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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Galeotto.

Jahresfrist in einer der vielen Monatsrevüen, die gegenwärtig an jedem Ersten
gleichzeitig auf das Pflichtgefühl des deutschen Lesers einstürmen --, machte es
uns einen unbehaglichen Eindruck. Paul Lindau führte es als Übersetzer ein,
es gab darin -- denkbar nnspcmisch! -- Berliner Kommerzienräte und Schrift¬
steller, beim Durchblättern sahen wir aus Phrasen und Jnterjektionen, daß
es sich tragisch anließ, uns schwante erklärlich genug ein dramatisirter "Ber¬
liner Roman," und wir lasen es natürlich nicht. Das bereits nach Jahr¬
hunderten zählende Abhängigkeitsverhältnis der spanischen von der französischen
Bühne war zur Genüge bekannt, als daß uns bei der Sache noch etwas spanisch
hätte vorkommen können. Umsomehr erstaunten wir später, in mehr als durch¬
schnittlichen Berichten über die erwähnten Aufführungen einen ganz verschiednen
Maßstab angelegt zu finden; private Urteile erhöhten die Neugier, und schließlich
haben wir trotz des Autors für das Schicksal des Stückes gebangt. Denn es
ist unsrer -- wie es allgemein heißt -- ja nun für ewige Zeiten ausschließlich
"demokratischen" Bühne schon lange kein Stück geboten worden, welches dem
vielköpfigen Götzen Publikum, öffentliche Meinung, Allgemeinheit und wie sonst
der allmächtige Gegensatz zum höhern Einzelnen noch heißen mag, so ohne
Mätzchen, Verbeugungen und Ausnahmen, so ruhig und klar, so selbstverständlich
und darum auch so grausam die Wahrheit sagt wie dieses. Es ist ein wahres
Glück, daß der Name Echcgaray keinen deutschen Autor bedeutet. Wir würden
sein Stück sonst kaum an der Gußstätte von Blumenthals "Großer Glocke" zu hören
Gelegenheit gehabt haben. Und das wäre aufrichtig zu bedauern; denn es wird am
Deutschen Theater nach gewissenhaftem Studium gut gespielt. Insbesondre hat
es uns gefreut, deu Träger des Stückes und eigentlichen (sicher auch ursprüng¬
lichen) Galeotto, Don Manuel, nicht mehr auf der Bahn zu begegnen, die er
uns kürzlich als Mephistopheles nicht zu seinem Vorteil betreten zu wollen schien.

Es ist dem Dichter mit diesem "Galeotto" eigen ergangen. An ihm hat
sich der Übergang vollzogen, der gerade dem Dramatiker viel zu schaffen macht,
wenn, wie es wohl vorkommen soll, der Stoff sich ihm unter der Hand wandelt
und erst eigentlich ausgestaltet. Ein Vorspiel, recht von der Art desjenigen
in dem Calderonschen Schauspiele "Das Leben ein Traum," in welchem die im
Stücke zu erweisende Behauptung aufgestellt wird, bringt technische Diftcleien,
die hier auf den Brettern ganz besonders befremden, wenn man nicht weiß, wie
tief sie der spanischen Kunst von jeher eingewurzelt sind. Aber es bringt zu¬
gleich ausgiebige Deutungen. Aus diesen nun scheint klar hervorzugehen, daß
der Dichter ursprünglich eine Liebestragödie beabsichtigt hat, in welcher der
Ehemann unbewußt deu Galeotto spielt. Ein alternder würdiger Kaufherr trügt
eine Lebensverpflichtung gegen einen verarmt gestorbenen Freund an dessen
reichbegabten Sohne ab mit jener geselligen Hingabe, die den Spanier überhaupt
auszeichnet. Er nimmt den stolzen Jüngling, dem er sonst auf keine Weise
beikommen kann, als Sohn in sein Haus. Allein er hat mit einem bedenklichen


Galeotto.

Jahresfrist in einer der vielen Monatsrevüen, die gegenwärtig an jedem Ersten
gleichzeitig auf das Pflichtgefühl des deutschen Lesers einstürmen —, machte es
uns einen unbehaglichen Eindruck. Paul Lindau führte es als Übersetzer ein,
es gab darin — denkbar nnspcmisch! — Berliner Kommerzienräte und Schrift¬
steller, beim Durchblättern sahen wir aus Phrasen und Jnterjektionen, daß
es sich tragisch anließ, uns schwante erklärlich genug ein dramatisirter „Ber¬
liner Roman," und wir lasen es natürlich nicht. Das bereits nach Jahr¬
hunderten zählende Abhängigkeitsverhältnis der spanischen von der französischen
Bühne war zur Genüge bekannt, als daß uns bei der Sache noch etwas spanisch
hätte vorkommen können. Umsomehr erstaunten wir später, in mehr als durch¬
schnittlichen Berichten über die erwähnten Aufführungen einen ganz verschiednen
Maßstab angelegt zu finden; private Urteile erhöhten die Neugier, und schließlich
haben wir trotz des Autors für das Schicksal des Stückes gebangt. Denn es
ist unsrer — wie es allgemein heißt — ja nun für ewige Zeiten ausschließlich
„demokratischen" Bühne schon lange kein Stück geboten worden, welches dem
vielköpfigen Götzen Publikum, öffentliche Meinung, Allgemeinheit und wie sonst
der allmächtige Gegensatz zum höhern Einzelnen noch heißen mag, so ohne
Mätzchen, Verbeugungen und Ausnahmen, so ruhig und klar, so selbstverständlich
und darum auch so grausam die Wahrheit sagt wie dieses. Es ist ein wahres
Glück, daß der Name Echcgaray keinen deutschen Autor bedeutet. Wir würden
sein Stück sonst kaum an der Gußstätte von Blumenthals „Großer Glocke" zu hören
Gelegenheit gehabt haben. Und das wäre aufrichtig zu bedauern; denn es wird am
Deutschen Theater nach gewissenhaftem Studium gut gespielt. Insbesondre hat
es uns gefreut, deu Träger des Stückes und eigentlichen (sicher auch ursprüng¬
lichen) Galeotto, Don Manuel, nicht mehr auf der Bahn zu begegnen, die er
uns kürzlich als Mephistopheles nicht zu seinem Vorteil betreten zu wollen schien.

Es ist dem Dichter mit diesem „Galeotto" eigen ergangen. An ihm hat
sich der Übergang vollzogen, der gerade dem Dramatiker viel zu schaffen macht,
wenn, wie es wohl vorkommen soll, der Stoff sich ihm unter der Hand wandelt
und erst eigentlich ausgestaltet. Ein Vorspiel, recht von der Art desjenigen
in dem Calderonschen Schauspiele „Das Leben ein Traum," in welchem die im
Stücke zu erweisende Behauptung aufgestellt wird, bringt technische Diftcleien,
die hier auf den Brettern ganz besonders befremden, wenn man nicht weiß, wie
tief sie der spanischen Kunst von jeher eingewurzelt sind. Aber es bringt zu¬
gleich ausgiebige Deutungen. Aus diesen nun scheint klar hervorzugehen, daß
der Dichter ursprünglich eine Liebestragödie beabsichtigt hat, in welcher der
Ehemann unbewußt deu Galeotto spielt. Ein alternder würdiger Kaufherr trügt
eine Lebensverpflichtung gegen einen verarmt gestorbenen Freund an dessen
reichbegabten Sohne ab mit jener geselligen Hingabe, die den Spanier überhaupt
auszeichnet. Er nimmt den stolzen Jüngling, dem er sonst auf keine Weise
beikommen kann, als Sohn in sein Haus. Allein er hat mit einem bedenklichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/244>, abgerufen am 15.05.2024.