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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Fragen des Tages.

Deutschland sind für beide Länder außerordentlich wichtig, und diese Beziehungen
wären ohne Schwierigkeiten herzustellen, wenn nur Deutschland die verhängnis¬
volle Kette, welche es an Österreich fesselt, zerreißen und sich durch den un¬
zweifelhaften Mehrwert überzeugen lassen wollte, welchen ein aufrichtiges Ver¬
halten im Vergleiche zu den lästigen Bedingungen der Friedensverschwöruugen
hat." Wir sind andrer Meinung. Erstens hat die deutsche Politik der rus¬
sischen nie Anlaß gegeben, zu klagen, daß sie es an Aufrichtigkeit fehlen lasse,
wenn es sich um russische Interessen handle, zweitens denkt sie nicht daran,
Nußland unselbständig zu machen, drittens liegt uns der Gedanke, daß es
wünschenswert sei, an Rußland einen guten Nachbar zu besitzen, so nahe am
Herzen, wie verständigen Russen die Überzeugung, daß es für Rußland von
hohem Werte ist, an Deutschland einen Freund zu haben. Nur ist uns das
Hemd näher als der Rock, Österreichs Freundschaft besser, weil gewisser als
Rußlands Freundschaft, und niemals wird uns die letztere das Gefühl voller
Beruhigung einflößen, welches wir im Hinblick auf die "Friedensverschwöruugen"
empfinden, und zwar ist das aus folgenden Gründen unmöglich. "Alles Russische
ist Rauch! Rauch oder Dunst, nichts weiter. Der Wind dreht sich, und alles
bewegt sich in einer Richtung, welche der bisherigen entgegengesetzt ist." So
schrieb einst Turgenjew, und wenn wir die letzten Jahre der russischen Politik
betrachten, so finden wir das Bild, mit welchem der Dichter das Wesen und
die Zustände seines Volkes kennzeichnete, auch auf diesem Gebiete zutreffend.
Unbeständig, abhängig vom Winde der Doktrin, des Gefühls, der Laune, im
eigentlichen Sinne inhaltslos, charakterlos und ziellos, erschien fast alles Ein¬
zelne, was dort geschah oder geschehen wollte. Namentlich gilt dies von den
Bestrebungen und Versuchen, welche die Geschichte der innern Politik, und von
denen, welche die des Verhaltens zu den westlichen Nachbarn bilden. Rauch, vom
Winde bewegt, waren die liberalen Reformen, mit denen Rußland von Alexander II.
gegen die Natur des Volkes bedacht wurde. Als Rauch wird sich erweisen, was
seitdem die innern Zustände nach dieser Natur, wie die nationalen, die Verächter
der westlichen Kultur meinten, bestimmen und gestalten sollte. Rauch ist der
eroberungssüchtige Panslawismus, und dasselbe ist von dem kirchlichen By-
zantinertum zu sagen, dessen Propheten Pobcdouoszew und sein Anhang
sind. Rauch ist die russische Freundschaft, gleichviel, ob sie sich den Fran¬
zosen oder uns anträgt. Auch der russische Haß gegen uns darf unter den
jetzigen Umständen als Rauch betrachtet werden, der bedenklicher aussieht,
als er in Wirklichkeit ist, weil sein Feuer nnr vou Stimmungen, die unklar und
vergänglich sind, nicht von Bedürfnissen genährt wird, und weil gesorgt ist, daß
dieses Feuer bei einem Ausbruche bald seine Schranken findet. Wir haben
gegenwärtig von Rußland nichts zu hoffen, wir haben aber auch nicht so viel
von ihm zu besorgen, als es manchem scheint. Wir sind auch ihm gegenüber
bedürfnislos, die deutsche Politik kann ihm trotz seiner unfreundlichen Mienen


Zwei Fragen des Tages.

Deutschland sind für beide Länder außerordentlich wichtig, und diese Beziehungen
wären ohne Schwierigkeiten herzustellen, wenn nur Deutschland die verhängnis¬
volle Kette, welche es an Österreich fesselt, zerreißen und sich durch den un¬
zweifelhaften Mehrwert überzeugen lassen wollte, welchen ein aufrichtiges Ver¬
halten im Vergleiche zu den lästigen Bedingungen der Friedensverschwöruugen
hat." Wir sind andrer Meinung. Erstens hat die deutsche Politik der rus¬
sischen nie Anlaß gegeben, zu klagen, daß sie es an Aufrichtigkeit fehlen lasse,
wenn es sich um russische Interessen handle, zweitens denkt sie nicht daran,
Nußland unselbständig zu machen, drittens liegt uns der Gedanke, daß es
wünschenswert sei, an Rußland einen guten Nachbar zu besitzen, so nahe am
Herzen, wie verständigen Russen die Überzeugung, daß es für Rußland von
hohem Werte ist, an Deutschland einen Freund zu haben. Nur ist uns das
Hemd näher als der Rock, Österreichs Freundschaft besser, weil gewisser als
Rußlands Freundschaft, und niemals wird uns die letztere das Gefühl voller
Beruhigung einflößen, welches wir im Hinblick auf die „Friedensverschwöruugen"
empfinden, und zwar ist das aus folgenden Gründen unmöglich. „Alles Russische
ist Rauch! Rauch oder Dunst, nichts weiter. Der Wind dreht sich, und alles
bewegt sich in einer Richtung, welche der bisherigen entgegengesetzt ist." So
schrieb einst Turgenjew, und wenn wir die letzten Jahre der russischen Politik
betrachten, so finden wir das Bild, mit welchem der Dichter das Wesen und
die Zustände seines Volkes kennzeichnete, auch auf diesem Gebiete zutreffend.
Unbeständig, abhängig vom Winde der Doktrin, des Gefühls, der Laune, im
eigentlichen Sinne inhaltslos, charakterlos und ziellos, erschien fast alles Ein¬
zelne, was dort geschah oder geschehen wollte. Namentlich gilt dies von den
Bestrebungen und Versuchen, welche die Geschichte der innern Politik, und von
denen, welche die des Verhaltens zu den westlichen Nachbarn bilden. Rauch, vom
Winde bewegt, waren die liberalen Reformen, mit denen Rußland von Alexander II.
gegen die Natur des Volkes bedacht wurde. Als Rauch wird sich erweisen, was
seitdem die innern Zustände nach dieser Natur, wie die nationalen, die Verächter
der westlichen Kultur meinten, bestimmen und gestalten sollte. Rauch ist der
eroberungssüchtige Panslawismus, und dasselbe ist von dem kirchlichen By-
zantinertum zu sagen, dessen Propheten Pobcdouoszew und sein Anhang
sind. Rauch ist die russische Freundschaft, gleichviel, ob sie sich den Fran¬
zosen oder uns anträgt. Auch der russische Haß gegen uns darf unter den
jetzigen Umständen als Rauch betrachtet werden, der bedenklicher aussieht,
als er in Wirklichkeit ist, weil sein Feuer nnr vou Stimmungen, die unklar und
vergänglich sind, nicht von Bedürfnissen genährt wird, und weil gesorgt ist, daß
dieses Feuer bei einem Ausbruche bald seine Schranken findet. Wir haben
gegenwärtig von Rußland nichts zu hoffen, wir haben aber auch nicht so viel
von ihm zu besorgen, als es manchem scheint. Wir sind auch ihm gegenüber
bedürfnislos, die deutsche Politik kann ihm trotz seiner unfreundlichen Mienen


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[0422] Zwei Fragen des Tages. Deutschland sind für beide Länder außerordentlich wichtig, und diese Beziehungen wären ohne Schwierigkeiten herzustellen, wenn nur Deutschland die verhängnis¬ volle Kette, welche es an Österreich fesselt, zerreißen und sich durch den un¬ zweifelhaften Mehrwert überzeugen lassen wollte, welchen ein aufrichtiges Ver¬ halten im Vergleiche zu den lästigen Bedingungen der Friedensverschwöruugen hat." Wir sind andrer Meinung. Erstens hat die deutsche Politik der rus¬ sischen nie Anlaß gegeben, zu klagen, daß sie es an Aufrichtigkeit fehlen lasse, wenn es sich um russische Interessen handle, zweitens denkt sie nicht daran, Nußland unselbständig zu machen, drittens liegt uns der Gedanke, daß es wünschenswert sei, an Rußland einen guten Nachbar zu besitzen, so nahe am Herzen, wie verständigen Russen die Überzeugung, daß es für Rußland von hohem Werte ist, an Deutschland einen Freund zu haben. Nur ist uns das Hemd näher als der Rock, Österreichs Freundschaft besser, weil gewisser als Rußlands Freundschaft, und niemals wird uns die letztere das Gefühl voller Beruhigung einflößen, welches wir im Hinblick auf die „Friedensverschwöruugen" empfinden, und zwar ist das aus folgenden Gründen unmöglich. „Alles Russische ist Rauch! Rauch oder Dunst, nichts weiter. Der Wind dreht sich, und alles bewegt sich in einer Richtung, welche der bisherigen entgegengesetzt ist." So schrieb einst Turgenjew, und wenn wir die letzten Jahre der russischen Politik betrachten, so finden wir das Bild, mit welchem der Dichter das Wesen und die Zustände seines Volkes kennzeichnete, auch auf diesem Gebiete zutreffend. Unbeständig, abhängig vom Winde der Doktrin, des Gefühls, der Laune, im eigentlichen Sinne inhaltslos, charakterlos und ziellos, erschien fast alles Ein¬ zelne, was dort geschah oder geschehen wollte. Namentlich gilt dies von den Bestrebungen und Versuchen, welche die Geschichte der innern Politik, und von denen, welche die des Verhaltens zu den westlichen Nachbarn bilden. Rauch, vom Winde bewegt, waren die liberalen Reformen, mit denen Rußland von Alexander II. gegen die Natur des Volkes bedacht wurde. Als Rauch wird sich erweisen, was seitdem die innern Zustände nach dieser Natur, wie die nationalen, die Verächter der westlichen Kultur meinten, bestimmen und gestalten sollte. Rauch ist der eroberungssüchtige Panslawismus, und dasselbe ist von dem kirchlichen By- zantinertum zu sagen, dessen Propheten Pobcdouoszew und sein Anhang sind. Rauch ist die russische Freundschaft, gleichviel, ob sie sich den Fran¬ zosen oder uns anträgt. Auch der russische Haß gegen uns darf unter den jetzigen Umständen als Rauch betrachtet werden, der bedenklicher aussieht, als er in Wirklichkeit ist, weil sein Feuer nnr vou Stimmungen, die unklar und vergänglich sind, nicht von Bedürfnissen genährt wird, und weil gesorgt ist, daß dieses Feuer bei einem Ausbruche bald seine Schranken findet. Wir haben gegenwärtig von Rußland nichts zu hoffen, wir haben aber auch nicht so viel von ihm zu besorgen, als es manchem scheint. Wir sind auch ihm gegenüber bedürfnislos, die deutsche Politik kann ihm trotz seiner unfreundlichen Mienen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/422>, abgerufen am 16.05.2024.