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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Eine Fahrt in den Grient.

Orientirungsreise genießen, da die Moscheen und Paläste keine Abstraktionen
mehr für uns waren, sondern uns als alte Bekannte begrüßten.

Die Meerfahrt dauerte etwa fünf Stunden; wir ließen die Prinzeninseln
zur Seite und kamen in die Bucht von Mudania, über welcher der phrygische
Olymp sein schneebedecktes Haupt in den Wolken verhüllt. Die Landung bot
wieder das alte türkische Bild; eine Flut von Menschen stürzte sich auf das
Verdeck, um sich als Träger, Führer und Kutscher anzubieten, und es bedürfte
aller Energie, sich der Zudringlichen zu wehren; von einer Landungsbrücke ist
keine Rede. Jeder gelangt zur Erde, wie er es am Besten vermag, und so blieb
auch uns nichts andres übrig, als einen Salto mortale von dem Radkasten zu
machen. Aber auch dadurch hatten wir unsre Freiheit nicht gewonnen; der Zu¬
gang in die Stadt ist durch ein mächtiges Gitterthor abgesperrt, durch das nur
der mit dem türkischen Paß (Teskere) bewaffnete durchgelassen wird. Dahin
drängte nun alles, und da die Einheimischen von dem internationalen Dietrich,
den man hier Bakschisch nennt, keinen Gebrauch machen, da ferner rücksichtslos
jeder dem andern zuvorzukommen sucht, so dauerte es eine geraume Zeit, ehe
wir den schweren Zugang fanden, auf den der Dantesche Vers ?ör ins si
sita oittZ. äolönw anzuwenden wäre. In Mudania bestiegen wir sofort den
bereiten Wagen, dessen Führer ein Grieche Paulos oder, wie es jetzt gesprochen
wird, Pawlos war. Von Mudania selbst sahen wir nicht viel, der Wagen fuhr
sofort in der Richtung von Brussa.

So waren wir also wieder in Asien und hatten Gelegenheit, tüchtig asia¬
tischen Staub zu schlucken, der trotz seiner größeren Ehrwürdigkeit sich von dem
märkischen in nichts unterscheidet. Man konnte es sehen, daß seit vier Monaten
kein Regen gefallen war, alles Grün auf den Feldern war versengt, und nur
die reichen Trauben freuten sich der Glut. Lange Zeit blieb noch das Meer
zur Linken und gewährte uns wenigstens in seinem Anblicke die Erquickung,
welche uns die staubige Landstraße und die Hitze der Sonne entzog. Aber
auch schon hierher ist die Zivilisation gedrungen, denn von Zeit zu Zeit sprengten
kleine Griechenknaben und -Mädchen an den Wagen und boten uns Blumen,
Wasser und, was hochwillkomner war, Trauben an, deren wir eine Menge um
weniges Geld erwarben. Da der Koran den Wein verbietet, so ist die göttliche
Frucht hierzulande nicht zum Keltern bestimmt, sondern wandert, soweit sie
nicht reif Verwendung findet, als Rosine in unsre Heimat, um die Kuchen
unsrer Hausfrauen zu würzen. Die Straße bietet einen lebhaften Verkehr, da
sie das Innere Asiens mit der übrigen Welt verbindet; eine Eisenbahn wäre
daher, wenn irgend wo, hier ein dringendes Bedürfnis, und die türkische Re¬
gierung hatte sogar schon begonnen, dem Plane einer solchen näher zu treten.
In der That sehen wir schon ganze Schiencnstrecken, aber mitten im Bau war,
wie es in der Türkei nicht selten ist, das Geld ausgegangen, und so war er
stecken geblieben, sodaß, was bisher zu stände kam, einfach von den Anwohnern


Eine Fahrt in den Grient.

Orientirungsreise genießen, da die Moscheen und Paläste keine Abstraktionen
mehr für uns waren, sondern uns als alte Bekannte begrüßten.

Die Meerfahrt dauerte etwa fünf Stunden; wir ließen die Prinzeninseln
zur Seite und kamen in die Bucht von Mudania, über welcher der phrygische
Olymp sein schneebedecktes Haupt in den Wolken verhüllt. Die Landung bot
wieder das alte türkische Bild; eine Flut von Menschen stürzte sich auf das
Verdeck, um sich als Träger, Führer und Kutscher anzubieten, und es bedürfte
aller Energie, sich der Zudringlichen zu wehren; von einer Landungsbrücke ist
keine Rede. Jeder gelangt zur Erde, wie er es am Besten vermag, und so blieb
auch uns nichts andres übrig, als einen Salto mortale von dem Radkasten zu
machen. Aber auch dadurch hatten wir unsre Freiheit nicht gewonnen; der Zu¬
gang in die Stadt ist durch ein mächtiges Gitterthor abgesperrt, durch das nur
der mit dem türkischen Paß (Teskere) bewaffnete durchgelassen wird. Dahin
drängte nun alles, und da die Einheimischen von dem internationalen Dietrich,
den man hier Bakschisch nennt, keinen Gebrauch machen, da ferner rücksichtslos
jeder dem andern zuvorzukommen sucht, so dauerte es eine geraume Zeit, ehe
wir den schweren Zugang fanden, auf den der Dantesche Vers ?ör ins si
sita oittZ. äolönw anzuwenden wäre. In Mudania bestiegen wir sofort den
bereiten Wagen, dessen Führer ein Grieche Paulos oder, wie es jetzt gesprochen
wird, Pawlos war. Von Mudania selbst sahen wir nicht viel, der Wagen fuhr
sofort in der Richtung von Brussa.

So waren wir also wieder in Asien und hatten Gelegenheit, tüchtig asia¬
tischen Staub zu schlucken, der trotz seiner größeren Ehrwürdigkeit sich von dem
märkischen in nichts unterscheidet. Man konnte es sehen, daß seit vier Monaten
kein Regen gefallen war, alles Grün auf den Feldern war versengt, und nur
die reichen Trauben freuten sich der Glut. Lange Zeit blieb noch das Meer
zur Linken und gewährte uns wenigstens in seinem Anblicke die Erquickung,
welche uns die staubige Landstraße und die Hitze der Sonne entzog. Aber
auch schon hierher ist die Zivilisation gedrungen, denn von Zeit zu Zeit sprengten
kleine Griechenknaben und -Mädchen an den Wagen und boten uns Blumen,
Wasser und, was hochwillkomner war, Trauben an, deren wir eine Menge um
weniges Geld erwarben. Da der Koran den Wein verbietet, so ist die göttliche
Frucht hierzulande nicht zum Keltern bestimmt, sondern wandert, soweit sie
nicht reif Verwendung findet, als Rosine in unsre Heimat, um die Kuchen
unsrer Hausfrauen zu würzen. Die Straße bietet einen lebhaften Verkehr, da
sie das Innere Asiens mit der übrigen Welt verbindet; eine Eisenbahn wäre
daher, wenn irgend wo, hier ein dringendes Bedürfnis, und die türkische Re¬
gierung hatte sogar schon begonnen, dem Plane einer solchen näher zu treten.
In der That sehen wir schon ganze Schiencnstrecken, aber mitten im Bau war,
wie es in der Türkei nicht selten ist, das Geld ausgegangen, und so war er
stecken geblieben, sodaß, was bisher zu stände kam, einfach von den Anwohnern


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[0251] Eine Fahrt in den Grient. Orientirungsreise genießen, da die Moscheen und Paläste keine Abstraktionen mehr für uns waren, sondern uns als alte Bekannte begrüßten. Die Meerfahrt dauerte etwa fünf Stunden; wir ließen die Prinzeninseln zur Seite und kamen in die Bucht von Mudania, über welcher der phrygische Olymp sein schneebedecktes Haupt in den Wolken verhüllt. Die Landung bot wieder das alte türkische Bild; eine Flut von Menschen stürzte sich auf das Verdeck, um sich als Träger, Führer und Kutscher anzubieten, und es bedürfte aller Energie, sich der Zudringlichen zu wehren; von einer Landungsbrücke ist keine Rede. Jeder gelangt zur Erde, wie er es am Besten vermag, und so blieb auch uns nichts andres übrig, als einen Salto mortale von dem Radkasten zu machen. Aber auch dadurch hatten wir unsre Freiheit nicht gewonnen; der Zu¬ gang in die Stadt ist durch ein mächtiges Gitterthor abgesperrt, durch das nur der mit dem türkischen Paß (Teskere) bewaffnete durchgelassen wird. Dahin drängte nun alles, und da die Einheimischen von dem internationalen Dietrich, den man hier Bakschisch nennt, keinen Gebrauch machen, da ferner rücksichtslos jeder dem andern zuvorzukommen sucht, so dauerte es eine geraume Zeit, ehe wir den schweren Zugang fanden, auf den der Dantesche Vers ?ör ins si sita oittZ. äolönw anzuwenden wäre. In Mudania bestiegen wir sofort den bereiten Wagen, dessen Führer ein Grieche Paulos oder, wie es jetzt gesprochen wird, Pawlos war. Von Mudania selbst sahen wir nicht viel, der Wagen fuhr sofort in der Richtung von Brussa. So waren wir also wieder in Asien und hatten Gelegenheit, tüchtig asia¬ tischen Staub zu schlucken, der trotz seiner größeren Ehrwürdigkeit sich von dem märkischen in nichts unterscheidet. Man konnte es sehen, daß seit vier Monaten kein Regen gefallen war, alles Grün auf den Feldern war versengt, und nur die reichen Trauben freuten sich der Glut. Lange Zeit blieb noch das Meer zur Linken und gewährte uns wenigstens in seinem Anblicke die Erquickung, welche uns die staubige Landstraße und die Hitze der Sonne entzog. Aber auch schon hierher ist die Zivilisation gedrungen, denn von Zeit zu Zeit sprengten kleine Griechenknaben und -Mädchen an den Wagen und boten uns Blumen, Wasser und, was hochwillkomner war, Trauben an, deren wir eine Menge um weniges Geld erwarben. Da der Koran den Wein verbietet, so ist die göttliche Frucht hierzulande nicht zum Keltern bestimmt, sondern wandert, soweit sie nicht reif Verwendung findet, als Rosine in unsre Heimat, um die Kuchen unsrer Hausfrauen zu würzen. Die Straße bietet einen lebhaften Verkehr, da sie das Innere Asiens mit der übrigen Welt verbindet; eine Eisenbahn wäre daher, wenn irgend wo, hier ein dringendes Bedürfnis, und die türkische Re¬ gierung hatte sogar schon begonnen, dem Plane einer solchen näher zu treten. In der That sehen wir schon ganze Schiencnstrecken, aber mitten im Bau war, wie es in der Türkei nicht selten ist, das Geld ausgegangen, und so war er stecken geblieben, sodaß, was bisher zu stände kam, einfach von den Anwohnern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/251>, abgerufen am 22.05.2024.