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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Auflösung des alten Reiches.

sang mit dem Reiche locker genug war, und über die schließlich Österreich ver¬
fügen konnte, und die Bestimmung, daß ein Kongreß in Rastatt zusammentreten
sollte, um den Reichsfrieden zum Abschlüsse zu bringen. Als Entschädigung er¬
hielt Österreich das Gebiet von Venedig mit der Stadt Venedig, Jstrien und
Dalmatien. Die übrigen öffentlichen Bedingungen sind für das Reich von ge¬
ringer Bedeutung. Umso einschneidender sind die geheimen Bedingungen. Zu¬
nächst willigte Österreich in die Abtretung des ganzen linken Rheinufers von
Basel bis Andernach, einschließlich der Festung Mainz, an Frankreich; die be¬
einträchtigten Fürsten sollten in Deutschland entschädigt werden. Dagegen würde
Frankreich sich dafür verwenden, daß Salzburg und der Teil von Baiern zwischen
Salzburg, Tirol, Jnn und Salzach an Österreich fiele. Endlich gewährleisteten
die beiden Mächte sich gegenseitig, daß Preußen bei Zurückgabe seiner Be¬
sitzungen am linken Rheinufer gar keine neuen Erwerbungen machen sollte.

Wenn man auch für die erste dieser drei geheimen Bedingungen die diplo¬
matisch wirklich feine Form gefunden hatte: Der Kaiser wird innerhalb von zwanzig
Tagen seine Truppen aus den rheinischen Landen und Festungen, die nament¬
lich bezeichnet werden, zurückziehen, so ändert diese Form an der Thatsache
nichts, daß das Ncichsoberhaupt das Reich in der schamlosesten Weise preis¬
gab. Wenn ferner die geheiligte, katholische, römische Majestät sich soweit herab¬
ließ, die Verwendung der so gehaßten und verachteten französischen Republik
in Anspruch zu nehme", um ihre Ländergier durch Beraubung zweier Reichsfürsten
zu befriedigen, so giebt es dafür gar keine Bezeichnung. Und wenn endlich Öster¬
reich, so wie es schon seit Jahren mit Nußland geheime Ränke gesponnen hatte,
jetzt mit dem gefährlichsten Reichsfeinde, Frankreich, gewissermaßen ein Bündnis
abschloß, nur um Preußen nicht aufkommen zu lassen, so kennzeichnet das die
Politik des Hauses Habsburg-Lothringen derart, daß für jeden unparteiischen
Beurteiler ein Zweifel darüber, wer am meisten zur Auflösung des Reiches bei¬
getragen hat, gar nicht aufkommen kann. Mag auch Preußen nicht ganz ohne
Schuld dastehen, mag es auch Fehler gemacht haben: Österreich und seine An¬
hänger haben jedenfalls am wenigsten ein Recht, ihm daraus einen Vorwurf
zu machen. (Schluß folgt.)




Die Auflösung des alten Reiches.

sang mit dem Reiche locker genug war, und über die schließlich Österreich ver¬
fügen konnte, und die Bestimmung, daß ein Kongreß in Rastatt zusammentreten
sollte, um den Reichsfrieden zum Abschlüsse zu bringen. Als Entschädigung er¬
hielt Österreich das Gebiet von Venedig mit der Stadt Venedig, Jstrien und
Dalmatien. Die übrigen öffentlichen Bedingungen sind für das Reich von ge¬
ringer Bedeutung. Umso einschneidender sind die geheimen Bedingungen. Zu¬
nächst willigte Österreich in die Abtretung des ganzen linken Rheinufers von
Basel bis Andernach, einschließlich der Festung Mainz, an Frankreich; die be¬
einträchtigten Fürsten sollten in Deutschland entschädigt werden. Dagegen würde
Frankreich sich dafür verwenden, daß Salzburg und der Teil von Baiern zwischen
Salzburg, Tirol, Jnn und Salzach an Österreich fiele. Endlich gewährleisteten
die beiden Mächte sich gegenseitig, daß Preußen bei Zurückgabe seiner Be¬
sitzungen am linken Rheinufer gar keine neuen Erwerbungen machen sollte.

Wenn man auch für die erste dieser drei geheimen Bedingungen die diplo¬
matisch wirklich feine Form gefunden hatte: Der Kaiser wird innerhalb von zwanzig
Tagen seine Truppen aus den rheinischen Landen und Festungen, die nament¬
lich bezeichnet werden, zurückziehen, so ändert diese Form an der Thatsache
nichts, daß das Ncichsoberhaupt das Reich in der schamlosesten Weise preis¬
gab. Wenn ferner die geheiligte, katholische, römische Majestät sich soweit herab¬
ließ, die Verwendung der so gehaßten und verachteten französischen Republik
in Anspruch zu nehme», um ihre Ländergier durch Beraubung zweier Reichsfürsten
zu befriedigen, so giebt es dafür gar keine Bezeichnung. Und wenn endlich Öster¬
reich, so wie es schon seit Jahren mit Nußland geheime Ränke gesponnen hatte,
jetzt mit dem gefährlichsten Reichsfeinde, Frankreich, gewissermaßen ein Bündnis
abschloß, nur um Preußen nicht aufkommen zu lassen, so kennzeichnet das die
Politik des Hauses Habsburg-Lothringen derart, daß für jeden unparteiischen
Beurteiler ein Zweifel darüber, wer am meisten zur Auflösung des Reiches bei¬
getragen hat, gar nicht aufkommen kann. Mag auch Preußen nicht ganz ohne
Schuld dastehen, mag es auch Fehler gemacht haben: Österreich und seine An¬
hänger haben jedenfalls am wenigsten ein Recht, ihm daraus einen Vorwurf
zu machen. (Schluß folgt.)




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[0520] Die Auflösung des alten Reiches. sang mit dem Reiche locker genug war, und über die schließlich Österreich ver¬ fügen konnte, und die Bestimmung, daß ein Kongreß in Rastatt zusammentreten sollte, um den Reichsfrieden zum Abschlüsse zu bringen. Als Entschädigung er¬ hielt Österreich das Gebiet von Venedig mit der Stadt Venedig, Jstrien und Dalmatien. Die übrigen öffentlichen Bedingungen sind für das Reich von ge¬ ringer Bedeutung. Umso einschneidender sind die geheimen Bedingungen. Zu¬ nächst willigte Österreich in die Abtretung des ganzen linken Rheinufers von Basel bis Andernach, einschließlich der Festung Mainz, an Frankreich; die be¬ einträchtigten Fürsten sollten in Deutschland entschädigt werden. Dagegen würde Frankreich sich dafür verwenden, daß Salzburg und der Teil von Baiern zwischen Salzburg, Tirol, Jnn und Salzach an Österreich fiele. Endlich gewährleisteten die beiden Mächte sich gegenseitig, daß Preußen bei Zurückgabe seiner Be¬ sitzungen am linken Rheinufer gar keine neuen Erwerbungen machen sollte. Wenn man auch für die erste dieser drei geheimen Bedingungen die diplo¬ matisch wirklich feine Form gefunden hatte: Der Kaiser wird innerhalb von zwanzig Tagen seine Truppen aus den rheinischen Landen und Festungen, die nament¬ lich bezeichnet werden, zurückziehen, so ändert diese Form an der Thatsache nichts, daß das Ncichsoberhaupt das Reich in der schamlosesten Weise preis¬ gab. Wenn ferner die geheiligte, katholische, römische Majestät sich soweit herab¬ ließ, die Verwendung der so gehaßten und verachteten französischen Republik in Anspruch zu nehme», um ihre Ländergier durch Beraubung zweier Reichsfürsten zu befriedigen, so giebt es dafür gar keine Bezeichnung. Und wenn endlich Öster¬ reich, so wie es schon seit Jahren mit Nußland geheime Ränke gesponnen hatte, jetzt mit dem gefährlichsten Reichsfeinde, Frankreich, gewissermaßen ein Bündnis abschloß, nur um Preußen nicht aufkommen zu lassen, so kennzeichnet das die Politik des Hauses Habsburg-Lothringen derart, daß für jeden unparteiischen Beurteiler ein Zweifel darüber, wer am meisten zur Auflösung des Reiches bei¬ getragen hat, gar nicht aufkommen kann. Mag auch Preußen nicht ganz ohne Schuld dastehen, mag es auch Fehler gemacht haben: Österreich und seine An¬ hänger haben jedenfalls am wenigsten ein Recht, ihm daraus einen Vorwurf zu machen. (Schluß folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/520>, abgerufen am 16.05.2024.