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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Line Fahrt in den Orient.

sammelte sich die europäische Gesellschaft, darunter aber auch Fuad Pascha,
aus dessen Gefolge leicht der preußische Offizier trotz des Fez erkennbar war.
Zwischen beiden Decks im Lagerräume hatte man eine Herde von Hammeln
zusammengepfercht, die aus doppeltem Grunde meine Abneigung erregten; einmal,
weil sie ihr Schicksal keineswegs mit der sonst ihrer Art gerühmten Geduld
trugen, sondern durch fortgesetztes Blöken gegen die unmenschliche Behandlung
protestirten, sodann aber auch, weil sie uns die Aussicht erweckten, unser Leben
in den nächsten Wochen ausschließlich von ihnen fristen zu müssen. Außer
diesen Vertretern der Tierwelt gab es noch große kaiserliche Doggen an Bord,
kaiserlich aus dem doppelten Grunde, weil sie von dem österreichischen Kaiser
als Geschenk für den Sultan bestimmt waren. Sie mochten schon die Eifer¬
sucht ihrer türkischen Kollegen ahnen, denn sie jammerten und heulten in ihren
Käfigen, daß Gesellschaft wie Bemannung darüber entsetzt war, ohne ein Mittel
zur Abhilfe zu versuchen. Fügt zu diesem Heidenlärm noch das Stöhnen
und Rauschen der Maschine, und ihr werdet mir glauben, daß mich auch die
plätschernden Wogen des Meeres nicht in den Schlaf brachten. Aber am
andern Morgen, als die Sonne über das dunkelblau glänzende Meer leuchtete,
das Schiff ruhig und ohne erhebliches Schütteln daher glitt, die Luft erfrischend
wehte, war alles wieder vergessen. Jedermann freute sich, von der Seekrankheit
verschont geblieben zu sein, und alles war auf die Einfahrt in den Bosporus
gespannt. Unterdessen hatte sich unser Freund mit der kleinen Levantinerin in
allerlei linguistische Studien eingelassen, denn als echtes Kind der Levante sprach
sie neben Italienisch und Französisch auch noch Türkisch und Griechisch. Er, den
die klassischen Erinnerungen meist zu dieser Reise aufgestachelt hatten, konnte es
kaum erwarten, eine Probe des neugriechischen zu erhalten. Die freundliche
Dame war liebenswürdig genug, ihm ein griechisches Volkslied zu deklamiren
und dann in sein Neisetagebuch zu schreiben, was den Poeten sofort zu fol¬
gender Übersetzung begeisterte:


Sehnsucht.
Ich wollt', ich könnt' dein Spiegel sein,
Du schautest ganz in mich hinein,
Ich strahlt' in Dankbarkeit dein Bild
Zurück, so engelsrein und mild. Ich wollt', ich könnt' dein Kaninchen sein,
Ich schmiegte in dein Haar mich ein,
Und in dem goldnen Weltenmeer
Wogt' ich, mich schaukelnd hin und her. Ich wollt', ich könnt' ein Lüftchen sein,
Du saugtest dann mich gierig ein,
Ich aber weht' in secher Lust
Dir Kühlung zu für deine Brust.

Line Fahrt in den Orient.

sammelte sich die europäische Gesellschaft, darunter aber auch Fuad Pascha,
aus dessen Gefolge leicht der preußische Offizier trotz des Fez erkennbar war.
Zwischen beiden Decks im Lagerräume hatte man eine Herde von Hammeln
zusammengepfercht, die aus doppeltem Grunde meine Abneigung erregten; einmal,
weil sie ihr Schicksal keineswegs mit der sonst ihrer Art gerühmten Geduld
trugen, sondern durch fortgesetztes Blöken gegen die unmenschliche Behandlung
protestirten, sodann aber auch, weil sie uns die Aussicht erweckten, unser Leben
in den nächsten Wochen ausschließlich von ihnen fristen zu müssen. Außer
diesen Vertretern der Tierwelt gab es noch große kaiserliche Doggen an Bord,
kaiserlich aus dem doppelten Grunde, weil sie von dem österreichischen Kaiser
als Geschenk für den Sultan bestimmt waren. Sie mochten schon die Eifer¬
sucht ihrer türkischen Kollegen ahnen, denn sie jammerten und heulten in ihren
Käfigen, daß Gesellschaft wie Bemannung darüber entsetzt war, ohne ein Mittel
zur Abhilfe zu versuchen. Fügt zu diesem Heidenlärm noch das Stöhnen
und Rauschen der Maschine, und ihr werdet mir glauben, daß mich auch die
plätschernden Wogen des Meeres nicht in den Schlaf brachten. Aber am
andern Morgen, als die Sonne über das dunkelblau glänzende Meer leuchtete,
das Schiff ruhig und ohne erhebliches Schütteln daher glitt, die Luft erfrischend
wehte, war alles wieder vergessen. Jedermann freute sich, von der Seekrankheit
verschont geblieben zu sein, und alles war auf die Einfahrt in den Bosporus
gespannt. Unterdessen hatte sich unser Freund mit der kleinen Levantinerin in
allerlei linguistische Studien eingelassen, denn als echtes Kind der Levante sprach
sie neben Italienisch und Französisch auch noch Türkisch und Griechisch. Er, den
die klassischen Erinnerungen meist zu dieser Reise aufgestachelt hatten, konnte es
kaum erwarten, eine Probe des neugriechischen zu erhalten. Die freundliche
Dame war liebenswürdig genug, ihm ein griechisches Volkslied zu deklamiren
und dann in sein Neisetagebuch zu schreiben, was den Poeten sofort zu fol¬
gender Übersetzung begeisterte:


Sehnsucht.
Ich wollt', ich könnt' dein Spiegel sein,
Du schautest ganz in mich hinein,
Ich strahlt' in Dankbarkeit dein Bild
Zurück, so engelsrein und mild. Ich wollt', ich könnt' dein Kaninchen sein,
Ich schmiegte in dein Haar mich ein,
Und in dem goldnen Weltenmeer
Wogt' ich, mich schaukelnd hin und her. Ich wollt', ich könnt' ein Lüftchen sein,
Du saugtest dann mich gierig ein,
Ich aber weht' in secher Lust
Dir Kühlung zu für deine Brust.

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[0109] Line Fahrt in den Orient. sammelte sich die europäische Gesellschaft, darunter aber auch Fuad Pascha, aus dessen Gefolge leicht der preußische Offizier trotz des Fez erkennbar war. Zwischen beiden Decks im Lagerräume hatte man eine Herde von Hammeln zusammengepfercht, die aus doppeltem Grunde meine Abneigung erregten; einmal, weil sie ihr Schicksal keineswegs mit der sonst ihrer Art gerühmten Geduld trugen, sondern durch fortgesetztes Blöken gegen die unmenschliche Behandlung protestirten, sodann aber auch, weil sie uns die Aussicht erweckten, unser Leben in den nächsten Wochen ausschließlich von ihnen fristen zu müssen. Außer diesen Vertretern der Tierwelt gab es noch große kaiserliche Doggen an Bord, kaiserlich aus dem doppelten Grunde, weil sie von dem österreichischen Kaiser als Geschenk für den Sultan bestimmt waren. Sie mochten schon die Eifer¬ sucht ihrer türkischen Kollegen ahnen, denn sie jammerten und heulten in ihren Käfigen, daß Gesellschaft wie Bemannung darüber entsetzt war, ohne ein Mittel zur Abhilfe zu versuchen. Fügt zu diesem Heidenlärm noch das Stöhnen und Rauschen der Maschine, und ihr werdet mir glauben, daß mich auch die plätschernden Wogen des Meeres nicht in den Schlaf brachten. Aber am andern Morgen, als die Sonne über das dunkelblau glänzende Meer leuchtete, das Schiff ruhig und ohne erhebliches Schütteln daher glitt, die Luft erfrischend wehte, war alles wieder vergessen. Jedermann freute sich, von der Seekrankheit verschont geblieben zu sein, und alles war auf die Einfahrt in den Bosporus gespannt. Unterdessen hatte sich unser Freund mit der kleinen Levantinerin in allerlei linguistische Studien eingelassen, denn als echtes Kind der Levante sprach sie neben Italienisch und Französisch auch noch Türkisch und Griechisch. Er, den die klassischen Erinnerungen meist zu dieser Reise aufgestachelt hatten, konnte es kaum erwarten, eine Probe des neugriechischen zu erhalten. Die freundliche Dame war liebenswürdig genug, ihm ein griechisches Volkslied zu deklamiren und dann in sein Neisetagebuch zu schreiben, was den Poeten sofort zu fol¬ gender Übersetzung begeisterte: Sehnsucht. Ich wollt', ich könnt' dein Spiegel sein, Du schautest ganz in mich hinein, Ich strahlt' in Dankbarkeit dein Bild Zurück, so engelsrein und mild. Ich wollt', ich könnt' dein Kaninchen sein, Ich schmiegte in dein Haar mich ein, Und in dem goldnen Weltenmeer Wogt' ich, mich schaukelnd hin und her. Ich wollt', ich könnt' ein Lüftchen sein, Du saugtest dann mich gierig ein, Ich aber weht' in secher Lust Dir Kühlung zu für deine Brust.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/109>, abgerufen am 22.05.2024.