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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Aarl Friedrich Bahrdt.

Auch in Gießen selbst erregten die "Offenbarungen" großen Lärm, und
dem Verfasser drohten ernste Unannehmlichkeiten, denen er lieber aus dem Wege
ging. So nahm er denn 1775 mit Freuden den Ruf eines Herrn von Salis
an, der in Marschlins in Graubünden ein Philanthropin errichtet hatte und
ihm die Leitung desselben antrug.*) Aber auch diese Herrlichkeit währte nicht
lange. Jener Herr von Salis scheint ein unbequemer Vorgesetzter gewesen zu
sein, und Bahrdt seinerseits war ganz der Mann, auch das beste Institut im
Handumdrehen zu verpfuschen. Nachdem er in den ersten Wochen lind Monaten
für die Erziehungsanstalt marktschreierisch Reklame gemacht hatte, begann er
endlich, nach seinem eignen Geständnis/"") "über die Art und Weise nachzudenken,
wie wenigstens etwas von dem Plane, den er der Welt vorgelogen hatte, realisirt
werden könnte." Aber mittlerweile war das gegenseitige Mißtrauen und die
Spannung zwischen ihm und Salis bereits so weit gediehen, daß an einen Erfolg
des Instituts nicht mehr zu denken war, und so teilte dann das Bahrdtsche
Philanthropin, wie Schummel im "Spitzbart" spottete, das Schicksal der gar
zu klugen Kinder und ging in seiner schönsten Blüte den Weg alles Fleisches.
Aber noch kurz vor Eintritt der Katastrophe konnte Bahrdt sich selbst in Sicher¬
heit bringen, indem er einer Berufung des Grafen zu Leiningen-Dachsburg zur
Generalsuperintendentur zu Dürkheim an der Haardt Folge leistete.

Auch hier dieselbe Geschichte: rasch war er auch hier durch Leben und Lehre
gründlich anrüchig geworden. Ein Dogma nach dem andern hatte er abgestreift,
den ganzen "positiven Kram," um seinen eignen Ausdruck zu gebrauchen, von
sich geworfen, und da es dem rcklamesüchtigen Generalsuperintendenten Lebens¬
bedürfnis war, Aufsehen zu erregen und von sich reden zu machen, so geberdete
er sich immer lärmender, suchte immer geflissentlicher herauszufordern und zu
reizen. Auch durch seine pädagogischen Erfahrungen war er nicht klüger ge¬
worden. An dem Zusammenbruche des Philanthropins zu Marschlins war
natürlich nur der selbstherrliche und knickerige Herr von Salis Schuld gewesen;
hätte Bahrdt nur einmal freie Hand, so wollte er schon der Welt zeigen, wie
eigentlich ein richtiges Musterphilanthropin aussehe. Der Graf war anfänglich
dem Plane geneigt und bewilligte seinem Generalsuperintendenten das unweit
Dürkheim gelegene Schloß Heidesheim, in welchem dieser alsbald seine Residenz
aufschlug. Mittel waren nicht vorhanden, und so wurden frischweg Schulden
gemacht, um das Schloß als Erziehungsanstalt herzustellen, Lehrer und Köche
zu mieten und alles auf einen großen Fuß einzurichten. Alles war bereit, nur
die erhofften Zöglinge wollten nicht kommen. Mit Mühe und Not und mit




höflich und zutraulich; er scherzte über den Prolog und wünschte ein freundliches Verhältnis."
Bahrdt seinerseits zog es vor, in seiner Selbstbiographie seine Beziehungen zu Goethe völlig
zu verschweigen.
*) Über Bahrdts pädagogische Thätigkeit vergl. Leyser, K. Fr. Bahrdt. Neustadt, 1867.
**) Lebensbeschreibung III, S. 6.
Aarl Friedrich Bahrdt.

Auch in Gießen selbst erregten die „Offenbarungen" großen Lärm, und
dem Verfasser drohten ernste Unannehmlichkeiten, denen er lieber aus dem Wege
ging. So nahm er denn 1775 mit Freuden den Ruf eines Herrn von Salis
an, der in Marschlins in Graubünden ein Philanthropin errichtet hatte und
ihm die Leitung desselben antrug.*) Aber auch diese Herrlichkeit währte nicht
lange. Jener Herr von Salis scheint ein unbequemer Vorgesetzter gewesen zu
sein, und Bahrdt seinerseits war ganz der Mann, auch das beste Institut im
Handumdrehen zu verpfuschen. Nachdem er in den ersten Wochen lind Monaten
für die Erziehungsanstalt marktschreierisch Reklame gemacht hatte, begann er
endlich, nach seinem eignen Geständnis/"") „über die Art und Weise nachzudenken,
wie wenigstens etwas von dem Plane, den er der Welt vorgelogen hatte, realisirt
werden könnte." Aber mittlerweile war das gegenseitige Mißtrauen und die
Spannung zwischen ihm und Salis bereits so weit gediehen, daß an einen Erfolg
des Instituts nicht mehr zu denken war, und so teilte dann das Bahrdtsche
Philanthropin, wie Schummel im „Spitzbart" spottete, das Schicksal der gar
zu klugen Kinder und ging in seiner schönsten Blüte den Weg alles Fleisches.
Aber noch kurz vor Eintritt der Katastrophe konnte Bahrdt sich selbst in Sicher¬
heit bringen, indem er einer Berufung des Grafen zu Leiningen-Dachsburg zur
Generalsuperintendentur zu Dürkheim an der Haardt Folge leistete.

Auch hier dieselbe Geschichte: rasch war er auch hier durch Leben und Lehre
gründlich anrüchig geworden. Ein Dogma nach dem andern hatte er abgestreift,
den ganzen „positiven Kram," um seinen eignen Ausdruck zu gebrauchen, von
sich geworfen, und da es dem rcklamesüchtigen Generalsuperintendenten Lebens¬
bedürfnis war, Aufsehen zu erregen und von sich reden zu machen, so geberdete
er sich immer lärmender, suchte immer geflissentlicher herauszufordern und zu
reizen. Auch durch seine pädagogischen Erfahrungen war er nicht klüger ge¬
worden. An dem Zusammenbruche des Philanthropins zu Marschlins war
natürlich nur der selbstherrliche und knickerige Herr von Salis Schuld gewesen;
hätte Bahrdt nur einmal freie Hand, so wollte er schon der Welt zeigen, wie
eigentlich ein richtiges Musterphilanthropin aussehe. Der Graf war anfänglich
dem Plane geneigt und bewilligte seinem Generalsuperintendenten das unweit
Dürkheim gelegene Schloß Heidesheim, in welchem dieser alsbald seine Residenz
aufschlug. Mittel waren nicht vorhanden, und so wurden frischweg Schulden
gemacht, um das Schloß als Erziehungsanstalt herzustellen, Lehrer und Köche
zu mieten und alles auf einen großen Fuß einzurichten. Alles war bereit, nur
die erhofften Zöglinge wollten nicht kommen. Mit Mühe und Not und mit




höflich und zutraulich; er scherzte über den Prolog und wünschte ein freundliches Verhältnis."
Bahrdt seinerseits zog es vor, in seiner Selbstbiographie seine Beziehungen zu Goethe völlig
zu verschweigen.
*) Über Bahrdts pädagogische Thätigkeit vergl. Leyser, K. Fr. Bahrdt. Neustadt, 1867.
**) Lebensbeschreibung III, S. 6.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/31>, abgerufen am 16.06.2024.