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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

ihre Offenheit, Freiheit von Kunst recht glauben dürfte." Der Bruder wurde
fast eifersüchtig, und Friedrich mußte ihn alles Ernstes beruhigen. Im Februar
1794 folgte sie einer Einladung Gollers und ihrer Freundin Luise nach Gotha
und verlebte dort im Hause der Getreuen, die sich an die häßlichen Ver¬
leumdungen nicht stießen, einige glückliche Monate. Darauf wandte sie sich
nach Braunschweig, wo sich auch ihre Mutter aufhielt. Wie schwierig ihre
Lage noch immer war, hatte sie deutlich genug erfahren müssen. In Göttingen,
wo sie vor ihrem Besuche in Gotha auf kurze Zeit gewesen war, hatte man
sie ausgewiesen; "da wir derselben den Aufenthalt in Göttingen nicht gestatten
können," hatte das Universitätskuratorium verordnet. In Dresden, wohin sie
von Gotha aus zuerst hatte übersiedeln wollen, drohten ihr politische Ver¬
folgungen, auch von Berlin riet ihr Meyer ab. Wie wenig Zutrauen selbst
solche ihr entgegenbrachten, die an ihrer Begeisterung für die Franzosen keinen
Anstoß nahmen, ersieht man aus dem, was Therese im Februar 1794 ihr nach
Gotha schreibt: "Höre eine Bitte, die dich nicht beleidigen muß, sie ist treu.
Ich weiß nicht, ob du jetzt nicht liebst oder was dir jetzt Liebe ersetzt, aber
kommst du mit Männern in Verhältnisse, so hüte dich, daß du nicht gemi߬
braucht wirst und dich hintansetzest. Gieb dich aus Liebe, aber nicht aus Über¬
druß, Spannung, Verzweiflung. Kannst du aber die Männer entbehren, so ist
es gut für dich, bis du wieder eine Bahn gefunden hast. Tarier mußt du
verlernen, Schlegel konnte dich retten, aber doch nicht führen kann er
dich. Die bloßen gesellschaftlichen Verhältnisse sind dir gefährlich -- ich bitte,
weil ich nicht weiß, wo du dich schadlos halten sollst und ich deinen Frieden
wünschte."

Karoline fühlte selbst das Bedürfnis, zur Ruhe zu kommen, ihre bürger¬
liche Ehre wiederherzustellen, einen Halt im Leben zu gewinnen. Dazu bot
sich eine, wenn auch längere Zeit unsichere Aussicht. August Wilhelm Schlegel
kehrte aus Holland zurück, und da er sich in der Nähe, bei den Seinigen in
Hannover, aufhielt, so wurde der Verkehr mit Karoline bald sehr innig. Von
Verheiratung war zunächst noch nicht die Rede, es scheint, daß Karoline, als
sich Schlegel ernstlich um sie bewarb, ihre Selbständigkeit doch nur ungern
aufgab. Luise Götter, die sich mißbilligend über das schwebende Verhältnis
ausgedrückt haben mochte, mußte von der Freundin hören: "Du bist ein Kind,
was Schlegeln und meine Namensvcrcinderung betrifft. Kann man denn gar
keinen Freund haben, ohne sich auf Leben und Tod mit ihm zu vereinigen?"
Und Fritz Schlegel mußte den Bruder fragen: "Sind die Schwierigkeiten un¬
überwindlich, die Karoline und dich hindern, einen Namen zu tragen? Karo-
linens politische Lage wäre dadurch ganz verändert." Pläne wurden unterdes
genug gemacht, sogar von einer Auswanderung nach Amerika war die Rede.
Endlich, am 1. Juli 1796, fand die Hochzeit statt, Schlegel siedelte mit seiner
Frau nach Jena über, wo er neben seiner Professur vorzüglich schriftstellerischen


Dichterfreundinnen.

ihre Offenheit, Freiheit von Kunst recht glauben dürfte." Der Bruder wurde
fast eifersüchtig, und Friedrich mußte ihn alles Ernstes beruhigen. Im Februar
1794 folgte sie einer Einladung Gollers und ihrer Freundin Luise nach Gotha
und verlebte dort im Hause der Getreuen, die sich an die häßlichen Ver¬
leumdungen nicht stießen, einige glückliche Monate. Darauf wandte sie sich
nach Braunschweig, wo sich auch ihre Mutter aufhielt. Wie schwierig ihre
Lage noch immer war, hatte sie deutlich genug erfahren müssen. In Göttingen,
wo sie vor ihrem Besuche in Gotha auf kurze Zeit gewesen war, hatte man
sie ausgewiesen; „da wir derselben den Aufenthalt in Göttingen nicht gestatten
können," hatte das Universitätskuratorium verordnet. In Dresden, wohin sie
von Gotha aus zuerst hatte übersiedeln wollen, drohten ihr politische Ver¬
folgungen, auch von Berlin riet ihr Meyer ab. Wie wenig Zutrauen selbst
solche ihr entgegenbrachten, die an ihrer Begeisterung für die Franzosen keinen
Anstoß nahmen, ersieht man aus dem, was Therese im Februar 1794 ihr nach
Gotha schreibt: „Höre eine Bitte, die dich nicht beleidigen muß, sie ist treu.
Ich weiß nicht, ob du jetzt nicht liebst oder was dir jetzt Liebe ersetzt, aber
kommst du mit Männern in Verhältnisse, so hüte dich, daß du nicht gemi߬
braucht wirst und dich hintansetzest. Gieb dich aus Liebe, aber nicht aus Über¬
druß, Spannung, Verzweiflung. Kannst du aber die Männer entbehren, so ist
es gut für dich, bis du wieder eine Bahn gefunden hast. Tarier mußt du
verlernen, Schlegel konnte dich retten, aber doch nicht führen kann er
dich. Die bloßen gesellschaftlichen Verhältnisse sind dir gefährlich — ich bitte,
weil ich nicht weiß, wo du dich schadlos halten sollst und ich deinen Frieden
wünschte."

Karoline fühlte selbst das Bedürfnis, zur Ruhe zu kommen, ihre bürger¬
liche Ehre wiederherzustellen, einen Halt im Leben zu gewinnen. Dazu bot
sich eine, wenn auch längere Zeit unsichere Aussicht. August Wilhelm Schlegel
kehrte aus Holland zurück, und da er sich in der Nähe, bei den Seinigen in
Hannover, aufhielt, so wurde der Verkehr mit Karoline bald sehr innig. Von
Verheiratung war zunächst noch nicht die Rede, es scheint, daß Karoline, als
sich Schlegel ernstlich um sie bewarb, ihre Selbständigkeit doch nur ungern
aufgab. Luise Götter, die sich mißbilligend über das schwebende Verhältnis
ausgedrückt haben mochte, mußte von der Freundin hören: „Du bist ein Kind,
was Schlegeln und meine Namensvcrcinderung betrifft. Kann man denn gar
keinen Freund haben, ohne sich auf Leben und Tod mit ihm zu vereinigen?"
Und Fritz Schlegel mußte den Bruder fragen: „Sind die Schwierigkeiten un¬
überwindlich, die Karoline und dich hindern, einen Namen zu tragen? Karo-
linens politische Lage wäre dadurch ganz verändert." Pläne wurden unterdes
genug gemacht, sogar von einer Auswanderung nach Amerika war die Rede.
Endlich, am 1. Juli 1796, fand die Hochzeit statt, Schlegel siedelte mit seiner
Frau nach Jena über, wo er neben seiner Professur vorzüglich schriftstellerischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/191>, abgerufen am 22.05.2024.