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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Englische Feldherren.

aus guten Quellen andrer Art schöpfend, zwar etwas breit, aber klar und über¬
sichtlich, sodaß mich Laien sich zurechtfinden, und wenn die an Nüstvws hage-
büchene Redeweise erinnernde Form der Urteile, die er fällt, oft derber, zuweilen
gröber ist, als daß wir uns feine Ausdrücke aneignen möchten, fo können wir
doch ihrem Inhalte fast immer beipflichten, d. h. da, wo der Soldat spricht,
nicht, wo der russisch gesinnte Panslawist sich einmischt.

Der einzige englische Heerführer der letzten beiden Jahrzehnte, dem An¬
erkennung gebührt, ist der General Roberts, der im letzten Kriege mit den
Afghanen wiederholt die Hauptrolle spielte, aber auch mehr durch Kühnheit und
rücksichtslose Anspannung und Ausnutzung der Kräfte seiner Soldaten als durch
strategische Begabung Erfolge errang, sodaß wir ihn mit Steinmetz vergleichen
dürften, wenn seine Verdienste nicht dadurch verringert würden, daß seine Gegner
schlecht geführte und nur teilweise wohlbewaffnete und gut geübte Halbwilde
waren. Roberts gewann die Schlacht bei Peiwar, aber durch ein Verfahren,
welches als sehr gewagt bezeichnet werden muß und einem europäischen Heere
gegenüber aller Wahrscheinlichkeit nach mißlungen wäre. Seine Umgehung der
afghanischen Stellung zersplitterte die ohnehin nicht starken englischen Streit¬
kräfte in drei Teile, von denen keiner dem andern rasch zu Hilfe kommen konnte,
wenn er angegriffen wurde. Jedenfalls wurden die Afghanen dnrch feinen Um-
gehungsmarsch geradezu aufgefordert, das Korps des Generals Cvbbe anzufallen
und mit Übermacht zu vernichten, und war dies geschehen, so konnten sie ruhig
ihre Front wenden und in dieser Stellung den Angriff Roberts' abwarten, der
sie mit seinen vier stark erschöpften Regimentern schwerlich zu werfen imstande
gewesen wäre. Im Gegenteil, alles spricht dafür, daß Roberts geschlagen, von
den beiden übrigen Regimentern abgedrängt und in das Innere des Landes
getrieben worden wäre, wo es ihm sehr schwer gefallen sein würde, sich wieder
hercuiszuhelfen. So hatten die Afghanen bei Peiwar gute Aussichten, Roberts
eine Katastrophe zu bereiten. Sie besaßen aber keinen Feldherrn mit einem
Blicke, der dies erkannt hätte, verstanden überhaupt nicht viel von taktischen
Bewegungen, und so ließen sie sich von dem bloßen Anscheine einer Bedrohung
ihrer Rückzngslinie schrecken. Die Verwegenheit des englischen Generals läßt
sich nur damit entschuldigen, daß er diese Unfähigkeit des Gegners kannte und
darauf rechnete, aber er hatte immerhin von Glück zu sagen, daß er sich nicht
verrechnete. Glück und Zufall begünstigten in diesem Feldzuge überhaupt die
englischen Generale, von denen keiner als Roberts sich auszeichnete und mehrere
Mangel an Vorsicht, Scharfblick und Entschlossenheit an den Tag legten. Be¬
sonders wenig Energie bewies Viddulph bei seinem Vormarsche gegen Kandahar,
ganz unfähig zeigte sich Burrows während des Nachspiels, welches der Krieg
zwischen Kandahar und Herat hatte. Er ließ sich von Ejub Chan wiederholt,
bei Girischk und bei Kuschk i Ncchud, umgehen und erlitt darauf bei Maiwand
eine schwere Niederlage, bei welcher die Engländer gegen 1300 Mann auf dem


Englische Feldherren.

aus guten Quellen andrer Art schöpfend, zwar etwas breit, aber klar und über¬
sichtlich, sodaß mich Laien sich zurechtfinden, und wenn die an Nüstvws hage-
büchene Redeweise erinnernde Form der Urteile, die er fällt, oft derber, zuweilen
gröber ist, als daß wir uns feine Ausdrücke aneignen möchten, fo können wir
doch ihrem Inhalte fast immer beipflichten, d. h. da, wo der Soldat spricht,
nicht, wo der russisch gesinnte Panslawist sich einmischt.

Der einzige englische Heerführer der letzten beiden Jahrzehnte, dem An¬
erkennung gebührt, ist der General Roberts, der im letzten Kriege mit den
Afghanen wiederholt die Hauptrolle spielte, aber auch mehr durch Kühnheit und
rücksichtslose Anspannung und Ausnutzung der Kräfte seiner Soldaten als durch
strategische Begabung Erfolge errang, sodaß wir ihn mit Steinmetz vergleichen
dürften, wenn seine Verdienste nicht dadurch verringert würden, daß seine Gegner
schlecht geführte und nur teilweise wohlbewaffnete und gut geübte Halbwilde
waren. Roberts gewann die Schlacht bei Peiwar, aber durch ein Verfahren,
welches als sehr gewagt bezeichnet werden muß und einem europäischen Heere
gegenüber aller Wahrscheinlichkeit nach mißlungen wäre. Seine Umgehung der
afghanischen Stellung zersplitterte die ohnehin nicht starken englischen Streit¬
kräfte in drei Teile, von denen keiner dem andern rasch zu Hilfe kommen konnte,
wenn er angegriffen wurde. Jedenfalls wurden die Afghanen dnrch feinen Um-
gehungsmarsch geradezu aufgefordert, das Korps des Generals Cvbbe anzufallen
und mit Übermacht zu vernichten, und war dies geschehen, so konnten sie ruhig
ihre Front wenden und in dieser Stellung den Angriff Roberts' abwarten, der
sie mit seinen vier stark erschöpften Regimentern schwerlich zu werfen imstande
gewesen wäre. Im Gegenteil, alles spricht dafür, daß Roberts geschlagen, von
den beiden übrigen Regimentern abgedrängt und in das Innere des Landes
getrieben worden wäre, wo es ihm sehr schwer gefallen sein würde, sich wieder
hercuiszuhelfen. So hatten die Afghanen bei Peiwar gute Aussichten, Roberts
eine Katastrophe zu bereiten. Sie besaßen aber keinen Feldherrn mit einem
Blicke, der dies erkannt hätte, verstanden überhaupt nicht viel von taktischen
Bewegungen, und so ließen sie sich von dem bloßen Anscheine einer Bedrohung
ihrer Rückzngslinie schrecken. Die Verwegenheit des englischen Generals läßt
sich nur damit entschuldigen, daß er diese Unfähigkeit des Gegners kannte und
darauf rechnete, aber er hatte immerhin von Glück zu sagen, daß er sich nicht
verrechnete. Glück und Zufall begünstigten in diesem Feldzuge überhaupt die
englischen Generale, von denen keiner als Roberts sich auszeichnete und mehrere
Mangel an Vorsicht, Scharfblick und Entschlossenheit an den Tag legten. Be¬
sonders wenig Energie bewies Viddulph bei seinem Vormarsche gegen Kandahar,
ganz unfähig zeigte sich Burrows während des Nachspiels, welches der Krieg
zwischen Kandahar und Herat hatte. Er ließ sich von Ejub Chan wiederholt,
bei Girischk und bei Kuschk i Ncchud, umgehen und erlitt darauf bei Maiwand
eine schwere Niederlage, bei welcher die Engländer gegen 1300 Mann auf dem


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[0602] Englische Feldherren. aus guten Quellen andrer Art schöpfend, zwar etwas breit, aber klar und über¬ sichtlich, sodaß mich Laien sich zurechtfinden, und wenn die an Nüstvws hage- büchene Redeweise erinnernde Form der Urteile, die er fällt, oft derber, zuweilen gröber ist, als daß wir uns feine Ausdrücke aneignen möchten, fo können wir doch ihrem Inhalte fast immer beipflichten, d. h. da, wo der Soldat spricht, nicht, wo der russisch gesinnte Panslawist sich einmischt. Der einzige englische Heerführer der letzten beiden Jahrzehnte, dem An¬ erkennung gebührt, ist der General Roberts, der im letzten Kriege mit den Afghanen wiederholt die Hauptrolle spielte, aber auch mehr durch Kühnheit und rücksichtslose Anspannung und Ausnutzung der Kräfte seiner Soldaten als durch strategische Begabung Erfolge errang, sodaß wir ihn mit Steinmetz vergleichen dürften, wenn seine Verdienste nicht dadurch verringert würden, daß seine Gegner schlecht geführte und nur teilweise wohlbewaffnete und gut geübte Halbwilde waren. Roberts gewann die Schlacht bei Peiwar, aber durch ein Verfahren, welches als sehr gewagt bezeichnet werden muß und einem europäischen Heere gegenüber aller Wahrscheinlichkeit nach mißlungen wäre. Seine Umgehung der afghanischen Stellung zersplitterte die ohnehin nicht starken englischen Streit¬ kräfte in drei Teile, von denen keiner dem andern rasch zu Hilfe kommen konnte, wenn er angegriffen wurde. Jedenfalls wurden die Afghanen dnrch feinen Um- gehungsmarsch geradezu aufgefordert, das Korps des Generals Cvbbe anzufallen und mit Übermacht zu vernichten, und war dies geschehen, so konnten sie ruhig ihre Front wenden und in dieser Stellung den Angriff Roberts' abwarten, der sie mit seinen vier stark erschöpften Regimentern schwerlich zu werfen imstande gewesen wäre. Im Gegenteil, alles spricht dafür, daß Roberts geschlagen, von den beiden übrigen Regimentern abgedrängt und in das Innere des Landes getrieben worden wäre, wo es ihm sehr schwer gefallen sein würde, sich wieder hercuiszuhelfen. So hatten die Afghanen bei Peiwar gute Aussichten, Roberts eine Katastrophe zu bereiten. Sie besaßen aber keinen Feldherrn mit einem Blicke, der dies erkannt hätte, verstanden überhaupt nicht viel von taktischen Bewegungen, und so ließen sie sich von dem bloßen Anscheine einer Bedrohung ihrer Rückzngslinie schrecken. Die Verwegenheit des englischen Generals läßt sich nur damit entschuldigen, daß er diese Unfähigkeit des Gegners kannte und darauf rechnete, aber er hatte immerhin von Glück zu sagen, daß er sich nicht verrechnete. Glück und Zufall begünstigten in diesem Feldzuge überhaupt die englischen Generale, von denen keiner als Roberts sich auszeichnete und mehrere Mangel an Vorsicht, Scharfblick und Entschlossenheit an den Tag legten. Be¬ sonders wenig Energie bewies Viddulph bei seinem Vormarsche gegen Kandahar, ganz unfähig zeigte sich Burrows während des Nachspiels, welches der Krieg zwischen Kandahar und Herat hatte. Er ließ sich von Ejub Chan wiederholt, bei Girischk und bei Kuschk i Ncchud, umgehen und erlitt darauf bei Maiwand eine schwere Niederlage, bei welcher die Engländer gegen 1300 Mann auf dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/602>, abgerufen am 15.05.2024.