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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Goethe und Rochlitz.

Schon am 20. und 21. Juli antwortete Goethe, der nach Schillers Wort "seine
Existenz wohlthätig kund machte, wie ein Gott, ohne sich selbst zu geben," dem
etwas zaghaften Bittsteller: "Was die andre Angelegenheit betrifft, so bin ich
vielleicht imstande, in kurzer Zeit deshalb etwas angenehmes zu melden. Sie
brauchen keine weitern Schritte zu thun," und setzt in einer Nachschrift hinzu:
"Vorstehendes war geschrieben und gesiegelt, als ich das Dekret aus der Geheimen
Kanzley erhalte. Serenissimus haben es mit Vergnügen unterzeichnet. Ich
wünsche, daß es Sie erfreuen und Ihnen förderlich sein möge."

Der neue herzoglich weimarische Hofrat warb in diesem kriegerisch bewegten
Sommer und Herbst erneut um eine Jugcndgeliebte, auf deren Hand er seiner
Zeit mit bitterm Schmerz verzichtet hatte, die seit einigen Monaten Witwe und
jetzt entschlossen war, unbekümmert um die Einreden ihrer patrizischen
Familie, Nochlitzens Frau zu werden. Am 4. Oktober 1809 konnte Rochlitz
seinem Gönner in Weimar melden: "Endlich, so kann ich es mir selbst nicht
versagen, Ihnen zu melden, daß eine der geehrtesteu, edelsten, in jedem Betracht
trefflichsten Frauen es übernommen hat, mich in dem Reste meines Lebens für
das zu belohnen, was ich für ihr Geschlecht gethan und getragen habe. Sie
war meine erste tief eingehende Jugendliebe, blieb immer der Gegenstand meiner
geheimen Verehrung und will nun die Gefährtin meiner Tage werden. Viel¬
leicht ist Ihnen selbst die ehemalige Henriette Hansen, nachherige Frau des
verstorbenen Bankiers Daniel Winkler in Leipzig, nicht unbekannt. Ihre gütige
Teilnahme an mir läßt mich hoffen, daß Sie auch diese glückliche Wendung
meines Geschickes nicht ungern vernehmen werden." (Biedermann 44). Etwas
mehr über diesen ergreifenden Roman seines Lebens teilte Rochlitz dem
Dresdner Freunde mit, welcher nun nicht mehr zwischen ihm und Goethe stand,
aber die alte Teilnahme und die alte, nicht leicht zu ersättigende Neugier bewahrt
hatte. An Böttiger schrieb er: "Meine erste Liebe -- was natürlich wirklich diesen
Namen verdiente -- war auf nichts Geringeres gerichtet, als auf das Schönste,
Liebenswürdigste, Gebildetste, was damals Leipzig hatte, und ohngeachtet hier
Hoffnung Unsinn gewesen wäre und ich dies vollkommen erkannte, darum auch
nie eine größere Annäherung suchte, als die erste der Horazischen fünf: so
ging mirs doch unbeschreiblich tief ein. Ich floh Leipzig, und Entfernung,
neue Lebensweise, Zeit und vor allem, daß meine Verehrte sehr früh und nicht
glücklich verheiratet wurde, machte sie mir zur Heiligen, deren Bild allmählich
i" den Hintergrund der Seele trat, doch nie ganz aus ihr verschwand. Daß
eine beträchtlich spätere zweite Wahl (Therese aus dem Winkel) unglücklich war,
eine dritte durch den Tod getrennt ward, wissen Sie, von da war mirs aber
nie mehr Ernst, und selbst wenn ich mich überreden wollte, es sei Ernst, fühlte
ich das heimlich Widersprechende in meinem Innern und trat aus Redlichkeit
zurück. Jene Freundin hatte ich, seit sie verheiratet, bis angehenden letzten
Herbst fast nie, in ihrem Hause wirklich nie und absichtlich nie gesehen. Von


Grenzboten IV. 1887. 61
Goethe und Rochlitz.

Schon am 20. und 21. Juli antwortete Goethe, der nach Schillers Wort „seine
Existenz wohlthätig kund machte, wie ein Gott, ohne sich selbst zu geben," dem
etwas zaghaften Bittsteller: „Was die andre Angelegenheit betrifft, so bin ich
vielleicht imstande, in kurzer Zeit deshalb etwas angenehmes zu melden. Sie
brauchen keine weitern Schritte zu thun," und setzt in einer Nachschrift hinzu:
„Vorstehendes war geschrieben und gesiegelt, als ich das Dekret aus der Geheimen
Kanzley erhalte. Serenissimus haben es mit Vergnügen unterzeichnet. Ich
wünsche, daß es Sie erfreuen und Ihnen förderlich sein möge."

Der neue herzoglich weimarische Hofrat warb in diesem kriegerisch bewegten
Sommer und Herbst erneut um eine Jugcndgeliebte, auf deren Hand er seiner
Zeit mit bitterm Schmerz verzichtet hatte, die seit einigen Monaten Witwe und
jetzt entschlossen war, unbekümmert um die Einreden ihrer patrizischen
Familie, Nochlitzens Frau zu werden. Am 4. Oktober 1809 konnte Rochlitz
seinem Gönner in Weimar melden: „Endlich, so kann ich es mir selbst nicht
versagen, Ihnen zu melden, daß eine der geehrtesteu, edelsten, in jedem Betracht
trefflichsten Frauen es übernommen hat, mich in dem Reste meines Lebens für
das zu belohnen, was ich für ihr Geschlecht gethan und getragen habe. Sie
war meine erste tief eingehende Jugendliebe, blieb immer der Gegenstand meiner
geheimen Verehrung und will nun die Gefährtin meiner Tage werden. Viel¬
leicht ist Ihnen selbst die ehemalige Henriette Hansen, nachherige Frau des
verstorbenen Bankiers Daniel Winkler in Leipzig, nicht unbekannt. Ihre gütige
Teilnahme an mir läßt mich hoffen, daß Sie auch diese glückliche Wendung
meines Geschickes nicht ungern vernehmen werden." (Biedermann 44). Etwas
mehr über diesen ergreifenden Roman seines Lebens teilte Rochlitz dem
Dresdner Freunde mit, welcher nun nicht mehr zwischen ihm und Goethe stand,
aber die alte Teilnahme und die alte, nicht leicht zu ersättigende Neugier bewahrt
hatte. An Böttiger schrieb er: „Meine erste Liebe — was natürlich wirklich diesen
Namen verdiente — war auf nichts Geringeres gerichtet, als auf das Schönste,
Liebenswürdigste, Gebildetste, was damals Leipzig hatte, und ohngeachtet hier
Hoffnung Unsinn gewesen wäre und ich dies vollkommen erkannte, darum auch
nie eine größere Annäherung suchte, als die erste der Horazischen fünf: so
ging mirs doch unbeschreiblich tief ein. Ich floh Leipzig, und Entfernung,
neue Lebensweise, Zeit und vor allem, daß meine Verehrte sehr früh und nicht
glücklich verheiratet wurde, machte sie mir zur Heiligen, deren Bild allmählich
i» den Hintergrund der Seele trat, doch nie ganz aus ihr verschwand. Daß
eine beträchtlich spätere zweite Wahl (Therese aus dem Winkel) unglücklich war,
eine dritte durch den Tod getrennt ward, wissen Sie, von da war mirs aber
nie mehr Ernst, und selbst wenn ich mich überreden wollte, es sei Ernst, fühlte
ich das heimlich Widersprechende in meinem Innern und trat aus Redlichkeit
zurück. Jene Freundin hatte ich, seit sie verheiratet, bis angehenden letzten
Herbst fast nie, in ihrem Hause wirklich nie und absichtlich nie gesehen. Von


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[0489] Goethe und Rochlitz. Schon am 20. und 21. Juli antwortete Goethe, der nach Schillers Wort „seine Existenz wohlthätig kund machte, wie ein Gott, ohne sich selbst zu geben," dem etwas zaghaften Bittsteller: „Was die andre Angelegenheit betrifft, so bin ich vielleicht imstande, in kurzer Zeit deshalb etwas angenehmes zu melden. Sie brauchen keine weitern Schritte zu thun," und setzt in einer Nachschrift hinzu: „Vorstehendes war geschrieben und gesiegelt, als ich das Dekret aus der Geheimen Kanzley erhalte. Serenissimus haben es mit Vergnügen unterzeichnet. Ich wünsche, daß es Sie erfreuen und Ihnen förderlich sein möge." Der neue herzoglich weimarische Hofrat warb in diesem kriegerisch bewegten Sommer und Herbst erneut um eine Jugcndgeliebte, auf deren Hand er seiner Zeit mit bitterm Schmerz verzichtet hatte, die seit einigen Monaten Witwe und jetzt entschlossen war, unbekümmert um die Einreden ihrer patrizischen Familie, Nochlitzens Frau zu werden. Am 4. Oktober 1809 konnte Rochlitz seinem Gönner in Weimar melden: „Endlich, so kann ich es mir selbst nicht versagen, Ihnen zu melden, daß eine der geehrtesteu, edelsten, in jedem Betracht trefflichsten Frauen es übernommen hat, mich in dem Reste meines Lebens für das zu belohnen, was ich für ihr Geschlecht gethan und getragen habe. Sie war meine erste tief eingehende Jugendliebe, blieb immer der Gegenstand meiner geheimen Verehrung und will nun die Gefährtin meiner Tage werden. Viel¬ leicht ist Ihnen selbst die ehemalige Henriette Hansen, nachherige Frau des verstorbenen Bankiers Daniel Winkler in Leipzig, nicht unbekannt. Ihre gütige Teilnahme an mir läßt mich hoffen, daß Sie auch diese glückliche Wendung meines Geschickes nicht ungern vernehmen werden." (Biedermann 44). Etwas mehr über diesen ergreifenden Roman seines Lebens teilte Rochlitz dem Dresdner Freunde mit, welcher nun nicht mehr zwischen ihm und Goethe stand, aber die alte Teilnahme und die alte, nicht leicht zu ersättigende Neugier bewahrt hatte. An Böttiger schrieb er: „Meine erste Liebe — was natürlich wirklich diesen Namen verdiente — war auf nichts Geringeres gerichtet, als auf das Schönste, Liebenswürdigste, Gebildetste, was damals Leipzig hatte, und ohngeachtet hier Hoffnung Unsinn gewesen wäre und ich dies vollkommen erkannte, darum auch nie eine größere Annäherung suchte, als die erste der Horazischen fünf: so ging mirs doch unbeschreiblich tief ein. Ich floh Leipzig, und Entfernung, neue Lebensweise, Zeit und vor allem, daß meine Verehrte sehr früh und nicht glücklich verheiratet wurde, machte sie mir zur Heiligen, deren Bild allmählich i» den Hintergrund der Seele trat, doch nie ganz aus ihr verschwand. Daß eine beträchtlich spätere zweite Wahl (Therese aus dem Winkel) unglücklich war, eine dritte durch den Tod getrennt ward, wissen Sie, von da war mirs aber nie mehr Ernst, und selbst wenn ich mich überreden wollte, es sei Ernst, fühlte ich das heimlich Widersprechende in meinem Innern und trat aus Redlichkeit zurück. Jene Freundin hatte ich, seit sie verheiratet, bis angehenden letzten Herbst fast nie, in ihrem Hause wirklich nie und absichtlich nie gesehen. Von Grenzboten IV. 1887. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/489>, abgerufen am 15.05.2024.