Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Krisis in Paris.

wunderlicherweise wird Grevh hier mit seiner eignen Weisheit bedient. Heute
legt er den höchsten Wert auf die Würde und Unabhängigkeit des Präsidenten.
In der Nationalversammlung von 1848 aber stellte er den Antrag, der Republik
keinen Präsidenten zu geben, sondern die betreffende Stelle des Verfassungs-
entwurfs folgendermaßen lauten zu lassen: "Die Nationalversammlung überträgt
die vollziehende Gewalt einem Bürger, welcher den Titel eines Präsidenten des
Ministerrates führt. Der Präsident des Ministerrates wird von der National¬
versammlung in geheimer Sitzung und mit Stimmenmehrheit gewählt. Er
wird für unbestimmte Zeitdauer ernannt, kann jedoch jederzeit abberufen werden."
Am 6. Juni 1848 begründete Grevh diesen Antrag mit einer Rede, in welcher
er u. ni. sagte: "Sind Sie denn sicher, daß in der Reihe der Personen, welche
sich auf dem Präsidentenstuhle folgen werden, lauter echte Republikaner sein
werden, die sich herabzusteigen beeilen? Wissen Sie bestimmt, daß nicht einmal
ein Ehrgeiziger kommen wird, der sich vornimmt, sich für immer darauf zu be¬
haupten? Geben Sie Frankreich einen Regenten, den es nach Belieben wechseln
kann, ein Kabinet, das es durch Abstimmung beseitigen kann, und es kann es
bei der Macht belassen, weil es keinen Reiz haben wird, es zu stürzen, und
weil eine so eingerichtete Verwaltung niemals der Freiheit gefährlich sein kann."
Diese Vorsicht rechtfertigte sich 1851, als Napoleon die Republik erwürgte, und
ist auch heute noch am Platze, wo im Elysee ein Präsident wohnt, der seinen
moralischen Einfluß und sein politisches Ansehen so sehr eingebüßt hat, daß er
keine Männer auftreiben kann, die ihm als Minister zu dienen bereit sind. Und
doch giebt es keinerlei verfassungsmäßige Mittel, mit denen er zum Rücktritt
zu zwingen wäre. Es ließ sich eben kein Gesetz finden, das elastisch genug ge¬
wesen wäre, um allen Schwankungen der öffentlichen Meinung in Frankreich zu
genügen. Als 1849 die Verfassung beraten wurde, sah man die Wahl Ludwig
Napoleons voraus, und um ihm ein Verbleiben am Ruder unmöglich zu
machen, wurde eine Klausel eingefügt, welche die Wiederwahl des Präsidenten
nach Ablauf seiner vierjährigen Amtsperiode ausschloß. Als aber das Jahr
1852 sich näherte, war ganz Frankreich in Furcht und Aufregung. Die
Konservativen fürchteten die Wahl eines Noten, und sie selbst vermochten sich
ans keinen andern Präsidenten zu einigen als auf Napoleon, den bisherigen.
Alle Welt in Frankreich petitionirte für Abänderung der Verfassung, die
Generalräte drangen darauf, und die Nationalversammlung begünstigte den
Antrag, aber es bedürfte dazu einer Zweidrittelmehrheit derselben, und diese
ließ sich nicht beschaffen. Das Land trieb infolge dessen einer Revolution
oder einem Staatsstreiche zu, und als Napoleon sich zu einem solchen ent¬
schloß, konnte er behaupten, er habe zwar die Verfassung verletzt, aber im
Einklange mit dem Gefühle der ungeheuern Mehrheit der Franzosen, was
schließlich durch die Plebiszite bestätigt wurde. Diese bewiesen, daß die
Franzosen, hierin verschieden von ihren deutschen und englischen Nachbarn, sehr


Die Krisis in Paris.

wunderlicherweise wird Grevh hier mit seiner eignen Weisheit bedient. Heute
legt er den höchsten Wert auf die Würde und Unabhängigkeit des Präsidenten.
In der Nationalversammlung von 1848 aber stellte er den Antrag, der Republik
keinen Präsidenten zu geben, sondern die betreffende Stelle des Verfassungs-
entwurfs folgendermaßen lauten zu lassen: „Die Nationalversammlung überträgt
die vollziehende Gewalt einem Bürger, welcher den Titel eines Präsidenten des
Ministerrates führt. Der Präsident des Ministerrates wird von der National¬
versammlung in geheimer Sitzung und mit Stimmenmehrheit gewählt. Er
wird für unbestimmte Zeitdauer ernannt, kann jedoch jederzeit abberufen werden."
Am 6. Juni 1848 begründete Grevh diesen Antrag mit einer Rede, in welcher
er u. ni. sagte: „Sind Sie denn sicher, daß in der Reihe der Personen, welche
sich auf dem Präsidentenstuhle folgen werden, lauter echte Republikaner sein
werden, die sich herabzusteigen beeilen? Wissen Sie bestimmt, daß nicht einmal
ein Ehrgeiziger kommen wird, der sich vornimmt, sich für immer darauf zu be¬
haupten? Geben Sie Frankreich einen Regenten, den es nach Belieben wechseln
kann, ein Kabinet, das es durch Abstimmung beseitigen kann, und es kann es
bei der Macht belassen, weil es keinen Reiz haben wird, es zu stürzen, und
weil eine so eingerichtete Verwaltung niemals der Freiheit gefährlich sein kann."
Diese Vorsicht rechtfertigte sich 1851, als Napoleon die Republik erwürgte, und
ist auch heute noch am Platze, wo im Elysee ein Präsident wohnt, der seinen
moralischen Einfluß und sein politisches Ansehen so sehr eingebüßt hat, daß er
keine Männer auftreiben kann, die ihm als Minister zu dienen bereit sind. Und
doch giebt es keinerlei verfassungsmäßige Mittel, mit denen er zum Rücktritt
zu zwingen wäre. Es ließ sich eben kein Gesetz finden, das elastisch genug ge¬
wesen wäre, um allen Schwankungen der öffentlichen Meinung in Frankreich zu
genügen. Als 1849 die Verfassung beraten wurde, sah man die Wahl Ludwig
Napoleons voraus, und um ihm ein Verbleiben am Ruder unmöglich zu
machen, wurde eine Klausel eingefügt, welche die Wiederwahl des Präsidenten
nach Ablauf seiner vierjährigen Amtsperiode ausschloß. Als aber das Jahr
1852 sich näherte, war ganz Frankreich in Furcht und Aufregung. Die
Konservativen fürchteten die Wahl eines Noten, und sie selbst vermochten sich
ans keinen andern Präsidenten zu einigen als auf Napoleon, den bisherigen.
Alle Welt in Frankreich petitionirte für Abänderung der Verfassung, die
Generalräte drangen darauf, und die Nationalversammlung begünstigte den
Antrag, aber es bedürfte dazu einer Zweidrittelmehrheit derselben, und diese
ließ sich nicht beschaffen. Das Land trieb infolge dessen einer Revolution
oder einem Staatsstreiche zu, und als Napoleon sich zu einem solchen ent¬
schloß, konnte er behaupten, er habe zwar die Verfassung verletzt, aber im
Einklange mit dem Gefühle der ungeheuern Mehrheit der Franzosen, was
schließlich durch die Plebiszite bestätigt wurde. Diese bewiesen, daß die
Franzosen, hierin verschieden von ihren deutschen und englischen Nachbarn, sehr


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0470" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/201899"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Krisis in Paris.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1152" prev="#ID_1151" next="#ID_1153"> wunderlicherweise wird Grevh hier mit seiner eignen Weisheit bedient. Heute<lb/>
legt er den höchsten Wert auf die Würde und Unabhängigkeit des Präsidenten.<lb/>
In der Nationalversammlung von 1848 aber stellte er den Antrag, der Republik<lb/>
keinen Präsidenten zu geben, sondern die betreffende Stelle des Verfassungs-<lb/>
entwurfs folgendermaßen lauten zu lassen: &#x201E;Die Nationalversammlung überträgt<lb/>
die vollziehende Gewalt einem Bürger, welcher den Titel eines Präsidenten des<lb/>
Ministerrates führt. Der Präsident des Ministerrates wird von der National¬<lb/>
versammlung in geheimer Sitzung und mit Stimmenmehrheit gewählt. Er<lb/>
wird für unbestimmte Zeitdauer ernannt, kann jedoch jederzeit abberufen werden."<lb/>
Am 6. Juni 1848 begründete Grevh diesen Antrag mit einer Rede, in welcher<lb/>
er u. ni. sagte: &#x201E;Sind Sie denn sicher, daß in der Reihe der Personen, welche<lb/>
sich auf dem Präsidentenstuhle folgen werden, lauter echte Republikaner sein<lb/>
werden, die sich herabzusteigen beeilen? Wissen Sie bestimmt, daß nicht einmal<lb/>
ein Ehrgeiziger kommen wird, der sich vornimmt, sich für immer darauf zu be¬<lb/>
haupten? Geben Sie Frankreich einen Regenten, den es nach Belieben wechseln<lb/>
kann, ein Kabinet, das es durch Abstimmung beseitigen kann, und es kann es<lb/>
bei der Macht belassen, weil es keinen Reiz haben wird, es zu stürzen, und<lb/>
weil eine so eingerichtete Verwaltung niemals der Freiheit gefährlich sein kann."<lb/>
Diese Vorsicht rechtfertigte sich 1851, als Napoleon die Republik erwürgte, und<lb/>
ist auch heute noch am Platze, wo im Elysee ein Präsident wohnt, der seinen<lb/>
moralischen Einfluß und sein politisches Ansehen so sehr eingebüßt hat, daß er<lb/>
keine Männer auftreiben kann, die ihm als Minister zu dienen bereit sind. Und<lb/>
doch giebt es keinerlei verfassungsmäßige Mittel, mit denen er zum Rücktritt<lb/>
zu zwingen wäre. Es ließ sich eben kein Gesetz finden, das elastisch genug ge¬<lb/>
wesen wäre, um allen Schwankungen der öffentlichen Meinung in Frankreich zu<lb/>
genügen. Als 1849 die Verfassung beraten wurde, sah man die Wahl Ludwig<lb/>
Napoleons voraus, und um ihm ein Verbleiben am Ruder unmöglich zu<lb/>
machen, wurde eine Klausel eingefügt, welche die Wiederwahl des Präsidenten<lb/>
nach Ablauf seiner vierjährigen Amtsperiode ausschloß. Als aber das Jahr<lb/>
1852 sich näherte, war ganz Frankreich in Furcht und Aufregung. Die<lb/>
Konservativen fürchteten die Wahl eines Noten, und sie selbst vermochten sich<lb/>
ans keinen andern Präsidenten zu einigen als auf Napoleon, den bisherigen.<lb/>
Alle Welt in Frankreich petitionirte für Abänderung der Verfassung, die<lb/>
Generalräte drangen darauf, und die Nationalversammlung begünstigte den<lb/>
Antrag, aber es bedürfte dazu einer Zweidrittelmehrheit derselben, und diese<lb/>
ließ sich nicht beschaffen. Das Land trieb infolge dessen einer Revolution<lb/>
oder einem Staatsstreiche zu, und als Napoleon sich zu einem solchen ent¬<lb/>
schloß, konnte er behaupten, er habe zwar die Verfassung verletzt, aber im<lb/>
Einklange mit dem Gefühle der ungeheuern Mehrheit der Franzosen, was<lb/>
schließlich durch die Plebiszite bestätigt wurde. Diese bewiesen, daß die<lb/>
Franzosen, hierin verschieden von ihren deutschen und englischen Nachbarn, sehr</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0470] Die Krisis in Paris. wunderlicherweise wird Grevh hier mit seiner eignen Weisheit bedient. Heute legt er den höchsten Wert auf die Würde und Unabhängigkeit des Präsidenten. In der Nationalversammlung von 1848 aber stellte er den Antrag, der Republik keinen Präsidenten zu geben, sondern die betreffende Stelle des Verfassungs- entwurfs folgendermaßen lauten zu lassen: „Die Nationalversammlung überträgt die vollziehende Gewalt einem Bürger, welcher den Titel eines Präsidenten des Ministerrates führt. Der Präsident des Ministerrates wird von der National¬ versammlung in geheimer Sitzung und mit Stimmenmehrheit gewählt. Er wird für unbestimmte Zeitdauer ernannt, kann jedoch jederzeit abberufen werden." Am 6. Juni 1848 begründete Grevh diesen Antrag mit einer Rede, in welcher er u. ni. sagte: „Sind Sie denn sicher, daß in der Reihe der Personen, welche sich auf dem Präsidentenstuhle folgen werden, lauter echte Republikaner sein werden, die sich herabzusteigen beeilen? Wissen Sie bestimmt, daß nicht einmal ein Ehrgeiziger kommen wird, der sich vornimmt, sich für immer darauf zu be¬ haupten? Geben Sie Frankreich einen Regenten, den es nach Belieben wechseln kann, ein Kabinet, das es durch Abstimmung beseitigen kann, und es kann es bei der Macht belassen, weil es keinen Reiz haben wird, es zu stürzen, und weil eine so eingerichtete Verwaltung niemals der Freiheit gefährlich sein kann." Diese Vorsicht rechtfertigte sich 1851, als Napoleon die Republik erwürgte, und ist auch heute noch am Platze, wo im Elysee ein Präsident wohnt, der seinen moralischen Einfluß und sein politisches Ansehen so sehr eingebüßt hat, daß er keine Männer auftreiben kann, die ihm als Minister zu dienen bereit sind. Und doch giebt es keinerlei verfassungsmäßige Mittel, mit denen er zum Rücktritt zu zwingen wäre. Es ließ sich eben kein Gesetz finden, das elastisch genug ge¬ wesen wäre, um allen Schwankungen der öffentlichen Meinung in Frankreich zu genügen. Als 1849 die Verfassung beraten wurde, sah man die Wahl Ludwig Napoleons voraus, und um ihm ein Verbleiben am Ruder unmöglich zu machen, wurde eine Klausel eingefügt, welche die Wiederwahl des Präsidenten nach Ablauf seiner vierjährigen Amtsperiode ausschloß. Als aber das Jahr 1852 sich näherte, war ganz Frankreich in Furcht und Aufregung. Die Konservativen fürchteten die Wahl eines Noten, und sie selbst vermochten sich ans keinen andern Präsidenten zu einigen als auf Napoleon, den bisherigen. Alle Welt in Frankreich petitionirte für Abänderung der Verfassung, die Generalräte drangen darauf, und die Nationalversammlung begünstigte den Antrag, aber es bedürfte dazu einer Zweidrittelmehrheit derselben, und diese ließ sich nicht beschaffen. Das Land trieb infolge dessen einer Revolution oder einem Staatsstreiche zu, und als Napoleon sich zu einem solchen ent¬ schloß, konnte er behaupten, er habe zwar die Verfassung verletzt, aber im Einklange mit dem Gefühle der ungeheuern Mehrheit der Franzosen, was schließlich durch die Plebiszite bestätigt wurde. Diese bewiesen, daß die Franzosen, hierin verschieden von ihren deutschen und englischen Nachbarn, sehr

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/470
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/470>, abgerufen am 15.05.2024.