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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Innere Kolonisation.

Vom Standpunkte des allgemeinen Wohles kann ein derartiges Hinübergehen
des Grund und Bodens, als des bleibenden Urquells für die Erzeugung der
Güter, in Kapitalshände nicht gutgeheißen werden. Anderseits muß eingeräumt
werden, daß, so sehr im Stciatsintcresfe das Vorhandensein eines tüchtigen Gro߬
grundbesitzes überhaupt liegt, das Überwiegen dieses Standes vom staatliche,,
Gesichtspunkte aus nicht zu billigen ist. An diesem Überwiegen des Großgrund¬
besitzes krankt geradezu der Osten des preußischen Staates. Man blicke nur
auf Pommern. Obgleich fast die ganze Ostseeküste jetzt preußisch ist. obgleich
für Schifffahrt und Handel viel geschehen ist, ein großes und reiches Eisen¬
bahnnetz sich über dieses Land spannt, ist, wie die letzte Volkszählung erweist,
die Bevölkerung fast mit alleiniger Ausnahme Stettins reißend schnell zurück¬
gegangen, der beste Maßstab nicht bloß für den Stillstand, sondern für den
Rückgang des wirtschaftlichen und kommerziellen Lebens. In einer Zeit riesigen
Aufschwunges auf allen Gebieten im deutschen Reiche geht die Bevölkerung einer
großen Provinz des preußischen Staates zurück. Giebt dies nicht zu denken?
Auf den größeren Gütern herrscht ein solcher Arbeitermangel, daß die Besitzer
gezwungen und dabei noch froh sind, diesen Arbeitermangel durch ständige
Trupps aus den Gefängnissen der benachbarten Städte zu decken. Die Aus¬
wanderung aus den östlichen Provinzen, namentlich auch aus Pommern, ist
dabei trotzdem die stärkste. Es ist kein Raum, es ist kein Grund und Boden,
auf dem die Leute sich ausbreiten können, eben weil Großgrundbesitz an Gro߬
grundbesitz liegt. Freilich klingt das eben Gesagte unglaublich, wenn man
beispielsweise die Gegeud von Stargard in Pommern bis Kostin bereist und
meilenweit kein Haus, kein Dorf steht. Dort sollte uicht genug Grund und
Boden zu Vesiedelungen sein?

Auch sonst herrscht in Pommern mit wenigen Ausnahmen, wie Stettin
und Stargard, kein Leben, insbesondre nicht auf industriellem, kommerziellen
Gebiete. Denn Industrie kaun nur blühen, wo eine dichte ländliche, ackerbau¬
treibende Bevölkerung zur Abnahme der industriellen Erzeugnisse imstande ist.
Selbst größere Städte wie Pasewalk. Anklam, Demmin haben eine irgendwie er¬
hebliche Vevölterungszuuahme bei der letzten Volkszählung nicht aufweisen können.

Wenn man nun annimmt, daß eine Familie von acht bis zehn Köpfen bei
"nein Areal von zwanzig Morgen sich gut ernähren kann, so ist leicht zu be¬
rechnen, wie vielen Millionen im Osten ein Herd durch Ankauf von Großgrund¬
besitz vonseiten des Staates gegründet werden könnte. Durch eine derartige
Maßregel würde dem notleidende" Großgrundbesitz noch am ehesten geholfen,
"'dem manchem die Rettung eines Teiles seines ursprünglichen Vermögens er¬
möglicht würde. Wie viel andre guten Folgen würden aber an diese Ma߬
regel sich wieder knüpfen! Der immer mehr zunehmenden Entvölkerung des
Ostens würde zunächst vorgebeugt werden. Der Osten ist aber für den preu-
ßischen Staat immer einer der wichtigsten Teile gewesen. Von dort ist seine


Innere Kolonisation.

Vom Standpunkte des allgemeinen Wohles kann ein derartiges Hinübergehen
des Grund und Bodens, als des bleibenden Urquells für die Erzeugung der
Güter, in Kapitalshände nicht gutgeheißen werden. Anderseits muß eingeräumt
werden, daß, so sehr im Stciatsintcresfe das Vorhandensein eines tüchtigen Gro߬
grundbesitzes überhaupt liegt, das Überwiegen dieses Standes vom staatliche,,
Gesichtspunkte aus nicht zu billigen ist. An diesem Überwiegen des Großgrund¬
besitzes krankt geradezu der Osten des preußischen Staates. Man blicke nur
auf Pommern. Obgleich fast die ganze Ostseeküste jetzt preußisch ist. obgleich
für Schifffahrt und Handel viel geschehen ist, ein großes und reiches Eisen¬
bahnnetz sich über dieses Land spannt, ist, wie die letzte Volkszählung erweist,
die Bevölkerung fast mit alleiniger Ausnahme Stettins reißend schnell zurück¬
gegangen, der beste Maßstab nicht bloß für den Stillstand, sondern für den
Rückgang des wirtschaftlichen und kommerziellen Lebens. In einer Zeit riesigen
Aufschwunges auf allen Gebieten im deutschen Reiche geht die Bevölkerung einer
großen Provinz des preußischen Staates zurück. Giebt dies nicht zu denken?
Auf den größeren Gütern herrscht ein solcher Arbeitermangel, daß die Besitzer
gezwungen und dabei noch froh sind, diesen Arbeitermangel durch ständige
Trupps aus den Gefängnissen der benachbarten Städte zu decken. Die Aus¬
wanderung aus den östlichen Provinzen, namentlich auch aus Pommern, ist
dabei trotzdem die stärkste. Es ist kein Raum, es ist kein Grund und Boden,
auf dem die Leute sich ausbreiten können, eben weil Großgrundbesitz an Gro߬
grundbesitz liegt. Freilich klingt das eben Gesagte unglaublich, wenn man
beispielsweise die Gegeud von Stargard in Pommern bis Kostin bereist und
meilenweit kein Haus, kein Dorf steht. Dort sollte uicht genug Grund und
Boden zu Vesiedelungen sein?

Auch sonst herrscht in Pommern mit wenigen Ausnahmen, wie Stettin
und Stargard, kein Leben, insbesondre nicht auf industriellem, kommerziellen
Gebiete. Denn Industrie kaun nur blühen, wo eine dichte ländliche, ackerbau¬
treibende Bevölkerung zur Abnahme der industriellen Erzeugnisse imstande ist.
Selbst größere Städte wie Pasewalk. Anklam, Demmin haben eine irgendwie er¬
hebliche Vevölterungszuuahme bei der letzten Volkszählung nicht aufweisen können.

Wenn man nun annimmt, daß eine Familie von acht bis zehn Köpfen bei
"nein Areal von zwanzig Morgen sich gut ernähren kann, so ist leicht zu be¬
rechnen, wie vielen Millionen im Osten ein Herd durch Ankauf von Großgrund¬
besitz vonseiten des Staates gegründet werden könnte. Durch eine derartige
Maßregel würde dem notleidende« Großgrundbesitz noch am ehesten geholfen,
"'dem manchem die Rettung eines Teiles seines ursprünglichen Vermögens er¬
möglicht würde. Wie viel andre guten Folgen würden aber an diese Ma߬
regel sich wieder knüpfen! Der immer mehr zunehmenden Entvölkerung des
Ostens würde zunächst vorgebeugt werden. Der Osten ist aber für den preu-
ßischen Staat immer einer der wichtigsten Teile gewesen. Von dort ist seine


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[0611] Innere Kolonisation. Vom Standpunkte des allgemeinen Wohles kann ein derartiges Hinübergehen des Grund und Bodens, als des bleibenden Urquells für die Erzeugung der Güter, in Kapitalshände nicht gutgeheißen werden. Anderseits muß eingeräumt werden, daß, so sehr im Stciatsintcresfe das Vorhandensein eines tüchtigen Gro߬ grundbesitzes überhaupt liegt, das Überwiegen dieses Standes vom staatliche,, Gesichtspunkte aus nicht zu billigen ist. An diesem Überwiegen des Großgrund¬ besitzes krankt geradezu der Osten des preußischen Staates. Man blicke nur auf Pommern. Obgleich fast die ganze Ostseeküste jetzt preußisch ist. obgleich für Schifffahrt und Handel viel geschehen ist, ein großes und reiches Eisen¬ bahnnetz sich über dieses Land spannt, ist, wie die letzte Volkszählung erweist, die Bevölkerung fast mit alleiniger Ausnahme Stettins reißend schnell zurück¬ gegangen, der beste Maßstab nicht bloß für den Stillstand, sondern für den Rückgang des wirtschaftlichen und kommerziellen Lebens. In einer Zeit riesigen Aufschwunges auf allen Gebieten im deutschen Reiche geht die Bevölkerung einer großen Provinz des preußischen Staates zurück. Giebt dies nicht zu denken? Auf den größeren Gütern herrscht ein solcher Arbeitermangel, daß die Besitzer gezwungen und dabei noch froh sind, diesen Arbeitermangel durch ständige Trupps aus den Gefängnissen der benachbarten Städte zu decken. Die Aus¬ wanderung aus den östlichen Provinzen, namentlich auch aus Pommern, ist dabei trotzdem die stärkste. Es ist kein Raum, es ist kein Grund und Boden, auf dem die Leute sich ausbreiten können, eben weil Großgrundbesitz an Gro߬ grundbesitz liegt. Freilich klingt das eben Gesagte unglaublich, wenn man beispielsweise die Gegeud von Stargard in Pommern bis Kostin bereist und meilenweit kein Haus, kein Dorf steht. Dort sollte uicht genug Grund und Boden zu Vesiedelungen sein? Auch sonst herrscht in Pommern mit wenigen Ausnahmen, wie Stettin und Stargard, kein Leben, insbesondre nicht auf industriellem, kommerziellen Gebiete. Denn Industrie kaun nur blühen, wo eine dichte ländliche, ackerbau¬ treibende Bevölkerung zur Abnahme der industriellen Erzeugnisse imstande ist. Selbst größere Städte wie Pasewalk. Anklam, Demmin haben eine irgendwie er¬ hebliche Vevölterungszuuahme bei der letzten Volkszählung nicht aufweisen können. Wenn man nun annimmt, daß eine Familie von acht bis zehn Köpfen bei "nein Areal von zwanzig Morgen sich gut ernähren kann, so ist leicht zu be¬ rechnen, wie vielen Millionen im Osten ein Herd durch Ankauf von Großgrund¬ besitz vonseiten des Staates gegründet werden könnte. Durch eine derartige Maßregel würde dem notleidende« Großgrundbesitz noch am ehesten geholfen, "'dem manchem die Rettung eines Teiles seines ursprünglichen Vermögens er¬ möglicht würde. Wie viel andre guten Folgen würden aber an diese Ma߬ regel sich wieder knüpfen! Der immer mehr zunehmenden Entvölkerung des Ostens würde zunächst vorgebeugt werden. Der Osten ist aber für den preu- ßischen Staat immer einer der wichtigsten Teile gewesen. Von dort ist seine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/611>, abgerufen am 31.05.2024.