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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Stammverwandtschaft und tDasfenbrüderfchcift mit England.

Die Antipathie der Engländer, Welche der Kaiser Mf sich bezogen hatte, fiel
über ni ihren Wirkungen Sus dets Reich zurück, Vergebens beriefen sich die
Reichskreise Mf das geheiligte Kö'Nigswort, die Unter dem großen Siegel des
Landes verpfändete Ehre von England. Die Torhininister hielten für gut, die
Wen i!N Bezug auf Händel und Kolonien MA Frankreich gewährten Zugeständ¬
nisse, deren sie bedurften, Ani sich zu behaupten, durch Nachgiebigkeit in Bezug
auf die deutschen Grenzen zU erwiedern. Straßburg diente zur Ausgleichung
für Se. Christoph und Neufundland, Soweit Ranke.

Straßburg ward dein Stockfisch geopfert. Aber die Engländer haben uns
Ungefähr hundert Jahre später Noch einmal um den Elsaß gebracht, worüber
wir Treitschke reden lassen. Nach der zweiten Einnahme von Paris machte
Wellington einen Meisterstreich britischer Diplomatie, der dem gewandtesten
Londoner Stockjobber zur Ehre gereichte. Ohne bei den verbündeten Höfen
auch nur anzufragen, ließ er Ludwig XVIII. unter dem Schutze englischer
Bajonnette in die Tuilerien einziehen. Als die drei Monarchen am Abend des
10. Juli in Paris eintrafen, saß König Ludwig seit zwei Tagen wieder auf
seinem Throne und empfing sie als leutseliger Hausherr. Was frommte es,
daß Blücher jede seiner Einladungen ausschlug? Die zweite Restauration
war vollzogen, durch England allein; an die Wiedervertreibung der Bourbonen
konnte keine der andern Mächte im Ernste denken. Durch diese vollendete That¬
sache vereitelte die britische Politik zugleich die gerechten Forderungen der
deutschen Nation. Die Abtrennung von Elsaß-Lothringen war möglich, wenn
die Alliirten sich zunächst unter sich einigten und dann den Bourbonen in das
verkleinerte Königreich zurückriefen; sie war unerreichbar, wenn Man darüber
Mit einem befreundeten Könige verhandeln mußte.

Die Leistungen Englands während des dreißigjährigen Krieges faßt Ranke
in Bezug auf Deutschland so zusammen: Von einer vollkräftigen Einwirkung
auf die großen Fragen der Religion und des Staates, welche den Kontinent
beschäftigten, trat Karl I. zurück, um vor allen Dingen König von Britannien
zu sein. Man kann freilich fragen, ob er moralisch berechtigt war, sich von
den kontinentalen Angelegenheiten loszusagen, nachdem er soviel dazu beigetragen
hatte, die Verwirrung zu vermehren, die protestantische Sache ins Verderben
zu führen.

Wie es trotzdem und alledem gekommen, daß sich in Preußen eine ver¬
trauensvolle Zuneigung zu England gebildet und lange erhalten hat, das wäre
eine dankbare Aufgabe für die junge Wissenschaft der Völkerpsychologie, deren
Losung unter anderm eine vergleichende Durchforschung der Literatur beider
Länder erfordern würde bis auf Rousseaus Mylord Edouard zurück; man muß
alte Jahrgänge der "Taschenbücher" mit Goldschnitt und zierlichem Gehäuse,
die unsre Väter oder Mütter einander zu Neujahr zu verehren liebten, und
längst vergessene Romane durchblättern, um zu sehen, eine wie reiche Nachkommen-


Grenzbvten III. 1837. 70
Stammverwandtschaft und tDasfenbrüderfchcift mit England.

Die Antipathie der Engländer, Welche der Kaiser Mf sich bezogen hatte, fiel
über ni ihren Wirkungen Sus dets Reich zurück, Vergebens beriefen sich die
Reichskreise Mf das geheiligte Kö'Nigswort, die Unter dem großen Siegel des
Landes verpfändete Ehre von England. Die Torhininister hielten für gut, die
Wen i!N Bezug auf Händel und Kolonien MA Frankreich gewährten Zugeständ¬
nisse, deren sie bedurften, Ani sich zu behaupten, durch Nachgiebigkeit in Bezug
auf die deutschen Grenzen zU erwiedern. Straßburg diente zur Ausgleichung
für Se. Christoph und Neufundland, Soweit Ranke.

Straßburg ward dein Stockfisch geopfert. Aber die Engländer haben uns
Ungefähr hundert Jahre später Noch einmal um den Elsaß gebracht, worüber
wir Treitschke reden lassen. Nach der zweiten Einnahme von Paris machte
Wellington einen Meisterstreich britischer Diplomatie, der dem gewandtesten
Londoner Stockjobber zur Ehre gereichte. Ohne bei den verbündeten Höfen
auch nur anzufragen, ließ er Ludwig XVIII. unter dem Schutze englischer
Bajonnette in die Tuilerien einziehen. Als die drei Monarchen am Abend des
10. Juli in Paris eintrafen, saß König Ludwig seit zwei Tagen wieder auf
seinem Throne und empfing sie als leutseliger Hausherr. Was frommte es,
daß Blücher jede seiner Einladungen ausschlug? Die zweite Restauration
war vollzogen, durch England allein; an die Wiedervertreibung der Bourbonen
konnte keine der andern Mächte im Ernste denken. Durch diese vollendete That¬
sache vereitelte die britische Politik zugleich die gerechten Forderungen der
deutschen Nation. Die Abtrennung von Elsaß-Lothringen war möglich, wenn
die Alliirten sich zunächst unter sich einigten und dann den Bourbonen in das
verkleinerte Königreich zurückriefen; sie war unerreichbar, wenn Man darüber
Mit einem befreundeten Könige verhandeln mußte.

Die Leistungen Englands während des dreißigjährigen Krieges faßt Ranke
in Bezug auf Deutschland so zusammen: Von einer vollkräftigen Einwirkung
auf die großen Fragen der Religion und des Staates, welche den Kontinent
beschäftigten, trat Karl I. zurück, um vor allen Dingen König von Britannien
zu sein. Man kann freilich fragen, ob er moralisch berechtigt war, sich von
den kontinentalen Angelegenheiten loszusagen, nachdem er soviel dazu beigetragen
hatte, die Verwirrung zu vermehren, die protestantische Sache ins Verderben
zu führen.

Wie es trotzdem und alledem gekommen, daß sich in Preußen eine ver¬
trauensvolle Zuneigung zu England gebildet und lange erhalten hat, das wäre
eine dankbare Aufgabe für die junge Wissenschaft der Völkerpsychologie, deren
Losung unter anderm eine vergleichende Durchforschung der Literatur beider
Länder erfordern würde bis auf Rousseaus Mylord Edouard zurück; man muß
alte Jahrgänge der „Taschenbücher" mit Goldschnitt und zierlichem Gehäuse,
die unsre Väter oder Mütter einander zu Neujahr zu verehren liebten, und
längst vergessene Romane durchblättern, um zu sehen, eine wie reiche Nachkommen-


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[0561] Stammverwandtschaft und tDasfenbrüderfchcift mit England. Die Antipathie der Engländer, Welche der Kaiser Mf sich bezogen hatte, fiel über ni ihren Wirkungen Sus dets Reich zurück, Vergebens beriefen sich die Reichskreise Mf das geheiligte Kö'Nigswort, die Unter dem großen Siegel des Landes verpfändete Ehre von England. Die Torhininister hielten für gut, die Wen i!N Bezug auf Händel und Kolonien MA Frankreich gewährten Zugeständ¬ nisse, deren sie bedurften, Ani sich zu behaupten, durch Nachgiebigkeit in Bezug auf die deutschen Grenzen zU erwiedern. Straßburg diente zur Ausgleichung für Se. Christoph und Neufundland, Soweit Ranke. Straßburg ward dein Stockfisch geopfert. Aber die Engländer haben uns Ungefähr hundert Jahre später Noch einmal um den Elsaß gebracht, worüber wir Treitschke reden lassen. Nach der zweiten Einnahme von Paris machte Wellington einen Meisterstreich britischer Diplomatie, der dem gewandtesten Londoner Stockjobber zur Ehre gereichte. Ohne bei den verbündeten Höfen auch nur anzufragen, ließ er Ludwig XVIII. unter dem Schutze englischer Bajonnette in die Tuilerien einziehen. Als die drei Monarchen am Abend des 10. Juli in Paris eintrafen, saß König Ludwig seit zwei Tagen wieder auf seinem Throne und empfing sie als leutseliger Hausherr. Was frommte es, daß Blücher jede seiner Einladungen ausschlug? Die zweite Restauration war vollzogen, durch England allein; an die Wiedervertreibung der Bourbonen konnte keine der andern Mächte im Ernste denken. Durch diese vollendete That¬ sache vereitelte die britische Politik zugleich die gerechten Forderungen der deutschen Nation. Die Abtrennung von Elsaß-Lothringen war möglich, wenn die Alliirten sich zunächst unter sich einigten und dann den Bourbonen in das verkleinerte Königreich zurückriefen; sie war unerreichbar, wenn Man darüber Mit einem befreundeten Könige verhandeln mußte. Die Leistungen Englands während des dreißigjährigen Krieges faßt Ranke in Bezug auf Deutschland so zusammen: Von einer vollkräftigen Einwirkung auf die großen Fragen der Religion und des Staates, welche den Kontinent beschäftigten, trat Karl I. zurück, um vor allen Dingen König von Britannien zu sein. Man kann freilich fragen, ob er moralisch berechtigt war, sich von den kontinentalen Angelegenheiten loszusagen, nachdem er soviel dazu beigetragen hatte, die Verwirrung zu vermehren, die protestantische Sache ins Verderben zu führen. Wie es trotzdem und alledem gekommen, daß sich in Preußen eine ver¬ trauensvolle Zuneigung zu England gebildet und lange erhalten hat, das wäre eine dankbare Aufgabe für die junge Wissenschaft der Völkerpsychologie, deren Losung unter anderm eine vergleichende Durchforschung der Literatur beider Länder erfordern würde bis auf Rousseaus Mylord Edouard zurück; man muß alte Jahrgänge der „Taschenbücher" mit Goldschnitt und zierlichem Gehäuse, die unsre Väter oder Mütter einander zu Neujahr zu verehren liebten, und längst vergessene Romane durchblättern, um zu sehen, eine wie reiche Nachkommen- Grenzbvten III. 1837. 70

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/561>, abgerufen am 14.05.2024.