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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Zur Land- und Bodenfrage.

zusaugen, keine Bestätigung zu finden. Wenn der Marquis of Salisbury auf
seinen Hatfieldschen Gütern (in Hertfordshire) den Pächtern einen Nachlaß von
20 Prozent gewährt, wenn viele andre Lords zu ähnlichem genötigt sind, wenn
das Mecklenburgische Domcmium sich bei den neuesten im Aufgebot bewirkten
Versteigerungen Ausfälle zwischen 31 und 45 Prozent gegen die vorigen Pacht¬
summen gefallen lassen muß, so kann da freilich von Druck der Bodenrenke auf
die Wirtschaft nicht die Rede sein. Allein es walten hier außerordentliche Um¬
stände. In England sind die Pächter eine kapitalkräftige Klasse, die mehr oder
weniger auf gleichem Fuße mit den Grundherren verhandeln und diese nötigen
können, von ihren Forderungen nachzulassen; auch fehlt es dort gänzlich an einer
zahlreichen Klasse von Landwirten, die als Pachtliebhaber sich wie bei uns
große Konkurrenz unter einander machen könnten. Was Mecklenburg anlangt, so
ist es bekanntlich das am dünnsten bevölkerte Gebiet Deutschlands (Strelitz 34,
Schwerin 43 Einwohner auf den Quadratkilometer). Der gesamte Grund und
Boden ist geschlossener Besitz, 43 Prozent davon gehören dem Domanium. Da
überwiegt gar leicht das Angebot, zumal wenn die Auswanderung der Bauern¬
söhne im Schwange geht.

Aber dies alles ändert an der aufsaugenden Natur und Kraft der Boden¬
renke nichts; sie tritt anderwärts umso klarer zu Tage. Beredter spricht nichts,
als was in der französischen Kaminer (März 1887) zur Sprache gekommen ist, als
man über die vorgeschlagene Erhöhung der Getreidezölle verhandelte. Der
Abgeordnete Jciures erinnerte an die Pachtverträge mit doppeltem Pachtpreis,
die bereits vom Abgeordneten Lerage zur Sprache gebracht worden seien und
für den Fall, daß die Zvllerhöhnng angenommen würde, im voraus eine ent¬
sprechende Pachtsteigerung bedingen.

Hier also spricht die Bodenrenke mit trocknen Worten aus: alle Besserung
gehört mir, du aber, Pächter, laß jede Hoffnung schwinden. Sollte oder könnte
ähnliches nicht auch in Deutschland vorkommen, angesichts der weiteren an¬
sehnlichen Zollerhöhung, die von den Agrariern geplant wird, und der die
Preußische Regierung wenigstens nicht ganz abgeneigt zu sein scheint? Zum
Glück sind die Zölle Reichssache, und in dem Reiche ist der ostpreußische Einfluß
doch nicht so überwiegend, wie in Preußen selbst; die größere Bodenverteilung
im Westen und die übergroße im Südwesten haben eine Zollerhöhung zu
fürchten, die mehr als Finanzzoll wäre und die Preise wirklich erhöhen würde;
denn der kleine Wirt, der mehr Getreide braucht, als er erzeugt, müßte seinen
Mehrbedarf ja zu den erhöhten Preisen kaufen. Es ist das Gerücht daher sehr
glaubwürdig, daß die badische Regierung schon im Bundesrat den Zollerhöhungs¬
plänen entgegentritt oder entgegentreten wird. Wie bescheiden nimmt es sich
gegenüber dem hartnäckigen Drängen unsrer ostdeutschen Großgrundbesitzer aus,
wenn Lord Derby auf der Jahresversammlung der landwirtschaftlichen Vereine
in Manchester (1. September 1887) zwar die ungeheuern Verluste der englischen


Zur Land- und Bodenfrage.

zusaugen, keine Bestätigung zu finden. Wenn der Marquis of Salisbury auf
seinen Hatfieldschen Gütern (in Hertfordshire) den Pächtern einen Nachlaß von
20 Prozent gewährt, wenn viele andre Lords zu ähnlichem genötigt sind, wenn
das Mecklenburgische Domcmium sich bei den neuesten im Aufgebot bewirkten
Versteigerungen Ausfälle zwischen 31 und 45 Prozent gegen die vorigen Pacht¬
summen gefallen lassen muß, so kann da freilich von Druck der Bodenrenke auf
die Wirtschaft nicht die Rede sein. Allein es walten hier außerordentliche Um¬
stände. In England sind die Pächter eine kapitalkräftige Klasse, die mehr oder
weniger auf gleichem Fuße mit den Grundherren verhandeln und diese nötigen
können, von ihren Forderungen nachzulassen; auch fehlt es dort gänzlich an einer
zahlreichen Klasse von Landwirten, die als Pachtliebhaber sich wie bei uns
große Konkurrenz unter einander machen könnten. Was Mecklenburg anlangt, so
ist es bekanntlich das am dünnsten bevölkerte Gebiet Deutschlands (Strelitz 34,
Schwerin 43 Einwohner auf den Quadratkilometer). Der gesamte Grund und
Boden ist geschlossener Besitz, 43 Prozent davon gehören dem Domanium. Da
überwiegt gar leicht das Angebot, zumal wenn die Auswanderung der Bauern¬
söhne im Schwange geht.

Aber dies alles ändert an der aufsaugenden Natur und Kraft der Boden¬
renke nichts; sie tritt anderwärts umso klarer zu Tage. Beredter spricht nichts,
als was in der französischen Kaminer (März 1887) zur Sprache gekommen ist, als
man über die vorgeschlagene Erhöhung der Getreidezölle verhandelte. Der
Abgeordnete Jciures erinnerte an die Pachtverträge mit doppeltem Pachtpreis,
die bereits vom Abgeordneten Lerage zur Sprache gebracht worden seien und
für den Fall, daß die Zvllerhöhnng angenommen würde, im voraus eine ent¬
sprechende Pachtsteigerung bedingen.

Hier also spricht die Bodenrenke mit trocknen Worten aus: alle Besserung
gehört mir, du aber, Pächter, laß jede Hoffnung schwinden. Sollte oder könnte
ähnliches nicht auch in Deutschland vorkommen, angesichts der weiteren an¬
sehnlichen Zollerhöhung, die von den Agrariern geplant wird, und der die
Preußische Regierung wenigstens nicht ganz abgeneigt zu sein scheint? Zum
Glück sind die Zölle Reichssache, und in dem Reiche ist der ostpreußische Einfluß
doch nicht so überwiegend, wie in Preußen selbst; die größere Bodenverteilung
im Westen und die übergroße im Südwesten haben eine Zollerhöhung zu
fürchten, die mehr als Finanzzoll wäre und die Preise wirklich erhöhen würde;
denn der kleine Wirt, der mehr Getreide braucht, als er erzeugt, müßte seinen
Mehrbedarf ja zu den erhöhten Preisen kaufen. Es ist das Gerücht daher sehr
glaubwürdig, daß die badische Regierung schon im Bundesrat den Zollerhöhungs¬
plänen entgegentritt oder entgegentreten wird. Wie bescheiden nimmt es sich
gegenüber dem hartnäckigen Drängen unsrer ostdeutschen Großgrundbesitzer aus,
wenn Lord Derby auf der Jahresversammlung der landwirtschaftlichen Vereine
in Manchester (1. September 1887) zwar die ungeheuern Verluste der englischen


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[0527] Zur Land- und Bodenfrage. zusaugen, keine Bestätigung zu finden. Wenn der Marquis of Salisbury auf seinen Hatfieldschen Gütern (in Hertfordshire) den Pächtern einen Nachlaß von 20 Prozent gewährt, wenn viele andre Lords zu ähnlichem genötigt sind, wenn das Mecklenburgische Domcmium sich bei den neuesten im Aufgebot bewirkten Versteigerungen Ausfälle zwischen 31 und 45 Prozent gegen die vorigen Pacht¬ summen gefallen lassen muß, so kann da freilich von Druck der Bodenrenke auf die Wirtschaft nicht die Rede sein. Allein es walten hier außerordentliche Um¬ stände. In England sind die Pächter eine kapitalkräftige Klasse, die mehr oder weniger auf gleichem Fuße mit den Grundherren verhandeln und diese nötigen können, von ihren Forderungen nachzulassen; auch fehlt es dort gänzlich an einer zahlreichen Klasse von Landwirten, die als Pachtliebhaber sich wie bei uns große Konkurrenz unter einander machen könnten. Was Mecklenburg anlangt, so ist es bekanntlich das am dünnsten bevölkerte Gebiet Deutschlands (Strelitz 34, Schwerin 43 Einwohner auf den Quadratkilometer). Der gesamte Grund und Boden ist geschlossener Besitz, 43 Prozent davon gehören dem Domanium. Da überwiegt gar leicht das Angebot, zumal wenn die Auswanderung der Bauern¬ söhne im Schwange geht. Aber dies alles ändert an der aufsaugenden Natur und Kraft der Boden¬ renke nichts; sie tritt anderwärts umso klarer zu Tage. Beredter spricht nichts, als was in der französischen Kaminer (März 1887) zur Sprache gekommen ist, als man über die vorgeschlagene Erhöhung der Getreidezölle verhandelte. Der Abgeordnete Jciures erinnerte an die Pachtverträge mit doppeltem Pachtpreis, die bereits vom Abgeordneten Lerage zur Sprache gebracht worden seien und für den Fall, daß die Zvllerhöhnng angenommen würde, im voraus eine ent¬ sprechende Pachtsteigerung bedingen. Hier also spricht die Bodenrenke mit trocknen Worten aus: alle Besserung gehört mir, du aber, Pächter, laß jede Hoffnung schwinden. Sollte oder könnte ähnliches nicht auch in Deutschland vorkommen, angesichts der weiteren an¬ sehnlichen Zollerhöhung, die von den Agrariern geplant wird, und der die Preußische Regierung wenigstens nicht ganz abgeneigt zu sein scheint? Zum Glück sind die Zölle Reichssache, und in dem Reiche ist der ostpreußische Einfluß doch nicht so überwiegend, wie in Preußen selbst; die größere Bodenverteilung im Westen und die übergroße im Südwesten haben eine Zollerhöhung zu fürchten, die mehr als Finanzzoll wäre und die Preise wirklich erhöhen würde; denn der kleine Wirt, der mehr Getreide braucht, als er erzeugt, müßte seinen Mehrbedarf ja zu den erhöhten Preisen kaufen. Es ist das Gerücht daher sehr glaubwürdig, daß die badische Regierung schon im Bundesrat den Zollerhöhungs¬ plänen entgegentritt oder entgegentreten wird. Wie bescheiden nimmt es sich gegenüber dem hartnäckigen Drängen unsrer ostdeutschen Großgrundbesitzer aus, wenn Lord Derby auf der Jahresversammlung der landwirtschaftlichen Vereine in Manchester (1. September 1887) zwar die ungeheuern Verluste der englischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/527>, abgerufen am 16.05.2024.