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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Alchemie.

Erfahrungen, daß aus Substanzen, welche ohne weiteres einen Gehalt an
Gold oder Silber nicht erkennen lassen, durch geeignete Behandlung das eine
oder andre der genannten Metalle erhalten werden kann, scheinen den Aus¬
gangspunkt dafür abgegeben zu haben, daß man glaubte, auch mit thatsächlich
gold- und silberfreien Körpern denselben Erfolg zu erreichen. Der Augenschein
zeigte, daß die Farbe des Kupfers sich durch Behandlung mit zinkhaltigen oder
arsenhaltigen Substanzen in Goldgelb oder Silberweiß verwandelte, und dies
wollte schon etwas bedeuten, wenn nach der Lehre des Aristoteles in den ver-
schiednen Körpern nicht die Materie, sondern nur die Eigenschaften der Materie
verschieden sind.

Der Verfasser des oben erwähnten Buches verfolgt nun die Geschichte der
alchemistischen Bestrebungen durch alle Länder und Zeiten hindurch. Am frühesten
zeigten sie sich in Ägypten; bis in das vierte Jahrhundert unsrer Zeitrechnung
scheinen die Zeugnisse dafür zurückzureichen. Schon damals wird von der
Darstellung eines Präparates gesprochen, durch dessen Einwirkung die Um¬
wandlung unedler Metalle in edle vor sich gehe, und diesem Präparate eine
Bezeichnung gegeben, welche dem später so allgemein gewordenen "Stein der
Weisen" entspricht, wofür dann auch der Name Elixir, Tinktur oder Magi-
sterium gebräuchlich wurde. Schon früh erhielt die Kunst den Namen Chemia
oder Chhmia oder Alchemie (nach dem in der Goldbereitungskunst erfahrenen
Cham, dem Sohne Noahs?), die eigentliche Chemie aber galt lange Zeit nur
als Hilfsmittel für die Lösung des Problems der Metallveredlung. Den
Arabern kommt ein wesentlicher Anteil an der weiteren Verbreitung der Alchemie
zu, sie trugen sie durch alle Länder, welche sie nachher in Besitz nahmen, von
Ägypten aus; so kamen die alchemistischen Lehren nach Spanien, und von da
zu den christlichen Abendländern Europas. Im dreizehnten Jahrhundert waren
sie in Spanien, Frankreich, Italien, Deutschland und England verbreitet, und
man begegnet da bereits einer gewissen Vorstellung über die Art der Bereitung
des Steins der Weisen: vor allem müsse der richtige Rohstoff bekannt sein,
die irikcksria prima. Aus ihm solle etwas gewonnen werden, was als Merkur
der Weisen bezeichnet wurde. Diesem Stoffe solle ein andrer, gleich geheimnis¬
voller -- philosophisches Gold -- beigemischt werden; die Mischung solle in
einem Glasgefäß von besondrer Form, dem philosophischen El, vor sich gehen,
wo das Gemisch anfangs eine schwarze, dann eine weiße Farbe annehme, bei
lebhafterer Erwärmung aber gelb und dann glänzend rot werde, womit man
dann glücklich zum Schluß der Arbeit gekommen und die Darstellung des
Steins der Weisen vollendet sei.

Weit über das Mittelalter hinaus wurde derartiges gelehrt und geglaubt,
unzählige haben sich an der Darstellung des Steins der Weisen versucht, aber
niemand erreichte das ersehnte Ziel. Von allen wurde gläubig das einmal
vorgesprochene wiederholt, die niiitsria, xrirng. sei eine ganz gemeine Substanz,


Die Alchemie.

Erfahrungen, daß aus Substanzen, welche ohne weiteres einen Gehalt an
Gold oder Silber nicht erkennen lassen, durch geeignete Behandlung das eine
oder andre der genannten Metalle erhalten werden kann, scheinen den Aus¬
gangspunkt dafür abgegeben zu haben, daß man glaubte, auch mit thatsächlich
gold- und silberfreien Körpern denselben Erfolg zu erreichen. Der Augenschein
zeigte, daß die Farbe des Kupfers sich durch Behandlung mit zinkhaltigen oder
arsenhaltigen Substanzen in Goldgelb oder Silberweiß verwandelte, und dies
wollte schon etwas bedeuten, wenn nach der Lehre des Aristoteles in den ver-
schiednen Körpern nicht die Materie, sondern nur die Eigenschaften der Materie
verschieden sind.

Der Verfasser des oben erwähnten Buches verfolgt nun die Geschichte der
alchemistischen Bestrebungen durch alle Länder und Zeiten hindurch. Am frühesten
zeigten sie sich in Ägypten; bis in das vierte Jahrhundert unsrer Zeitrechnung
scheinen die Zeugnisse dafür zurückzureichen. Schon damals wird von der
Darstellung eines Präparates gesprochen, durch dessen Einwirkung die Um¬
wandlung unedler Metalle in edle vor sich gehe, und diesem Präparate eine
Bezeichnung gegeben, welche dem später so allgemein gewordenen „Stein der
Weisen" entspricht, wofür dann auch der Name Elixir, Tinktur oder Magi-
sterium gebräuchlich wurde. Schon früh erhielt die Kunst den Namen Chemia
oder Chhmia oder Alchemie (nach dem in der Goldbereitungskunst erfahrenen
Cham, dem Sohne Noahs?), die eigentliche Chemie aber galt lange Zeit nur
als Hilfsmittel für die Lösung des Problems der Metallveredlung. Den
Arabern kommt ein wesentlicher Anteil an der weiteren Verbreitung der Alchemie
zu, sie trugen sie durch alle Länder, welche sie nachher in Besitz nahmen, von
Ägypten aus; so kamen die alchemistischen Lehren nach Spanien, und von da
zu den christlichen Abendländern Europas. Im dreizehnten Jahrhundert waren
sie in Spanien, Frankreich, Italien, Deutschland und England verbreitet, und
man begegnet da bereits einer gewissen Vorstellung über die Art der Bereitung
des Steins der Weisen: vor allem müsse der richtige Rohstoff bekannt sein,
die irikcksria prima. Aus ihm solle etwas gewonnen werden, was als Merkur
der Weisen bezeichnet wurde. Diesem Stoffe solle ein andrer, gleich geheimnis¬
voller — philosophisches Gold — beigemischt werden; die Mischung solle in
einem Glasgefäß von besondrer Form, dem philosophischen El, vor sich gehen,
wo das Gemisch anfangs eine schwarze, dann eine weiße Farbe annehme, bei
lebhafterer Erwärmung aber gelb und dann glänzend rot werde, womit man
dann glücklich zum Schluß der Arbeit gekommen und die Darstellung des
Steins der Weisen vollendet sei.

Weit über das Mittelalter hinaus wurde derartiges gelehrt und geglaubt,
unzählige haben sich an der Darstellung des Steins der Weisen versucht, aber
niemand erreichte das ersehnte Ziel. Von allen wurde gläubig das einmal
vorgesprochene wiederholt, die niiitsria, xrirng. sei eine ganz gemeine Substanz,


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[0222] Die Alchemie. Erfahrungen, daß aus Substanzen, welche ohne weiteres einen Gehalt an Gold oder Silber nicht erkennen lassen, durch geeignete Behandlung das eine oder andre der genannten Metalle erhalten werden kann, scheinen den Aus¬ gangspunkt dafür abgegeben zu haben, daß man glaubte, auch mit thatsächlich gold- und silberfreien Körpern denselben Erfolg zu erreichen. Der Augenschein zeigte, daß die Farbe des Kupfers sich durch Behandlung mit zinkhaltigen oder arsenhaltigen Substanzen in Goldgelb oder Silberweiß verwandelte, und dies wollte schon etwas bedeuten, wenn nach der Lehre des Aristoteles in den ver- schiednen Körpern nicht die Materie, sondern nur die Eigenschaften der Materie verschieden sind. Der Verfasser des oben erwähnten Buches verfolgt nun die Geschichte der alchemistischen Bestrebungen durch alle Länder und Zeiten hindurch. Am frühesten zeigten sie sich in Ägypten; bis in das vierte Jahrhundert unsrer Zeitrechnung scheinen die Zeugnisse dafür zurückzureichen. Schon damals wird von der Darstellung eines Präparates gesprochen, durch dessen Einwirkung die Um¬ wandlung unedler Metalle in edle vor sich gehe, und diesem Präparate eine Bezeichnung gegeben, welche dem später so allgemein gewordenen „Stein der Weisen" entspricht, wofür dann auch der Name Elixir, Tinktur oder Magi- sterium gebräuchlich wurde. Schon früh erhielt die Kunst den Namen Chemia oder Chhmia oder Alchemie (nach dem in der Goldbereitungskunst erfahrenen Cham, dem Sohne Noahs?), die eigentliche Chemie aber galt lange Zeit nur als Hilfsmittel für die Lösung des Problems der Metallveredlung. Den Arabern kommt ein wesentlicher Anteil an der weiteren Verbreitung der Alchemie zu, sie trugen sie durch alle Länder, welche sie nachher in Besitz nahmen, von Ägypten aus; so kamen die alchemistischen Lehren nach Spanien, und von da zu den christlichen Abendländern Europas. Im dreizehnten Jahrhundert waren sie in Spanien, Frankreich, Italien, Deutschland und England verbreitet, und man begegnet da bereits einer gewissen Vorstellung über die Art der Bereitung des Steins der Weisen: vor allem müsse der richtige Rohstoff bekannt sein, die irikcksria prima. Aus ihm solle etwas gewonnen werden, was als Merkur der Weisen bezeichnet wurde. Diesem Stoffe solle ein andrer, gleich geheimnis¬ voller — philosophisches Gold — beigemischt werden; die Mischung solle in einem Glasgefäß von besondrer Form, dem philosophischen El, vor sich gehen, wo das Gemisch anfangs eine schwarze, dann eine weiße Farbe annehme, bei lebhafterer Erwärmung aber gelb und dann glänzend rot werde, womit man dann glücklich zum Schluß der Arbeit gekommen und die Darstellung des Steins der Weisen vollendet sei. Weit über das Mittelalter hinaus wurde derartiges gelehrt und geglaubt, unzählige haben sich an der Darstellung des Steins der Weisen versucht, aber niemand erreichte das ersehnte Ziel. Von allen wurde gläubig das einmal vorgesprochene wiederholt, die niiitsria, xrirng. sei eine ganz gemeine Substanz,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/222>, abgerufen am 16.05.2024.