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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Eine Fahrt in den Grient.

haben, bei einander sitzen -- eine für den Wettbewerb und die Lieferung guter
Arbeit gewiß nicht unerwünschte Erscheinung, denn es bildet sich so am besten
eine feste Kundschaft, und jeder bemüht sich, seinen Nachbar durch gute Arbeit
zu übertreffen. Da wechselten Straßen von Schuhmachern mit Straßen von
Schneidern, Sattlern u. s. w. ab. Wir nahmen die Richtung nach dem Adrianopler
Thor, ließen es aber zur Rechten liegen, um einen Blick in die Kahrije-Moschee
zu werfen, von der man uns einen großen Kunstgenuß versprochen hatte. Sie
war früher eine byzantinische, außerhalb der Mauern schon im Lande (daher
der griechische Name Chora) gelegene Klosterkirche. Die Kalkbekleidung, mit der
die Türken bei der Umwandlung in eine Moschee die Mosaiken und Bilder der
christlichen Verehrung beworfen hatten, waren zum großen Teil wieder abgelöst,
und da sie infolge dessen von Fremden viel besucht werden, dieser Besuch aber
mit dem nicht unerheblichen Bakschisch verbunden ist, so denken die Imaus nicht
daran, die Bilder wieder zuzudecken, im Gegenteil scheinen sie immer mehr die
Kalkwände abzukratzen und sogar die freigewordenen Bilder möglichst gegen
Verderben zu schützen. So wird Egoismus und Geldgier auch bei Unwissen¬
heit und Fanatismus zum besten Konservator der Altertümer.

Was wir in dieser Moschee, die auch in ihrer architektonischen Gestaltung
vollkommen den Bau der alten griechischen Kirche wiedergiebt, sahen, hat unsre
Erwartungen weit übertroffen. Das Innere ist reich an Mosaiken und Fresken
und umso bemerkenswerter, als die einzelnen Bilder verschiednen Kunstepochen zu
entstammen scheinen. Die Mosaiken zeigen den steifen byzantinischen Typus
mit dem grämlichen Ernst der alten Zeit, wie man sie nicht sowohl in den
Kirchen Ravennas, als vielmehr in einigen alten Heiligtümern Roms, so in
der Kirche der Heiligen Narcissus und Achilles in der Nähe des Konstantin¬
bogens findet. Gleich beim Eingang der segnende Christus und eine wenig
anmutende Maria mit dem nach altbyzantinischer Weise ganz bekleideten Christus¬
kinde sind unverkennbar ans einer Zeit, in welcher sich bereits der starre Stil
unabänderlich, wie die Gebote der .Kirche selbst, ausgebildet hatte. Denselben
Charakter hat auch das Widmungsbild über der Hauptpforte, in welchem der
Stifter der Kirche das Modell dem Erlöser entgegen bringt. Als dieser Stifter
wurde uns von dem Imam, mit welchem die Verständigung nicht allzu schwer
war, Theodosius bezeichnet, allein hier lag offenbar eine wissentliche oder un¬
beabsichtigte Verwechslung mit Theodor, dem Mctochiten, vor, der als Kanzler
des ältern Andronikos die Kirche im dreizehnten Jahrhundert neu bauen ließ,
während die ursprüngliche Stiftung von den einen in die Zeit Justinians, von
den andern sogar in das vierte Jahrhundert gesetzt wird. Letzten Falles würde
die Deutung des Bildes auf Theodosius nicht so unwahrscheinlich sein. Die
Beleuchtung ist so schlecht, daß mau nur durch das Fernglas etwas Genaueres
sehen kann; hierbei wollten wir freilich an dem knieenden Stifter die Jnsignien
des Kaiserschmuckes entdecken. Die Fresken dagegen, Zwickelfiguren der Propheten


Eine Fahrt in den Grient.

haben, bei einander sitzen — eine für den Wettbewerb und die Lieferung guter
Arbeit gewiß nicht unerwünschte Erscheinung, denn es bildet sich so am besten
eine feste Kundschaft, und jeder bemüht sich, seinen Nachbar durch gute Arbeit
zu übertreffen. Da wechselten Straßen von Schuhmachern mit Straßen von
Schneidern, Sattlern u. s. w. ab. Wir nahmen die Richtung nach dem Adrianopler
Thor, ließen es aber zur Rechten liegen, um einen Blick in die Kahrije-Moschee
zu werfen, von der man uns einen großen Kunstgenuß versprochen hatte. Sie
war früher eine byzantinische, außerhalb der Mauern schon im Lande (daher
der griechische Name Chora) gelegene Klosterkirche. Die Kalkbekleidung, mit der
die Türken bei der Umwandlung in eine Moschee die Mosaiken und Bilder der
christlichen Verehrung beworfen hatten, waren zum großen Teil wieder abgelöst,
und da sie infolge dessen von Fremden viel besucht werden, dieser Besuch aber
mit dem nicht unerheblichen Bakschisch verbunden ist, so denken die Imaus nicht
daran, die Bilder wieder zuzudecken, im Gegenteil scheinen sie immer mehr die
Kalkwände abzukratzen und sogar die freigewordenen Bilder möglichst gegen
Verderben zu schützen. So wird Egoismus und Geldgier auch bei Unwissen¬
heit und Fanatismus zum besten Konservator der Altertümer.

Was wir in dieser Moschee, die auch in ihrer architektonischen Gestaltung
vollkommen den Bau der alten griechischen Kirche wiedergiebt, sahen, hat unsre
Erwartungen weit übertroffen. Das Innere ist reich an Mosaiken und Fresken
und umso bemerkenswerter, als die einzelnen Bilder verschiednen Kunstepochen zu
entstammen scheinen. Die Mosaiken zeigen den steifen byzantinischen Typus
mit dem grämlichen Ernst der alten Zeit, wie man sie nicht sowohl in den
Kirchen Ravennas, als vielmehr in einigen alten Heiligtümern Roms, so in
der Kirche der Heiligen Narcissus und Achilles in der Nähe des Konstantin¬
bogens findet. Gleich beim Eingang der segnende Christus und eine wenig
anmutende Maria mit dem nach altbyzantinischer Weise ganz bekleideten Christus¬
kinde sind unverkennbar ans einer Zeit, in welcher sich bereits der starre Stil
unabänderlich, wie die Gebote der .Kirche selbst, ausgebildet hatte. Denselben
Charakter hat auch das Widmungsbild über der Hauptpforte, in welchem der
Stifter der Kirche das Modell dem Erlöser entgegen bringt. Als dieser Stifter
wurde uns von dem Imam, mit welchem die Verständigung nicht allzu schwer
war, Theodosius bezeichnet, allein hier lag offenbar eine wissentliche oder un¬
beabsichtigte Verwechslung mit Theodor, dem Mctochiten, vor, der als Kanzler
des ältern Andronikos die Kirche im dreizehnten Jahrhundert neu bauen ließ,
während die ursprüngliche Stiftung von den einen in die Zeit Justinians, von
den andern sogar in das vierte Jahrhundert gesetzt wird. Letzten Falles würde
die Deutung des Bildes auf Theodosius nicht so unwahrscheinlich sein. Die
Beleuchtung ist so schlecht, daß mau nur durch das Fernglas etwas Genaueres
sehen kann; hierbei wollten wir freilich an dem knieenden Stifter die Jnsignien
des Kaiserschmuckes entdecken. Die Fresken dagegen, Zwickelfiguren der Propheten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/447>, abgerufen am 15.05.2024.