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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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an die Küste bringen, sperren oft minutenlang den Weg, bis man das Warten
dadurch verkürzt, daß man dem Beispiele der Bewohner folgt und durch die
Leitseile hindurchkriecht.

Auch von dem Gewerbereichtum Brnssas erhielten wir Kenntnis und be¬
sichtigten eine Seideufabrik, wo unverhüllte Türkenmädchen mit ihren griechischen
Landsmänninnen an der Herstellung des kostbaren Stoffes arbeiten, mit denen
sich die europäischen Frauen schmücken. Leider wandert die rohe Seide zum
größten Teile nach Lyon, wie denn auch französische Häuser eine viel größere
Vertretung hier gefunden haben als deutsche. Unsre Landsleute wagen, wenn
sie im Vaterlande bleiben, lieber ihre Kapitalien bei Bvrsenoperativnen, als daß
sie sie einem auswärtigen, mühevollen Unternehmen anvertrauen, oder wenn sie
das Eldorado außerhalb der Heimat suchen, so wenden sie ihre Blicke nach
Amerika, um oft genug enttäuscht zurückzukehren. Und doch ist die Rechts¬
sicherheit in der neuen Welt gewiß nicht besser als hier. Freilich hörten wir
von dem Gouverneur, der eine besondre Vorliebe für das Theater hat und zu
Ehren der deutschen Gesandtschaft Schillers Räuber in türkischer Sprache auf¬
führen ließ, allerlei merkwürdige Dinge, und die Art, wie er namentlich bei seinen
Untergebenen die Liebe zur dramatischen Kunst fördert, stimmt mit europäische"
Beamten begriffen uicht überein. Die Verwaltung ist eben eine türkische, und
auch die unvermeidlichen Hunde des Orients stehen ihren Stambnler Kollegen
uicht nach. Brussa ist aber auch mit heilbringenden Quellen gesegnet, deren
Wirkung wie die der Gasteiner eine verjüngende ist. Ans unserm Wege nach
Tschekirge begegneten wir ganzen Karawanen von Frauen, welche von den Bädern
zurückkehrten, Türkinnen wie Griechinnen; bei den letzteren genießen die Bäder
von Bügttk und Kütschük Kökürdli ein ganz besondres Ansehen, weil in diesen
der heilige Patritius von einem römischen Prokonsul den Märtyrertod erlitt.
Wir selbst haben ein heißes Bad besucht, konnten es aber in dem glühenden
Raume kaum einige Sekunden aushalten und kosteten nur von der Schwefel¬
quelle. Die Rückkehr am Abend zeigte uns den Alpencharattcr der Landschaft
von den Strahlen der untergehenden Sonne gerötet, und ich würde mich am
Malojapasse geglaubt haben, wenn nicht die Straßenszeuen nur zu deutlich den
Orient ins Gedächtnis zurückgerufen hätten. Mit dem Gefühl der Genugthuung,
aber gleichzeitig mit dem des Schmerzes sind wir in der darauffolgenden Nacht
von Brussa geschieden, und ich kann nur zustimmen, wenn unser Freund über
Brussa folgendes Urteil in sein Tagebuch verzeichnete:


Daß der Olympus der sah der unsterblichen Götter gewesen,
Brussa, erfährst du noch heut, ob du auch Allah verehrst.
Selbst der Araber Wut und der Türken gräuliche Wirtschaft
Raubten die Anmut dir nicht, die einst die Götter verliehn.

(Fortsetzung folgt.)




Line Fahrt in den Grient.

an die Küste bringen, sperren oft minutenlang den Weg, bis man das Warten
dadurch verkürzt, daß man dem Beispiele der Bewohner folgt und durch die
Leitseile hindurchkriecht.

Auch von dem Gewerbereichtum Brnssas erhielten wir Kenntnis und be¬
sichtigten eine Seideufabrik, wo unverhüllte Türkenmädchen mit ihren griechischen
Landsmänninnen an der Herstellung des kostbaren Stoffes arbeiten, mit denen
sich die europäischen Frauen schmücken. Leider wandert die rohe Seide zum
größten Teile nach Lyon, wie denn auch französische Häuser eine viel größere
Vertretung hier gefunden haben als deutsche. Unsre Landsleute wagen, wenn
sie im Vaterlande bleiben, lieber ihre Kapitalien bei Bvrsenoperativnen, als daß
sie sie einem auswärtigen, mühevollen Unternehmen anvertrauen, oder wenn sie
das Eldorado außerhalb der Heimat suchen, so wenden sie ihre Blicke nach
Amerika, um oft genug enttäuscht zurückzukehren. Und doch ist die Rechts¬
sicherheit in der neuen Welt gewiß nicht besser als hier. Freilich hörten wir
von dem Gouverneur, der eine besondre Vorliebe für das Theater hat und zu
Ehren der deutschen Gesandtschaft Schillers Räuber in türkischer Sprache auf¬
führen ließ, allerlei merkwürdige Dinge, und die Art, wie er namentlich bei seinen
Untergebenen die Liebe zur dramatischen Kunst fördert, stimmt mit europäische»
Beamten begriffen uicht überein. Die Verwaltung ist eben eine türkische, und
auch die unvermeidlichen Hunde des Orients stehen ihren Stambnler Kollegen
uicht nach. Brussa ist aber auch mit heilbringenden Quellen gesegnet, deren
Wirkung wie die der Gasteiner eine verjüngende ist. Ans unserm Wege nach
Tschekirge begegneten wir ganzen Karawanen von Frauen, welche von den Bädern
zurückkehrten, Türkinnen wie Griechinnen; bei den letzteren genießen die Bäder
von Bügttk und Kütschük Kökürdli ein ganz besondres Ansehen, weil in diesen
der heilige Patritius von einem römischen Prokonsul den Märtyrertod erlitt.
Wir selbst haben ein heißes Bad besucht, konnten es aber in dem glühenden
Raume kaum einige Sekunden aushalten und kosteten nur von der Schwefel¬
quelle. Die Rückkehr am Abend zeigte uns den Alpencharattcr der Landschaft
von den Strahlen der untergehenden Sonne gerötet, und ich würde mich am
Malojapasse geglaubt haben, wenn nicht die Straßenszeuen nur zu deutlich den
Orient ins Gedächtnis zurückgerufen hätten. Mit dem Gefühl der Genugthuung,
aber gleichzeitig mit dem des Schmerzes sind wir in der darauffolgenden Nacht
von Brussa geschieden, und ich kann nur zustimmen, wenn unser Freund über
Brussa folgendes Urteil in sein Tagebuch verzeichnete:


Daß der Olympus der sah der unsterblichen Götter gewesen,
Brussa, erfährst du noch heut, ob du auch Allah verehrst.
Selbst der Araber Wut und der Türken gräuliche Wirtschaft
Raubten die Anmut dir nicht, die einst die Götter verliehn.

(Fortsetzung folgt.)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/255>, abgerufen am 22.05.2024.