.

Nachdem die Deputation nach Frankfurt zurückgekehrt war, wurden die
Verhandlungen in der Paulskirche fortgesetzt. Zum Teil wurden die bis dahin
zurückgelegten Petitionen beraten, in der Hauptsache aber erwogen, was nun in
dieser ungewissen Lage zu thun sei. Die unglaublichsten Reden wurden gehalten,
die tollsten Beschlüsse gefaßt, die blutigste Revolution gepredigt. Da rief der
König die preußischen Abgeordneten zurück. Nun maßte sich die Versammlung
das Recht an, darüber zu entscheiden, ob der König zu solcher Rückberufung
überhaupt ein Recht habe, und entschied sich natürlich für "Nein." Die steno¬
graphischen Berichte weisen nach, daß diese Frage zur namentlicher Abstimmung
kam und von vier- bis fünfhundert Stimmen verneint wurde; nur ein einziger
(von Treskvw-Grocholin) hatte den Mut, laut und bestimmt "Ja" zu rufen.
Viele Preußen blieben dort; einige kehrten zurück.

Als ich diese Verhandlung auf meinem Gute in den Zeitungen las, schrieb
ich sofort an den Präsidenten: Ich könnte es mit meinen Pflichten als preußischer
Unterthan nicht vereinigen, einer Versammlung, die so abgestimmt hätte, länger
anzugehören. Ich trat aus und übernahm wieder meine Landratsgeschäfte.






Für die Redaktion verantwortlich: or. G. Wustmann in Leipzig (in Vertretung).
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig.
Aus den hinterlassenen papieren eines preußischen Staatsministers.

zu früh geschehen; das Land war noch viel zu wenig beruhigt, um verständige
Wahlen treffen zu können; die Zusammensetzung war daher eine möglichst un¬
glückliche. Nachdem des Königs Antwort an die Frankfurter Deputation be¬
kannt geworden war, hörte man dort Reden, die der Paulskirche würdig waren,
ja diese noch übertrafen. Ich erinnere mich einer Szene, die folgenreich war.
Der Abgeordnete von Bodelschwingh, bis zum 18. März 1848 Minister, betrat
die Tribüne, um einigen Exaltados zu antworten. Er führte aus, daß es dem
Könige ein leichtes gewesen wäre, den ruchlosen Aufstand am 18. März nieder¬
zuschlagen, daß er aber in seiner unendlichen Milde jedes fernere Blutvergießen
hätte vermeiden wollen und deshalb die Truppen zurückgezogen hätte. Da tobte
die Linke: „Das ist eine Lästerung der ruhmreichen Revolution, herunter von
der Tribüne!" Bodelschwingh blieb ruhig stehen, und nun erhob sich ein Tumult,
wie ich ihn selbst in Frankfurt nicht erlebt hatte. Da sprang ein Abgeordneter
(von Kleist-Retzow) zum Präsidenten hinauf und drückte diesem den Hut auf
den Kopf. Das war nach parlamentarischem Brauch das Zeichen, daß die
Sitzung geschlossen sei. Der Präsident verkündete die nächste Versammlung auf
nachmittags vier Uhr. Ich war wieder dort. Bodelschwingh bestieg die Tribüne
und beendete den vormittags angefangenen Satz uneingeschüchtert und in zäher
Entschlossenheit. Das Haus hielt sich jetzt so ziemlich in seinen Schranken.
Beim Herausgehen sagte ich aber zu meinem Begleiter: „Ich glaube, die Herren
Abgeordneten können die Koffer packen." Am folgenden Tage wurde der Landtag
aufgelöst. Auch ich reiste in meine Heimat.

Nachdem die Deputation nach Frankfurt zurückgekehrt war, wurden die
Verhandlungen in der Paulskirche fortgesetzt. Zum Teil wurden die bis dahin
zurückgelegten Petitionen beraten, in der Hauptsache aber erwogen, was nun in
dieser ungewissen Lage zu thun sei. Die unglaublichsten Reden wurden gehalten,
die tollsten Beschlüsse gefaßt, die blutigste Revolution gepredigt. Da rief der
König die preußischen Abgeordneten zurück. Nun maßte sich die Versammlung
das Recht an, darüber zu entscheiden, ob der König zu solcher Rückberufung
überhaupt ein Recht habe, und entschied sich natürlich für „Nein." Die steno¬
graphischen Berichte weisen nach, daß diese Frage zur namentlicher Abstimmung
kam und von vier- bis fünfhundert Stimmen verneint wurde; nur ein einziger
(von Treskvw-Grocholin) hatte den Mut, laut und bestimmt „Ja" zu rufen.
Viele Preußen blieben dort; einige kehrten zurück.

Als ich diese Verhandlung auf meinem Gute in den Zeitungen las, schrieb
ich sofort an den Präsidenten: Ich könnte es mit meinen Pflichten als preußischer
Unterthan nicht vereinigen, einer Versammlung, die so abgestimmt hätte, länger
anzugehören. Ich trat aus und übernahm wieder meine Landratsgeschäfte.






Für die Redaktion verantwortlich: or. G. Wustmann in Leipzig (in Vertretung).
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0552" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201331"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus den hinterlassenen papieren eines preußischen Staatsministers.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1828" prev="#ID_1827"> zu früh geschehen; das Land war noch viel zu wenig beruhigt, um verständige<lb/>
Wahlen treffen zu können; die Zusammensetzung war daher eine möglichst un¬<lb/>
glückliche. Nachdem des Königs Antwort an die Frankfurter Deputation be¬<lb/>
kannt geworden war, hörte man dort Reden, die der Paulskirche würdig waren,<lb/>
ja diese noch übertrafen. Ich erinnere mich einer Szene, die folgenreich war.<lb/>
Der Abgeordnete von Bodelschwingh, bis zum 18. März 1848 Minister, betrat<lb/>
die Tribüne, um einigen Exaltados zu antworten. Er führte aus, daß es dem<lb/>
Könige ein leichtes gewesen wäre, den ruchlosen Aufstand am 18. März nieder¬<lb/>
zuschlagen, daß er aber in seiner unendlichen Milde jedes fernere Blutvergießen<lb/>
hätte vermeiden wollen und deshalb die Truppen zurückgezogen hätte. Da tobte<lb/>
die Linke: &#x201E;Das ist eine Lästerung der ruhmreichen Revolution, herunter von<lb/>
der Tribüne!" Bodelschwingh blieb ruhig stehen, und nun erhob sich ein Tumult,<lb/>
wie ich ihn selbst in Frankfurt nicht erlebt hatte. Da sprang ein Abgeordneter<lb/>
(von Kleist-Retzow) zum Präsidenten hinauf und drückte diesem den Hut auf<lb/>
den Kopf. Das war nach parlamentarischem Brauch das Zeichen, daß die<lb/>
Sitzung geschlossen sei. Der Präsident verkündete die nächste Versammlung auf<lb/>
nachmittags vier Uhr. Ich war wieder dort. Bodelschwingh bestieg die Tribüne<lb/>
und beendete den vormittags angefangenen Satz uneingeschüchtert und in zäher<lb/>
Entschlossenheit. Das Haus hielt sich jetzt so ziemlich in seinen Schranken.<lb/>
Beim Herausgehen sagte ich aber zu meinem Begleiter: &#x201E;Ich glaube, die Herren<lb/>
Abgeordneten können die Koffer packen." Am folgenden Tage wurde der Landtag<lb/>
aufgelöst.  Auch ich reiste in meine Heimat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1829"> Nachdem die Deputation nach Frankfurt zurückgekehrt war, wurden die<lb/>
Verhandlungen in der Paulskirche fortgesetzt. Zum Teil wurden die bis dahin<lb/>
zurückgelegten Petitionen beraten, in der Hauptsache aber erwogen, was nun in<lb/>
dieser ungewissen Lage zu thun sei. Die unglaublichsten Reden wurden gehalten,<lb/>
die tollsten Beschlüsse gefaßt, die blutigste Revolution gepredigt. Da rief der<lb/>
König die preußischen Abgeordneten zurück. Nun maßte sich die Versammlung<lb/>
das Recht an, darüber zu entscheiden, ob der König zu solcher Rückberufung<lb/>
überhaupt ein Recht habe, und entschied sich natürlich für &#x201E;Nein." Die steno¬<lb/>
graphischen Berichte weisen nach, daß diese Frage zur namentlicher Abstimmung<lb/>
kam und von vier- bis fünfhundert Stimmen verneint wurde; nur ein einziger<lb/>
(von Treskvw-Grocholin) hatte den Mut, laut und bestimmt &#x201E;Ja" zu rufen.<lb/>
Viele Preußen blieben dort; einige kehrten zurück.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1830"> Als ich diese Verhandlung auf meinem Gute in den Zeitungen las, schrieb<lb/>
ich sofort an den Präsidenten: Ich könnte es mit meinen Pflichten als preußischer<lb/>
Unterthan nicht vereinigen, einer Versammlung, die so abgestimmt hätte, länger<lb/>
anzugehören.  Ich trat aus und übernahm wieder meine Landratsgeschäfte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: or. G. Wustmann in Leipzig (in Vertretung).<lb/>
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. &#x2014; Druck von Carl Marquart in Leipzig.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0552] Aus den hinterlassenen papieren eines preußischen Staatsministers. zu früh geschehen; das Land war noch viel zu wenig beruhigt, um verständige Wahlen treffen zu können; die Zusammensetzung war daher eine möglichst un¬ glückliche. Nachdem des Königs Antwort an die Frankfurter Deputation be¬ kannt geworden war, hörte man dort Reden, die der Paulskirche würdig waren, ja diese noch übertrafen. Ich erinnere mich einer Szene, die folgenreich war. Der Abgeordnete von Bodelschwingh, bis zum 18. März 1848 Minister, betrat die Tribüne, um einigen Exaltados zu antworten. Er führte aus, daß es dem Könige ein leichtes gewesen wäre, den ruchlosen Aufstand am 18. März nieder¬ zuschlagen, daß er aber in seiner unendlichen Milde jedes fernere Blutvergießen hätte vermeiden wollen und deshalb die Truppen zurückgezogen hätte. Da tobte die Linke: „Das ist eine Lästerung der ruhmreichen Revolution, herunter von der Tribüne!" Bodelschwingh blieb ruhig stehen, und nun erhob sich ein Tumult, wie ich ihn selbst in Frankfurt nicht erlebt hatte. Da sprang ein Abgeordneter (von Kleist-Retzow) zum Präsidenten hinauf und drückte diesem den Hut auf den Kopf. Das war nach parlamentarischem Brauch das Zeichen, daß die Sitzung geschlossen sei. Der Präsident verkündete die nächste Versammlung auf nachmittags vier Uhr. Ich war wieder dort. Bodelschwingh bestieg die Tribüne und beendete den vormittags angefangenen Satz uneingeschüchtert und in zäher Entschlossenheit. Das Haus hielt sich jetzt so ziemlich in seinen Schranken. Beim Herausgehen sagte ich aber zu meinem Begleiter: „Ich glaube, die Herren Abgeordneten können die Koffer packen." Am folgenden Tage wurde der Landtag aufgelöst. Auch ich reiste in meine Heimat. Nachdem die Deputation nach Frankfurt zurückgekehrt war, wurden die Verhandlungen in der Paulskirche fortgesetzt. Zum Teil wurden die bis dahin zurückgelegten Petitionen beraten, in der Hauptsache aber erwogen, was nun in dieser ungewissen Lage zu thun sei. Die unglaublichsten Reden wurden gehalten, die tollsten Beschlüsse gefaßt, die blutigste Revolution gepredigt. Da rief der König die preußischen Abgeordneten zurück. Nun maßte sich die Versammlung das Recht an, darüber zu entscheiden, ob der König zu solcher Rückberufung überhaupt ein Recht habe, und entschied sich natürlich für „Nein." Die steno¬ graphischen Berichte weisen nach, daß diese Frage zur namentlicher Abstimmung kam und von vier- bis fünfhundert Stimmen verneint wurde; nur ein einziger (von Treskvw-Grocholin) hatte den Mut, laut und bestimmt „Ja" zu rufen. Viele Preußen blieben dort; einige kehrten zurück. Als ich diese Verhandlung auf meinem Gute in den Zeitungen las, schrieb ich sofort an den Präsidenten: Ich könnte es mit meinen Pflichten als preußischer Unterthan nicht vereinigen, einer Versammlung, die so abgestimmt hätte, länger anzugehören. Ich trat aus und übernahm wieder meine Landratsgeschäfte. Für die Redaktion verantwortlich: or. G. Wustmann in Leipzig (in Vertretung). Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/552
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/552>, abgerufen am 14.05.2024.