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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Dichterfreundinnen.

Altbaiern grobe Angriffe erdulden mußte. Als 1805 Würzburg im Austausch
an den Großherzog von Toskana kam, benutzte er die Gelegenheit, um eine
Veränderung herbeizuführen. Er verblieb in bairischen Diensten und wurde im
Frühjahr 1806 an der Akademie der Wissenschaften in München angestellt.
Hier fand er manchen alten Bekannten und manchen neuen Freund, aber Karo¬
line konnte sich auch hier nicht recht eingewöhnen. "Eingerichtet habe ich mich
-- schreibt sie am 28. November an Luise Götter -- nur ganz notdürftig, mich
dünkt, ich möchte mich nirgends mehr ansiedeln und es ganz buchstäblich nehmen,
daß wir alle Pilger sind." Es klingt wie eine Vorahnung des Todes.

Im August 1808 begleitete sie ihren Gatten, der nach anstrengendem Ar¬
beiten sehr der Erholung bedürfte, zu dessen Eltern nach dem Kloster Maul¬
bronn. Hier ward sie von einer herrschenden Seuche, Ruhr und Nervenfieber,
ganz plötzlich ergriffen und verschied am 7. September. Ihr Gatte war trost¬
los: "Sie war ein eignes, einziges Wesen -- klagt er in einem Briefe an
den Schwager Philipp Michaelis --, man mußte sie ganz oder gar nicht lieben.
Diese Gewalt, das Herz im Mittelpunkte zu treffen, behielt sie bis ans Ende.
Wir waren durch die heiligsten Bande vereinigt, im höchsten Schmerz und im
tiefsten Unglück einander treu geblieben -- alle Wunden bluten neu, seitdem sie
von meiner Seite gerissen ist. Wäre sie mir nicht gewesen, was sie war, ich
müßte als Mensch sie beweinen, trauern, daß dies Meisterstück der Geister nicht
mehr ist, dieses seltene Weib von männlicher Seelengröße, von dem schärfsten
Geist, mit der Weichheit des weiblichsten, zartesten, liebevollsten Herzens ver¬
einigt. O etwas derart kommt nie wieder!" Vier lange dunkle Jahre hat er
dann getrauert, bis er in der Tochter ihrer liebsten und treuesten Freundin,
in Pauline Götter, einen Ersatz fand.

Und Karoline? Nur fünf Jahre des höchsten Glückes hatte ihr das
Schicksal als Ersatz für die Wirren der Jugend gewährt, aber der geistige Ge¬
winn ihres Lebens war groß. Ihr Name ist verknüpft mit den besten Namen
ihrer Zeit, und unter allen Frauen der klassischen Periode hat sie am tiefsten
und am weitesten gewirkt. selbständig wie keine der andern, durchmaß sie die
freigewählte Bahn in lichter Geisteshöhe, darum drangen ihre Worte auch tiefer
als die aller, mochten sie Liebe wecken oder Haß.




Dichterfreundinnen.

Altbaiern grobe Angriffe erdulden mußte. Als 1805 Würzburg im Austausch
an den Großherzog von Toskana kam, benutzte er die Gelegenheit, um eine
Veränderung herbeizuführen. Er verblieb in bairischen Diensten und wurde im
Frühjahr 1806 an der Akademie der Wissenschaften in München angestellt.
Hier fand er manchen alten Bekannten und manchen neuen Freund, aber Karo¬
line konnte sich auch hier nicht recht eingewöhnen. „Eingerichtet habe ich mich
— schreibt sie am 28. November an Luise Götter — nur ganz notdürftig, mich
dünkt, ich möchte mich nirgends mehr ansiedeln und es ganz buchstäblich nehmen,
daß wir alle Pilger sind." Es klingt wie eine Vorahnung des Todes.

Im August 1808 begleitete sie ihren Gatten, der nach anstrengendem Ar¬
beiten sehr der Erholung bedürfte, zu dessen Eltern nach dem Kloster Maul¬
bronn. Hier ward sie von einer herrschenden Seuche, Ruhr und Nervenfieber,
ganz plötzlich ergriffen und verschied am 7. September. Ihr Gatte war trost¬
los: „Sie war ein eignes, einziges Wesen — klagt er in einem Briefe an
den Schwager Philipp Michaelis —, man mußte sie ganz oder gar nicht lieben.
Diese Gewalt, das Herz im Mittelpunkte zu treffen, behielt sie bis ans Ende.
Wir waren durch die heiligsten Bande vereinigt, im höchsten Schmerz und im
tiefsten Unglück einander treu geblieben — alle Wunden bluten neu, seitdem sie
von meiner Seite gerissen ist. Wäre sie mir nicht gewesen, was sie war, ich
müßte als Mensch sie beweinen, trauern, daß dies Meisterstück der Geister nicht
mehr ist, dieses seltene Weib von männlicher Seelengröße, von dem schärfsten
Geist, mit der Weichheit des weiblichsten, zartesten, liebevollsten Herzens ver¬
einigt. O etwas derart kommt nie wieder!" Vier lange dunkle Jahre hat er
dann getrauert, bis er in der Tochter ihrer liebsten und treuesten Freundin,
in Pauline Götter, einen Ersatz fand.

Und Karoline? Nur fünf Jahre des höchsten Glückes hatte ihr das
Schicksal als Ersatz für die Wirren der Jugend gewährt, aber der geistige Ge¬
winn ihres Lebens war groß. Ihr Name ist verknüpft mit den besten Namen
ihrer Zeit, und unter allen Frauen der klassischen Periode hat sie am tiefsten
und am weitesten gewirkt. selbständig wie keine der andern, durchmaß sie die
freigewählte Bahn in lichter Geisteshöhe, darum drangen ihre Worte auch tiefer
als die aller, mochten sie Liebe wecken oder Haß.




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[0242] Dichterfreundinnen. Altbaiern grobe Angriffe erdulden mußte. Als 1805 Würzburg im Austausch an den Großherzog von Toskana kam, benutzte er die Gelegenheit, um eine Veränderung herbeizuführen. Er verblieb in bairischen Diensten und wurde im Frühjahr 1806 an der Akademie der Wissenschaften in München angestellt. Hier fand er manchen alten Bekannten und manchen neuen Freund, aber Karo¬ line konnte sich auch hier nicht recht eingewöhnen. „Eingerichtet habe ich mich — schreibt sie am 28. November an Luise Götter — nur ganz notdürftig, mich dünkt, ich möchte mich nirgends mehr ansiedeln und es ganz buchstäblich nehmen, daß wir alle Pilger sind." Es klingt wie eine Vorahnung des Todes. Im August 1808 begleitete sie ihren Gatten, der nach anstrengendem Ar¬ beiten sehr der Erholung bedürfte, zu dessen Eltern nach dem Kloster Maul¬ bronn. Hier ward sie von einer herrschenden Seuche, Ruhr und Nervenfieber, ganz plötzlich ergriffen und verschied am 7. September. Ihr Gatte war trost¬ los: „Sie war ein eignes, einziges Wesen — klagt er in einem Briefe an den Schwager Philipp Michaelis —, man mußte sie ganz oder gar nicht lieben. Diese Gewalt, das Herz im Mittelpunkte zu treffen, behielt sie bis ans Ende. Wir waren durch die heiligsten Bande vereinigt, im höchsten Schmerz und im tiefsten Unglück einander treu geblieben — alle Wunden bluten neu, seitdem sie von meiner Seite gerissen ist. Wäre sie mir nicht gewesen, was sie war, ich müßte als Mensch sie beweinen, trauern, daß dies Meisterstück der Geister nicht mehr ist, dieses seltene Weib von männlicher Seelengröße, von dem schärfsten Geist, mit der Weichheit des weiblichsten, zartesten, liebevollsten Herzens ver¬ einigt. O etwas derart kommt nie wieder!" Vier lange dunkle Jahre hat er dann getrauert, bis er in der Tochter ihrer liebsten und treuesten Freundin, in Pauline Götter, einen Ersatz fand. Und Karoline? Nur fünf Jahre des höchsten Glückes hatte ihr das Schicksal als Ersatz für die Wirren der Jugend gewährt, aber der geistige Ge¬ winn ihres Lebens war groß. Ihr Name ist verknüpft mit den besten Namen ihrer Zeit, und unter allen Frauen der klassischen Periode hat sie am tiefsten und am weitesten gewirkt. selbständig wie keine der andern, durchmaß sie die freigewählte Bahn in lichter Geisteshöhe, darum drangen ihre Worte auch tiefer als die aller, mochten sie Liebe wecken oder Haß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/242>, abgerufen am 15.05.2024.