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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Der Aampf des Zentrums gegen die Staatsschule.

sind. Darum sind die Worte des römischen Pastors Lehnen aus der Eifel
und des Dr. Windthorst auf der Trierer Katholikenversammlung so sieges¬
gewiß und freudig. Die Schulaufsicht soll wieder durch Aufhebung des mühsam
zu stände gekommenen Anfsichtsgesetzes vom 11. März 1872 den Priestern als
den gebornen und göttlich bevollmächtigten Leitern der Schulen zurückgegeben
werden, die nicht im Auftrage des Staates handeln, sondern im Auftrag der
Kirche. Der römische Religionsunterricht geht den Staat nichts an, ebenso¬
wenig die Erziehung und Wahl der Religionslehrer. Überhaupt soll der Staat
zu fühlen bekommen, daß er nnr mit Unrecht der Schulherr geworden ist, daß
er vielmehr sein Schulrccht an die Familie abgeben muß, und daß der Ver¬
treter der Familie niemand anders sein kann als die Kirche.

Das ist der echte katholische Grundsatz. Wie er sich im einzelnen be¬
gründet, ist zwar gleichgiltig dem Sinne nach, aber lehrreich in geschichtlicher
Beziehung. Eine große Rolle spielt dabei das Wort ini Evangelinm Johannes
21, Is. In diesem später angefügten Anhang zum Evangelinm wird Jesu das
bekannte dreimalige Gebot an Petrus in den Mund gelegt: Weide meine Lämmer,
hüte meine Schafe n. s. w. Hieraus soll nach den katholischen Gelehrten sonnen¬
klar hervorgehen, daß die ganze Erziehung von unter bis oben von Christus
nicht dem Staate, sondern Petrus und seinen römischen Nachfolgern übertragen
worden sei, die natürlich die Geistlichen, da sie selbst nicht überall schulmeistern
können, dazu benutzen und anstellen. Darnach ist es also sinnlos, daß der Staat
sich ein Erziehungsrecht angemaßt hat, nach biblisch-römischen Auslegungskünsten
kann er so Großes uicht leisten, er sollte sich darauf beschränken, der römischen
Kirche die irdischen Mittel reichlich darzubringen, die das Schulwesen erfordert.

Wie gesagt, der Gebrauch dieser Bibelstelle ist eine gleichgiltige Sache
für den, der zwischen Petrus und der christlichen Kirche einen Unterschied fest¬
hält, der Nachfolger Petri nicht kennt und praktische Verhältnisse nicht nach
dem Johannes-Evangelium regeln will. Aber es ist ihm wichtig, wie tief oft
Unterschiede in der Auffassung heutiger Dinge, in diesem Fall des heutigen
Unterrichts, in die Wurzeln menschlichen Vorstellens hinabreichen. Denn offenbar
hängt die zu fassende Ansicht von dem Staatsschulwesen mit der so sehr schwie¬
rigen Auffassung des ganzen Staatsbegriffs und des Staatszweckes insbesondre
zusammen, und darauf wird die Debatte im Landtage, wenn sie gründlich geführt
wird, notwendig zurückkommen müssen.

Bevor wir uns aber auf diese abstrakten Dinge einlassen, fragen wir nach
den vorläufigen Aussichten, die der parlamentarische Schulkampf bei uns haben
dürfte. Wie ist der jetzige Zustand des Staatsschulwesens? Ist er schon hin¬
länglich in den Vorstellungen und Gemütern der Mehrheit befestigt? Ist er
wirklich so, daß der Staat die kirchlichen Wünsche durch sein Schulwesen verletzt?
Läßt sich leicht darauf eine Agitation des Zentrums begründen, die dem Staat
bedrohlich erscheinen müßte bei gewissen äußern oder innern Verwicklungen,


Der Aampf des Zentrums gegen die Staatsschule.

sind. Darum sind die Worte des römischen Pastors Lehnen aus der Eifel
und des Dr. Windthorst auf der Trierer Katholikenversammlung so sieges¬
gewiß und freudig. Die Schulaufsicht soll wieder durch Aufhebung des mühsam
zu stände gekommenen Anfsichtsgesetzes vom 11. März 1872 den Priestern als
den gebornen und göttlich bevollmächtigten Leitern der Schulen zurückgegeben
werden, die nicht im Auftrage des Staates handeln, sondern im Auftrag der
Kirche. Der römische Religionsunterricht geht den Staat nichts an, ebenso¬
wenig die Erziehung und Wahl der Religionslehrer. Überhaupt soll der Staat
zu fühlen bekommen, daß er nnr mit Unrecht der Schulherr geworden ist, daß
er vielmehr sein Schulrccht an die Familie abgeben muß, und daß der Ver¬
treter der Familie niemand anders sein kann als die Kirche.

Das ist der echte katholische Grundsatz. Wie er sich im einzelnen be¬
gründet, ist zwar gleichgiltig dem Sinne nach, aber lehrreich in geschichtlicher
Beziehung. Eine große Rolle spielt dabei das Wort ini Evangelinm Johannes
21, Is. In diesem später angefügten Anhang zum Evangelinm wird Jesu das
bekannte dreimalige Gebot an Petrus in den Mund gelegt: Weide meine Lämmer,
hüte meine Schafe n. s. w. Hieraus soll nach den katholischen Gelehrten sonnen¬
klar hervorgehen, daß die ganze Erziehung von unter bis oben von Christus
nicht dem Staate, sondern Petrus und seinen römischen Nachfolgern übertragen
worden sei, die natürlich die Geistlichen, da sie selbst nicht überall schulmeistern
können, dazu benutzen und anstellen. Darnach ist es also sinnlos, daß der Staat
sich ein Erziehungsrecht angemaßt hat, nach biblisch-römischen Auslegungskünsten
kann er so Großes uicht leisten, er sollte sich darauf beschränken, der römischen
Kirche die irdischen Mittel reichlich darzubringen, die das Schulwesen erfordert.

Wie gesagt, der Gebrauch dieser Bibelstelle ist eine gleichgiltige Sache
für den, der zwischen Petrus und der christlichen Kirche einen Unterschied fest¬
hält, der Nachfolger Petri nicht kennt und praktische Verhältnisse nicht nach
dem Johannes-Evangelium regeln will. Aber es ist ihm wichtig, wie tief oft
Unterschiede in der Auffassung heutiger Dinge, in diesem Fall des heutigen
Unterrichts, in die Wurzeln menschlichen Vorstellens hinabreichen. Denn offenbar
hängt die zu fassende Ansicht von dem Staatsschulwesen mit der so sehr schwie¬
rigen Auffassung des ganzen Staatsbegriffs und des Staatszweckes insbesondre
zusammen, und darauf wird die Debatte im Landtage, wenn sie gründlich geführt
wird, notwendig zurückkommen müssen.

Bevor wir uns aber auf diese abstrakten Dinge einlassen, fragen wir nach
den vorläufigen Aussichten, die der parlamentarische Schulkampf bei uns haben
dürfte. Wie ist der jetzige Zustand des Staatsschulwesens? Ist er schon hin¬
länglich in den Vorstellungen und Gemütern der Mehrheit befestigt? Ist er
wirklich so, daß der Staat die kirchlichen Wünsche durch sein Schulwesen verletzt?
Läßt sich leicht darauf eine Agitation des Zentrums begründen, die dem Staat
bedrohlich erscheinen müßte bei gewissen äußern oder innern Verwicklungen,


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[0614] Der Aampf des Zentrums gegen die Staatsschule. sind. Darum sind die Worte des römischen Pastors Lehnen aus der Eifel und des Dr. Windthorst auf der Trierer Katholikenversammlung so sieges¬ gewiß und freudig. Die Schulaufsicht soll wieder durch Aufhebung des mühsam zu stände gekommenen Anfsichtsgesetzes vom 11. März 1872 den Priestern als den gebornen und göttlich bevollmächtigten Leitern der Schulen zurückgegeben werden, die nicht im Auftrage des Staates handeln, sondern im Auftrag der Kirche. Der römische Religionsunterricht geht den Staat nichts an, ebenso¬ wenig die Erziehung und Wahl der Religionslehrer. Überhaupt soll der Staat zu fühlen bekommen, daß er nnr mit Unrecht der Schulherr geworden ist, daß er vielmehr sein Schulrccht an die Familie abgeben muß, und daß der Ver¬ treter der Familie niemand anders sein kann als die Kirche. Das ist der echte katholische Grundsatz. Wie er sich im einzelnen be¬ gründet, ist zwar gleichgiltig dem Sinne nach, aber lehrreich in geschichtlicher Beziehung. Eine große Rolle spielt dabei das Wort ini Evangelinm Johannes 21, Is. In diesem später angefügten Anhang zum Evangelinm wird Jesu das bekannte dreimalige Gebot an Petrus in den Mund gelegt: Weide meine Lämmer, hüte meine Schafe n. s. w. Hieraus soll nach den katholischen Gelehrten sonnen¬ klar hervorgehen, daß die ganze Erziehung von unter bis oben von Christus nicht dem Staate, sondern Petrus und seinen römischen Nachfolgern übertragen worden sei, die natürlich die Geistlichen, da sie selbst nicht überall schulmeistern können, dazu benutzen und anstellen. Darnach ist es also sinnlos, daß der Staat sich ein Erziehungsrecht angemaßt hat, nach biblisch-römischen Auslegungskünsten kann er so Großes uicht leisten, er sollte sich darauf beschränken, der römischen Kirche die irdischen Mittel reichlich darzubringen, die das Schulwesen erfordert. Wie gesagt, der Gebrauch dieser Bibelstelle ist eine gleichgiltige Sache für den, der zwischen Petrus und der christlichen Kirche einen Unterschied fest¬ hält, der Nachfolger Petri nicht kennt und praktische Verhältnisse nicht nach dem Johannes-Evangelium regeln will. Aber es ist ihm wichtig, wie tief oft Unterschiede in der Auffassung heutiger Dinge, in diesem Fall des heutigen Unterrichts, in die Wurzeln menschlichen Vorstellens hinabreichen. Denn offenbar hängt die zu fassende Ansicht von dem Staatsschulwesen mit der so sehr schwie¬ rigen Auffassung des ganzen Staatsbegriffs und des Staatszweckes insbesondre zusammen, und darauf wird die Debatte im Landtage, wenn sie gründlich geführt wird, notwendig zurückkommen müssen. Bevor wir uns aber auf diese abstrakten Dinge einlassen, fragen wir nach den vorläufigen Aussichten, die der parlamentarische Schulkampf bei uns haben dürfte. Wie ist der jetzige Zustand des Staatsschulwesens? Ist er schon hin¬ länglich in den Vorstellungen und Gemütern der Mehrheit befestigt? Ist er wirklich so, daß der Staat die kirchlichen Wünsche durch sein Schulwesen verletzt? Läßt sich leicht darauf eine Agitation des Zentrums begründen, die dem Staat bedrohlich erscheinen müßte bei gewissen äußern oder innern Verwicklungen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/614>, abgerufen am 15.05.2024.