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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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Ans einer Ameisenstadt.

zusammenhängenden Bau hinwegschnellen würde. Bewundernswürdiger als
jene Kraft der Ameisen sind ihre Bauten. Die Schlösser oder Türme oder
wie man es sonst nennen mag, welche sie aufführen, sind zuweilen von einer
Höhe, daß die Pyramiden lächerlich klein dagegen erscheinen, wenn wir bedenken,
daß diese von Menschengemeinschaften, jene von Jnsektenvölkern geschaffen sind;
denn die Mrniioa, rulÄ, unsre gewöhnliche Hvlzameise, errichtet Bauten von einem
Meter Höhe und zweieinhalb Meter Durchmesser und braucht dazu nicht mehr
Wochen als die Pyramidenbauer Menschenalter. Sind andre Ameisengemeinden
mit kleineren Wohnungen zufrieden, so ist es, weil sie keine größeren bedürfen.
Alle aber bewegen sich in ihren unterirdischen Galerien, Hallen und Straßen
in der Ordnung und mit der Rührigkeit einer thätigen und wohlregierten Gro߬
stadt. Es giebt hier nichts von dem Individualismus, der uus von unsern
Freisinnigen als alleinseligmachende Lehre angepriesen wird. In Ameisenland
wird kein Unsinn gelehrt und geübt wie der, nach welchem alle gleich gut, groß,
wertvoll sein sollen und darum gleichen Anspruch auf Herrschaft und Genuß
hätten. Die monarchische Verfassung der Bevölkerung dieses Landes, die so alt
wie der Bernstein ist, in welchem wir Ameisenmumien eingebettet finden, ist
niemals Mißbräuchen und Veränderungen ausgesetzt gewesen, vermutlich weil
sie von Anfang an sich mit dem Ideale einer Ameisenkonstitution deckte. Nach
ihr giebt es Stufen oder Stände und keine Neigung, ans ihnen heraus, weiter,
höher zu kommen. Jede Stadt hat ihre Königin, die in doppeltem Sinne zu¬
gleich Landesmutter ist, indem sie als Gebcirerin und als Gebieterin der Bürger
verehrt und geliebt wird. Es giebt ferner in jeder Stadt Männchen mit vier
und Weibchen mit zwei Flügeln, beide nur zur Fortpflanzung des Geschlechts
vorhanden, die einen träge und kurzlebig, die andern rühriger, von längerer
Lebensdauer und dann sehr fruchtbar, eine Eigenschaft, mit der sie unter Um¬
ständen zur königlichen Würde gelangen können, indem sie Kolonien gründen.
Dazu tritt endlich die vierte Klasse: die Hauptmasse der Einwohnerschaft
bilden die geschlechtslosen Arbeiter, welche gar keine Flügel haben, dafür aber
eine Menge vortrefflicher Eigenschaften besitzen, die sie zu den Erhaltern, Be¬
schützern und Verwaltern der Individuen machen, aus welchen das gemeine
Wesen besteht. Sie sind seine Ammen, seine Krieger, seine Bauleute und seine
Versorger. Sie laufen in der Brutzeit umher, um die Eier aufzulesen, die
Ihre Majestät hie und da fallen läßt, und sie fein säuberlich an die Sonne
zu schaffen, welche sie auszubrüten hat. Sie Pflegen mit unendlicher Hingebung
und Sorgfalt die Ameisenkindchen, wenn sie als kleine Maden der Eihülle ent¬
steigen, legen sie bei Tage in die warmen obern Gemächer und des Abends in
die unteren Gänge des Haufens, damit die Nachtluft ihnen nicht schade. Sie
schaffen ferner Massen von allerhand Nahrungsmitteln in die Ameiscnstadt und
füllen damit auch magazinartige Räume, sodaß es ein Irrtum zu sein scheint,
wenn man behauptet hat, die Ameise sammle keine Vorräte für den Winter ein-


Ans einer Ameisenstadt.

zusammenhängenden Bau hinwegschnellen würde. Bewundernswürdiger als
jene Kraft der Ameisen sind ihre Bauten. Die Schlösser oder Türme oder
wie man es sonst nennen mag, welche sie aufführen, sind zuweilen von einer
Höhe, daß die Pyramiden lächerlich klein dagegen erscheinen, wenn wir bedenken,
daß diese von Menschengemeinschaften, jene von Jnsektenvölkern geschaffen sind;
denn die Mrniioa, rulÄ, unsre gewöhnliche Hvlzameise, errichtet Bauten von einem
Meter Höhe und zweieinhalb Meter Durchmesser und braucht dazu nicht mehr
Wochen als die Pyramidenbauer Menschenalter. Sind andre Ameisengemeinden
mit kleineren Wohnungen zufrieden, so ist es, weil sie keine größeren bedürfen.
Alle aber bewegen sich in ihren unterirdischen Galerien, Hallen und Straßen
in der Ordnung und mit der Rührigkeit einer thätigen und wohlregierten Gro߬
stadt. Es giebt hier nichts von dem Individualismus, der uus von unsern
Freisinnigen als alleinseligmachende Lehre angepriesen wird. In Ameisenland
wird kein Unsinn gelehrt und geübt wie der, nach welchem alle gleich gut, groß,
wertvoll sein sollen und darum gleichen Anspruch auf Herrschaft und Genuß
hätten. Die monarchische Verfassung der Bevölkerung dieses Landes, die so alt
wie der Bernstein ist, in welchem wir Ameisenmumien eingebettet finden, ist
niemals Mißbräuchen und Veränderungen ausgesetzt gewesen, vermutlich weil
sie von Anfang an sich mit dem Ideale einer Ameisenkonstitution deckte. Nach
ihr giebt es Stufen oder Stände und keine Neigung, ans ihnen heraus, weiter,
höher zu kommen. Jede Stadt hat ihre Königin, die in doppeltem Sinne zu¬
gleich Landesmutter ist, indem sie als Gebcirerin und als Gebieterin der Bürger
verehrt und geliebt wird. Es giebt ferner in jeder Stadt Männchen mit vier
und Weibchen mit zwei Flügeln, beide nur zur Fortpflanzung des Geschlechts
vorhanden, die einen träge und kurzlebig, die andern rühriger, von längerer
Lebensdauer und dann sehr fruchtbar, eine Eigenschaft, mit der sie unter Um¬
ständen zur königlichen Würde gelangen können, indem sie Kolonien gründen.
Dazu tritt endlich die vierte Klasse: die Hauptmasse der Einwohnerschaft
bilden die geschlechtslosen Arbeiter, welche gar keine Flügel haben, dafür aber
eine Menge vortrefflicher Eigenschaften besitzen, die sie zu den Erhaltern, Be¬
schützern und Verwaltern der Individuen machen, aus welchen das gemeine
Wesen besteht. Sie sind seine Ammen, seine Krieger, seine Bauleute und seine
Versorger. Sie laufen in der Brutzeit umher, um die Eier aufzulesen, die
Ihre Majestät hie und da fallen läßt, und sie fein säuberlich an die Sonne
zu schaffen, welche sie auszubrüten hat. Sie Pflegen mit unendlicher Hingebung
und Sorgfalt die Ameisenkindchen, wenn sie als kleine Maden der Eihülle ent¬
steigen, legen sie bei Tage in die warmen obern Gemächer und des Abends in
die unteren Gänge des Haufens, damit die Nachtluft ihnen nicht schade. Sie
schaffen ferner Massen von allerhand Nahrungsmitteln in die Ameiscnstadt und
füllen damit auch magazinartige Räume, sodaß es ein Irrtum zu sein scheint,
wenn man behauptet hat, die Ameise sammle keine Vorräte für den Winter ein-


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[0637] Ans einer Ameisenstadt. zusammenhängenden Bau hinwegschnellen würde. Bewundernswürdiger als jene Kraft der Ameisen sind ihre Bauten. Die Schlösser oder Türme oder wie man es sonst nennen mag, welche sie aufführen, sind zuweilen von einer Höhe, daß die Pyramiden lächerlich klein dagegen erscheinen, wenn wir bedenken, daß diese von Menschengemeinschaften, jene von Jnsektenvölkern geschaffen sind; denn die Mrniioa, rulÄ, unsre gewöhnliche Hvlzameise, errichtet Bauten von einem Meter Höhe und zweieinhalb Meter Durchmesser und braucht dazu nicht mehr Wochen als die Pyramidenbauer Menschenalter. Sind andre Ameisengemeinden mit kleineren Wohnungen zufrieden, so ist es, weil sie keine größeren bedürfen. Alle aber bewegen sich in ihren unterirdischen Galerien, Hallen und Straßen in der Ordnung und mit der Rührigkeit einer thätigen und wohlregierten Gro߬ stadt. Es giebt hier nichts von dem Individualismus, der uus von unsern Freisinnigen als alleinseligmachende Lehre angepriesen wird. In Ameisenland wird kein Unsinn gelehrt und geübt wie der, nach welchem alle gleich gut, groß, wertvoll sein sollen und darum gleichen Anspruch auf Herrschaft und Genuß hätten. Die monarchische Verfassung der Bevölkerung dieses Landes, die so alt wie der Bernstein ist, in welchem wir Ameisenmumien eingebettet finden, ist niemals Mißbräuchen und Veränderungen ausgesetzt gewesen, vermutlich weil sie von Anfang an sich mit dem Ideale einer Ameisenkonstitution deckte. Nach ihr giebt es Stufen oder Stände und keine Neigung, ans ihnen heraus, weiter, höher zu kommen. Jede Stadt hat ihre Königin, die in doppeltem Sinne zu¬ gleich Landesmutter ist, indem sie als Gebcirerin und als Gebieterin der Bürger verehrt und geliebt wird. Es giebt ferner in jeder Stadt Männchen mit vier und Weibchen mit zwei Flügeln, beide nur zur Fortpflanzung des Geschlechts vorhanden, die einen träge und kurzlebig, die andern rühriger, von längerer Lebensdauer und dann sehr fruchtbar, eine Eigenschaft, mit der sie unter Um¬ ständen zur königlichen Würde gelangen können, indem sie Kolonien gründen. Dazu tritt endlich die vierte Klasse: die Hauptmasse der Einwohnerschaft bilden die geschlechtslosen Arbeiter, welche gar keine Flügel haben, dafür aber eine Menge vortrefflicher Eigenschaften besitzen, die sie zu den Erhaltern, Be¬ schützern und Verwaltern der Individuen machen, aus welchen das gemeine Wesen besteht. Sie sind seine Ammen, seine Krieger, seine Bauleute und seine Versorger. Sie laufen in der Brutzeit umher, um die Eier aufzulesen, die Ihre Majestät hie und da fallen läßt, und sie fein säuberlich an die Sonne zu schaffen, welche sie auszubrüten hat. Sie Pflegen mit unendlicher Hingebung und Sorgfalt die Ameisenkindchen, wenn sie als kleine Maden der Eihülle ent¬ steigen, legen sie bei Tage in die warmen obern Gemächer und des Abends in die unteren Gänge des Haufens, damit die Nachtluft ihnen nicht schade. Sie schaffen ferner Massen von allerhand Nahrungsmitteln in die Ameiscnstadt und füllen damit auch magazinartige Räume, sodaß es ein Irrtum zu sein scheint, wenn man behauptet hat, die Ameise sammle keine Vorräte für den Winter ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/637>, abgerufen am 15.05.2024.