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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Line Berliner Faustauffiihrung.

(was auch im geistigen Sinne gilt), sehr anerkennenswert. Er ermöglichte zu¬
gleich eine ungezwungenere und deutlichere Betonung des "Ist gerettet," als im
Deutschen Theater, wo man es kaum vernimmt und, beiläufig eine mindestens
seltsame Verballhornung der sixtinischen Madonna) einen sehr unmalerischen
Schlußanblick (ein seitliches Drittel der Hinteren kahlen Kerkerwand wird ohne
Spur lebendigen Verhältnisses plötzlich durch diese Dekoration ersetzt) dem
Zuschauer auf den Weg giebt. Die tolle Bilderbogen- und Guckkastenbühne
Devrients ruft übrigens bei dieser Gelegenheit gerade einen unschätzbaren Vor¬
teil in Erinnerung, den sie gewährte. Nämlich die Zusammendrängung der
Gretchcnszenen auf ihr richtiges zeitliches Maß. Das Herauf und Herunter
des Vorhanges ist in der letzten Hälfte leider ein aufdringlich starker Teil der
Handlung. O Jdealbühne mit den Dekorationsandeutungen, wann werden wir
endlich zu dir vorschreiten!

Es drängt uns sehr und würde ja durchaus entsprechend sein, gerade am
Schlüsse dieses Aufsatzes von dem Geist, der stets verneint, auch noch ein kräftig
Wörtlein zu sagen. Er ist bekanntlich ein Schalk, und nicht zum geringsten
deshalb, daß er sich eben nicht einheitlich greisen läßt und sich zu verwandeln
liebt in allerlei Geistes gestalt. Wir sahen einen, dem gelegentlich nur Hörner
und Klauen fehlten und dann wieder die Schellenkappe. Einmal ("Trüber Tag.
Feld") hatte er sich sogar als eine Art Sphinx oder Pyramide auf einem
Felsen postirt, als ob er Meister Urian selber wäre. Den tröstlichen Lebenschor
der Kleinen von den Seinen "Weh, weh, du hast sie zerstört, die schöne
Welt" ließ er dem verzweifelnde" Faust nicht ertönen. Es war ein recht auf¬
geblasener Teufel. Aber es würde zu weit führen. Eine bis ins einzelne
gehende Musterung der Striche des Deutschen Theaters und Erwägung der
Stellen, die eher wegfallen könnten (wenn man denn durchaus nicht eine Viertel¬
stunde länger sitzen will), wäre sür diesmal wichtiger. Wir nennen z. B. nur
die lange Abschweifung des Mephistopheles auf den "Herrn Mikrokosmus,"
die den Poeten des Deutschen Theaters sehr gefallen haben muß. Aber wir
mochten gern den Schein vermeiden, als ob wir als Goethephilologen sprächen.
Aber gerade, weil es eine Goethephilologie giebt, muß das Obige einmal zur
Sprache kommen, selbst wenn es, wie bei unsern Bühnen beinahe anzunehmen
ist, nichts helfen sollte. Denn "daß dem Menschen nichts Vollkommnes wird,"
verstehen sie ja vor allem uns zu zeigen.




Line Berliner Faustauffiihrung.

(was auch im geistigen Sinne gilt), sehr anerkennenswert. Er ermöglichte zu¬
gleich eine ungezwungenere und deutlichere Betonung des „Ist gerettet," als im
Deutschen Theater, wo man es kaum vernimmt und, beiläufig eine mindestens
seltsame Verballhornung der sixtinischen Madonna) einen sehr unmalerischen
Schlußanblick (ein seitliches Drittel der Hinteren kahlen Kerkerwand wird ohne
Spur lebendigen Verhältnisses plötzlich durch diese Dekoration ersetzt) dem
Zuschauer auf den Weg giebt. Die tolle Bilderbogen- und Guckkastenbühne
Devrients ruft übrigens bei dieser Gelegenheit gerade einen unschätzbaren Vor¬
teil in Erinnerung, den sie gewährte. Nämlich die Zusammendrängung der
Gretchcnszenen auf ihr richtiges zeitliches Maß. Das Herauf und Herunter
des Vorhanges ist in der letzten Hälfte leider ein aufdringlich starker Teil der
Handlung. O Jdealbühne mit den Dekorationsandeutungen, wann werden wir
endlich zu dir vorschreiten!

Es drängt uns sehr und würde ja durchaus entsprechend sein, gerade am
Schlüsse dieses Aufsatzes von dem Geist, der stets verneint, auch noch ein kräftig
Wörtlein zu sagen. Er ist bekanntlich ein Schalk, und nicht zum geringsten
deshalb, daß er sich eben nicht einheitlich greisen läßt und sich zu verwandeln
liebt in allerlei Geistes gestalt. Wir sahen einen, dem gelegentlich nur Hörner
und Klauen fehlten und dann wieder die Schellenkappe. Einmal („Trüber Tag.
Feld") hatte er sich sogar als eine Art Sphinx oder Pyramide auf einem
Felsen postirt, als ob er Meister Urian selber wäre. Den tröstlichen Lebenschor
der Kleinen von den Seinen „Weh, weh, du hast sie zerstört, die schöne
Welt" ließ er dem verzweifelnde» Faust nicht ertönen. Es war ein recht auf¬
geblasener Teufel. Aber es würde zu weit führen. Eine bis ins einzelne
gehende Musterung der Striche des Deutschen Theaters und Erwägung der
Stellen, die eher wegfallen könnten (wenn man denn durchaus nicht eine Viertel¬
stunde länger sitzen will), wäre sür diesmal wichtiger. Wir nennen z. B. nur
die lange Abschweifung des Mephistopheles auf den „Herrn Mikrokosmus,"
die den Poeten des Deutschen Theaters sehr gefallen haben muß. Aber wir
mochten gern den Schein vermeiden, als ob wir als Goethephilologen sprächen.
Aber gerade, weil es eine Goethephilologie giebt, muß das Obige einmal zur
Sprache kommen, selbst wenn es, wie bei unsern Bühnen beinahe anzunehmen
ist, nichts helfen sollte. Denn „daß dem Menschen nichts Vollkommnes wird,"
verstehen sie ja vor allem uns zu zeigen.




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[0635] Line Berliner Faustauffiihrung. (was auch im geistigen Sinne gilt), sehr anerkennenswert. Er ermöglichte zu¬ gleich eine ungezwungenere und deutlichere Betonung des „Ist gerettet," als im Deutschen Theater, wo man es kaum vernimmt und, beiläufig eine mindestens seltsame Verballhornung der sixtinischen Madonna) einen sehr unmalerischen Schlußanblick (ein seitliches Drittel der Hinteren kahlen Kerkerwand wird ohne Spur lebendigen Verhältnisses plötzlich durch diese Dekoration ersetzt) dem Zuschauer auf den Weg giebt. Die tolle Bilderbogen- und Guckkastenbühne Devrients ruft übrigens bei dieser Gelegenheit gerade einen unschätzbaren Vor¬ teil in Erinnerung, den sie gewährte. Nämlich die Zusammendrängung der Gretchcnszenen auf ihr richtiges zeitliches Maß. Das Herauf und Herunter des Vorhanges ist in der letzten Hälfte leider ein aufdringlich starker Teil der Handlung. O Jdealbühne mit den Dekorationsandeutungen, wann werden wir endlich zu dir vorschreiten! Es drängt uns sehr und würde ja durchaus entsprechend sein, gerade am Schlüsse dieses Aufsatzes von dem Geist, der stets verneint, auch noch ein kräftig Wörtlein zu sagen. Er ist bekanntlich ein Schalk, und nicht zum geringsten deshalb, daß er sich eben nicht einheitlich greisen läßt und sich zu verwandeln liebt in allerlei Geistes gestalt. Wir sahen einen, dem gelegentlich nur Hörner und Klauen fehlten und dann wieder die Schellenkappe. Einmal („Trüber Tag. Feld") hatte er sich sogar als eine Art Sphinx oder Pyramide auf einem Felsen postirt, als ob er Meister Urian selber wäre. Den tröstlichen Lebenschor der Kleinen von den Seinen „Weh, weh, du hast sie zerstört, die schöne Welt" ließ er dem verzweifelnde» Faust nicht ertönen. Es war ein recht auf¬ geblasener Teufel. Aber es würde zu weit führen. Eine bis ins einzelne gehende Musterung der Striche des Deutschen Theaters und Erwägung der Stellen, die eher wegfallen könnten (wenn man denn durchaus nicht eine Viertel¬ stunde länger sitzen will), wäre sür diesmal wichtiger. Wir nennen z. B. nur die lange Abschweifung des Mephistopheles auf den „Herrn Mikrokosmus," die den Poeten des Deutschen Theaters sehr gefallen haben muß. Aber wir mochten gern den Schein vermeiden, als ob wir als Goethephilologen sprächen. Aber gerade, weil es eine Goethephilologie giebt, muß das Obige einmal zur Sprache kommen, selbst wenn es, wie bei unsern Bühnen beinahe anzunehmen ist, nichts helfen sollte. Denn „daß dem Menschen nichts Vollkommnes wird," verstehen sie ja vor allem uns zu zeigen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/635>, abgerufen am 15.05.2024.