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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Galeotto.

sauer vielleicht als jener. Es ist nicht mehr dieser Klatsch, das zufällige
Tagesgespräch von Barcelona oder Saragossa, es wird der Klatsch überhaupt.
Und sehr wohl hat es der Dichter verstanden, ohne daß er offen darauf hin¬
wiese oder daraus ein besonderes Motiv machte, dem Klatsch noch den besondern
Bestandteil zu geben, durch den er eigentlich erst er selbst wird, den Eigennutz.
Die bloße Freude am Klatsch ohne Hintergedanken ist lächerlich, kann gefährlich
sein, ja Tragisches wirken, aber sie ist harmlos, sie würde am Schlüsse dieses
Stückes selbst einen tragikomischen Eindruck machen. Dadurch aber, daß ihre
Vertreter im Stücke Verwandte des vorgeblich betrogenen Gatten sind, daß ihnen
die junge Frau im Wege, der Advptivsohn ein Dorn im Auge ist, so sehr sie
das auch verbergen möchten hinter ihrem.Klatsch, dadurch wird dieser erst echt
und zugleich dramatisch verwendbar. Und um wird der Schluß, wie wir ihn
schon oben andeuteten, so gehaltvoll, so richtig, um das scheinbar geringfügigste
Prädikat eines dramatischen Schlusses zu gebrauchen.

Der Galeotto ist -- sicher nicht zur Erbauung unsrer Modernsten, die
alle halben Jahre mindestens einmal feierlich den armen Vers auf den ästhe¬
tischen Index setzen -- in Versen, und zwar im spanischen Natioualmaß, in
vierfüßigen Trochäen geschrieben. Sicher nicht zum Schaden seines typischen
Gepräges. Wir wollen die Prosa, in welche ihn Paul Lindau kleidete (bis
auf gewisse Ungezogenheiten des Zeitungsstils, die vom ernsten Schriftsteller an
solcher Stelle am wenigsten ermuntert werden sollten), gern anerkennen. Aber
wir wünschten sehr, ihn auch im Originalgewmide zu besitzen. Vielleicht erweist
uns ein poetischer Philologe, wen" nicht ein sprachkundiger und sprachgewandter
Dichter, nachträglich den Dienst noch, den der erste Uebersetzer nicht leisten wollte
und -- konnte. Niemand brauchte sich der Arbeit zu schämen. Man weiß, in welch
wunderlichen und unerfreulichen Experimenten sich die Literatur zur Stunde er¬
geht, um, wie sie es mit einer in unsrer literarhistorischen Zeit ganz unglaublichen
Naivität nennt, "einen neuen Weg zu finden." Einseitigkeiten, Bildcrstürmereien
und in ihrem Gefolge Beschränkung und Verwittern"g, also um im Bilde zu
bleiben: Verirrungen sind noch stets die Folgen gewesen. Die Kunst hat zu
allen Zeiten nur ein Ziel gehabt, und ihr Weg führt, wie die Geschichte beweist,
um dies Ziel herum in auf- und absteigenden Krümmungen, aber nicht in gerader
Linie von ihm ab ins aschgraue Nichts hinein. Wichtiger, heilsamer, wenn
auch leider nicht immer wirksamer als die "neuen Wege" haben sich stets die
Anregungen erwiesen, durch welche die Kunstübung sich verjüngen, zu neuer
Erfassung und immer neuer Ausgestaltung und Vertiefung ihrer ewigen Aufgabe
sich emporschwingen konnte. Noch fehlen uns diese nicht, noch sind wir sicher
vor "neuen Wegen." Und da es ans dem Gebiete des Dramas, und zwar
gerade auf diesem besonders, jetzt bei uns ein so schlimmes Ansehen gewinnt, so
sei auf diese südliche Anregung für den südlichsten Kunstzweig auch aus dieser
Rücksicht hingewiesen. _




Grenzboten IV. 1887. 31
Galeotto.

sauer vielleicht als jener. Es ist nicht mehr dieser Klatsch, das zufällige
Tagesgespräch von Barcelona oder Saragossa, es wird der Klatsch überhaupt.
Und sehr wohl hat es der Dichter verstanden, ohne daß er offen darauf hin¬
wiese oder daraus ein besonderes Motiv machte, dem Klatsch noch den besondern
Bestandteil zu geben, durch den er eigentlich erst er selbst wird, den Eigennutz.
Die bloße Freude am Klatsch ohne Hintergedanken ist lächerlich, kann gefährlich
sein, ja Tragisches wirken, aber sie ist harmlos, sie würde am Schlüsse dieses
Stückes selbst einen tragikomischen Eindruck machen. Dadurch aber, daß ihre
Vertreter im Stücke Verwandte des vorgeblich betrogenen Gatten sind, daß ihnen
die junge Frau im Wege, der Advptivsohn ein Dorn im Auge ist, so sehr sie
das auch verbergen möchten hinter ihrem.Klatsch, dadurch wird dieser erst echt
und zugleich dramatisch verwendbar. Und um wird der Schluß, wie wir ihn
schon oben andeuteten, so gehaltvoll, so richtig, um das scheinbar geringfügigste
Prädikat eines dramatischen Schlusses zu gebrauchen.

Der Galeotto ist — sicher nicht zur Erbauung unsrer Modernsten, die
alle halben Jahre mindestens einmal feierlich den armen Vers auf den ästhe¬
tischen Index setzen — in Versen, und zwar im spanischen Natioualmaß, in
vierfüßigen Trochäen geschrieben. Sicher nicht zum Schaden seines typischen
Gepräges. Wir wollen die Prosa, in welche ihn Paul Lindau kleidete (bis
auf gewisse Ungezogenheiten des Zeitungsstils, die vom ernsten Schriftsteller an
solcher Stelle am wenigsten ermuntert werden sollten), gern anerkennen. Aber
wir wünschten sehr, ihn auch im Originalgewmide zu besitzen. Vielleicht erweist
uns ein poetischer Philologe, wen» nicht ein sprachkundiger und sprachgewandter
Dichter, nachträglich den Dienst noch, den der erste Uebersetzer nicht leisten wollte
und — konnte. Niemand brauchte sich der Arbeit zu schämen. Man weiß, in welch
wunderlichen und unerfreulichen Experimenten sich die Literatur zur Stunde er¬
geht, um, wie sie es mit einer in unsrer literarhistorischen Zeit ganz unglaublichen
Naivität nennt, „einen neuen Weg zu finden." Einseitigkeiten, Bildcrstürmereien
und in ihrem Gefolge Beschränkung und Verwittern»g, also um im Bilde zu
bleiben: Verirrungen sind noch stets die Folgen gewesen. Die Kunst hat zu
allen Zeiten nur ein Ziel gehabt, und ihr Weg führt, wie die Geschichte beweist,
um dies Ziel herum in auf- und absteigenden Krümmungen, aber nicht in gerader
Linie von ihm ab ins aschgraue Nichts hinein. Wichtiger, heilsamer, wenn
auch leider nicht immer wirksamer als die „neuen Wege" haben sich stets die
Anregungen erwiesen, durch welche die Kunstübung sich verjüngen, zu neuer
Erfassung und immer neuer Ausgestaltung und Vertiefung ihrer ewigen Aufgabe
sich emporschwingen konnte. Noch fehlen uns diese nicht, noch sind wir sicher
vor „neuen Wegen." Und da es ans dem Gebiete des Dramas, und zwar
gerade auf diesem besonders, jetzt bei uns ein so schlimmes Ansehen gewinnt, so
sei auf diese südliche Anregung für den südlichsten Kunstzweig auch aus dieser
Rücksicht hingewiesen. _




Grenzboten IV. 1887. 31
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/249>, abgerufen am 16.05.2024.