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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr.

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nicht immer gerecht geworden ist. Die Römer und ihnen folgend die Fran¬
zosen stellen sie gern als Barbaren dar, denen der Tag zwischen Aufregung und
Anspannung aller Kräfte und faulem Lagern auf den Bärenhäuter wechselte.
Gewaltthätig und unbedachtsam seien sie gewesen, es habe ihnen an Ausdauer
und Sündhaftigkeit, an Ordnungssinn und Arbeitsliebe gefehlt. Alles das
werfen die Römer den Germanen vor. Aber es wäre doch wenig ersprießlich,
alle diese Vorwürfe aneinanderzureihen, die von verschiedenen Männern bei
verschiedenen Anlässen gefallen sind. Anderseits hat man zu viel geschlossen
ans der Art und Weise, wie Tacitus bei aller Überlegenheit des Kulturmenschen
ihre Einrichtungen darstellt mit einer ans geheimer Furcht und unwillkürlicher
Achtung zusammengeflossenen Empfindung und mit patriotischer Beklemmung. Eine
Ahnung späterer Entwicklung darf man ihm deswegen noch nicht leihen, weil
es leicht fiel, ein wirksames, scharf nmrisscnes Bild ihrer Eigentümlichkeiten
zu entwerfen, die uns durch ihre Gruppirung einen wohlberechneten Gegensatz
gegen die Verderbnis des römischen Volkes und Staates bilden. So hebt er
vor allem den Freiheitssinn hervor, der auch zwischen Adel und Gcmeinfreien
keinen Unterschied der Rechte und Pflichten zuließ und über nngeerbten Vorrang
die Tüchtigkeit des Mannes stellte. Die Voraussetzung desselben ist eben auch
die wesentlich soziale Gleichheit der Volksgenosse", da alle neben der Jagd
und Viehzucht leichter Ackerbau nährte, gleichviel ob der Adliche und Reichere
ihn durch Pächter und Knechte betrieb oder der freie Bauer selbst Hand anlegte.
Und bei der Wahl der Richter und Häuptlinge war jedes Mißtrauen der Nie¬
dern gegen die Hohen ausgeschlossen; dieselbe Gleichheit zeigte sich auch in der
Pflege des Rechtes als allgemeinen Besitztums -- nicht wie bei den Römern
oder Griechen in früherer Zeit als Erbweisheit bevorrechteten Adels oft eigen¬
nützig mißbraucht. Leibesstrafen, Beraubung der Freiheit, schimpfliche Hin¬
richtung war deshalb den Germanen dieser Zeit etwas Unbekanntes, die Volks¬
genossen entschieden, dnrch Abtretung von Gütern konnte der Verurteilte Buße
leisten -- so wenig galt Recht und Sicherheit als eine unpersönliche Hoheit
die verletzt worden war.

Diese wesentliche Gleichheit der Volksgenossen rang gegen den Eintritt in
eine Welt, die auf Unterjochung und Ungleichheit gebaut war, und das römische
Reich fand eine Schranke an der Todesverachtung und Tapferkeit der unter
sich so uneinigen Stämme, die fast nichts als ihre Art zu leben und zu sein
zu verteidigen hatten. Nur die Not der Ernährung ihrer anwachsenden Volks¬
menge trieb sie zum Angriff, und als die Verteidigungskraft des römischen
Reiches nachließ, erfüllten sich die verödeten Landschaften jenseits der bisherigen
Grenze mit germanischer Bauernbevölkerung.

Und dadurch endete die bisherige Abgeschlossenheit der binnenländischen
Stämme. Durch die Franken, deren Herrschaft an der Westgrenze sich bildend
nach Osten und Westen sich ausbreitete, wurden sie aus der Vereinzelung ge-


nicht immer gerecht geworden ist. Die Römer und ihnen folgend die Fran¬
zosen stellen sie gern als Barbaren dar, denen der Tag zwischen Aufregung und
Anspannung aller Kräfte und faulem Lagern auf den Bärenhäuter wechselte.
Gewaltthätig und unbedachtsam seien sie gewesen, es habe ihnen an Ausdauer
und Sündhaftigkeit, an Ordnungssinn und Arbeitsliebe gefehlt. Alles das
werfen die Römer den Germanen vor. Aber es wäre doch wenig ersprießlich,
alle diese Vorwürfe aneinanderzureihen, die von verschiedenen Männern bei
verschiedenen Anlässen gefallen sind. Anderseits hat man zu viel geschlossen
ans der Art und Weise, wie Tacitus bei aller Überlegenheit des Kulturmenschen
ihre Einrichtungen darstellt mit einer ans geheimer Furcht und unwillkürlicher
Achtung zusammengeflossenen Empfindung und mit patriotischer Beklemmung. Eine
Ahnung späterer Entwicklung darf man ihm deswegen noch nicht leihen, weil
es leicht fiel, ein wirksames, scharf nmrisscnes Bild ihrer Eigentümlichkeiten
zu entwerfen, die uns durch ihre Gruppirung einen wohlberechneten Gegensatz
gegen die Verderbnis des römischen Volkes und Staates bilden. So hebt er
vor allem den Freiheitssinn hervor, der auch zwischen Adel und Gcmeinfreien
keinen Unterschied der Rechte und Pflichten zuließ und über nngeerbten Vorrang
die Tüchtigkeit des Mannes stellte. Die Voraussetzung desselben ist eben auch
die wesentlich soziale Gleichheit der Volksgenosse«, da alle neben der Jagd
und Viehzucht leichter Ackerbau nährte, gleichviel ob der Adliche und Reichere
ihn durch Pächter und Knechte betrieb oder der freie Bauer selbst Hand anlegte.
Und bei der Wahl der Richter und Häuptlinge war jedes Mißtrauen der Nie¬
dern gegen die Hohen ausgeschlossen; dieselbe Gleichheit zeigte sich auch in der
Pflege des Rechtes als allgemeinen Besitztums — nicht wie bei den Römern
oder Griechen in früherer Zeit als Erbweisheit bevorrechteten Adels oft eigen¬
nützig mißbraucht. Leibesstrafen, Beraubung der Freiheit, schimpfliche Hin¬
richtung war deshalb den Germanen dieser Zeit etwas Unbekanntes, die Volks¬
genossen entschieden, dnrch Abtretung von Gütern konnte der Verurteilte Buße
leisten — so wenig galt Recht und Sicherheit als eine unpersönliche Hoheit
die verletzt worden war.

Diese wesentliche Gleichheit der Volksgenossen rang gegen den Eintritt in
eine Welt, die auf Unterjochung und Ungleichheit gebaut war, und das römische
Reich fand eine Schranke an der Todesverachtung und Tapferkeit der unter
sich so uneinigen Stämme, die fast nichts als ihre Art zu leben und zu sein
zu verteidigen hatten. Nur die Not der Ernährung ihrer anwachsenden Volks¬
menge trieb sie zum Angriff, und als die Verteidigungskraft des römischen
Reiches nachließ, erfüllten sich die verödeten Landschaften jenseits der bisherigen
Grenze mit germanischer Bauernbevölkerung.

Und dadurch endete die bisherige Abgeschlossenheit der binnenländischen
Stämme. Durch die Franken, deren Herrschaft an der Westgrenze sich bildend
nach Osten und Westen sich ausbreitete, wurden sie aus der Vereinzelung ge-


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[0082] nicht immer gerecht geworden ist. Die Römer und ihnen folgend die Fran¬ zosen stellen sie gern als Barbaren dar, denen der Tag zwischen Aufregung und Anspannung aller Kräfte und faulem Lagern auf den Bärenhäuter wechselte. Gewaltthätig und unbedachtsam seien sie gewesen, es habe ihnen an Ausdauer und Sündhaftigkeit, an Ordnungssinn und Arbeitsliebe gefehlt. Alles das werfen die Römer den Germanen vor. Aber es wäre doch wenig ersprießlich, alle diese Vorwürfe aneinanderzureihen, die von verschiedenen Männern bei verschiedenen Anlässen gefallen sind. Anderseits hat man zu viel geschlossen ans der Art und Weise, wie Tacitus bei aller Überlegenheit des Kulturmenschen ihre Einrichtungen darstellt mit einer ans geheimer Furcht und unwillkürlicher Achtung zusammengeflossenen Empfindung und mit patriotischer Beklemmung. Eine Ahnung späterer Entwicklung darf man ihm deswegen noch nicht leihen, weil es leicht fiel, ein wirksames, scharf nmrisscnes Bild ihrer Eigentümlichkeiten zu entwerfen, die uns durch ihre Gruppirung einen wohlberechneten Gegensatz gegen die Verderbnis des römischen Volkes und Staates bilden. So hebt er vor allem den Freiheitssinn hervor, der auch zwischen Adel und Gcmeinfreien keinen Unterschied der Rechte und Pflichten zuließ und über nngeerbten Vorrang die Tüchtigkeit des Mannes stellte. Die Voraussetzung desselben ist eben auch die wesentlich soziale Gleichheit der Volksgenosse«, da alle neben der Jagd und Viehzucht leichter Ackerbau nährte, gleichviel ob der Adliche und Reichere ihn durch Pächter und Knechte betrieb oder der freie Bauer selbst Hand anlegte. Und bei der Wahl der Richter und Häuptlinge war jedes Mißtrauen der Nie¬ dern gegen die Hohen ausgeschlossen; dieselbe Gleichheit zeigte sich auch in der Pflege des Rechtes als allgemeinen Besitztums — nicht wie bei den Römern oder Griechen in früherer Zeit als Erbweisheit bevorrechteten Adels oft eigen¬ nützig mißbraucht. Leibesstrafen, Beraubung der Freiheit, schimpfliche Hin¬ richtung war deshalb den Germanen dieser Zeit etwas Unbekanntes, die Volks¬ genossen entschieden, dnrch Abtretung von Gütern konnte der Verurteilte Buße leisten — so wenig galt Recht und Sicherheit als eine unpersönliche Hoheit die verletzt worden war. Diese wesentliche Gleichheit der Volksgenossen rang gegen den Eintritt in eine Welt, die auf Unterjochung und Ungleichheit gebaut war, und das römische Reich fand eine Schranke an der Todesverachtung und Tapferkeit der unter sich so uneinigen Stämme, die fast nichts als ihre Art zu leben und zu sein zu verteidigen hatten. Nur die Not der Ernährung ihrer anwachsenden Volks¬ menge trieb sie zum Angriff, und als die Verteidigungskraft des römischen Reiches nachließ, erfüllten sich die verödeten Landschaften jenseits der bisherigen Grenze mit germanischer Bauernbevölkerung. Und dadurch endete die bisherige Abgeschlossenheit der binnenländischen Stämme. Durch die Franken, deren Herrschaft an der Westgrenze sich bildend nach Osten und Westen sich ausbreitete, wurden sie aus der Vereinzelung ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_200778/82>, abgerufen am 13.05.2024.