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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Die Auflösung des alten Reiches.

Auflösung des Reiches bezeichnen nur noch die Agonie des nicht mehr lebens¬
fähigen Körpers. Und für das tausendjährige Reich deutscher Nation war der
Todeskampf verhältnismäßig kurz genug. Die Toten reiten schnell!

Das linke Rheinufer war verloren, mit Frankreich vereinigt, wie es schien,
für immer. Das verstümmelte Reich lag Frankreich gegenüber wehrlos da.
Unter andern Bedingungen war auch festgesetzt, daß die von den Franzosen
zur Zeit auf dem rechten Rheinufer besetzten Plätze in dem Zustande bleiben
sollten, in dem sie sich bei der Rückgabe befanden, d. h. mit geschleiften Festungs¬
werken. Das waren: Düsseldorf, Ehrenbreitstein, Philippsburg, Kastel, Kehl,
Breisach, lauter offne Einfallsthore für Frankreich. In dem noch übrig gebliebenen
Teile des Reiches begann jetzt jene große "Heimramschung" sast sämtlicher geist¬
lichen Lande, der Erzstifter, Hochstifter oder Stifter, der bei weitem überwiegenden
Mehrzahl der Reichsstädte und aller Neichsdörfer mit ihren Gebieten. Auch
verschwanden schon einige erbliche Fürsten aus der Reihe der "Dynasten." Die
mächtigern Reichsfllrsten besetzten ohne weiteres und "des Reiches ungefragt"
die Gebiete, die sie für passende Vergrößerungsobjekte ansahen, und auf die sie
daher Ansprüche machen zu dürfen glaubten. Der moderne Name "Annexion"
oder "Annektirung" war damals für diese Art der Aneignung noch nicht er¬
funden. Bezog sie sich auf ein geistliches Territorium, so nannte man sie
Säkularisation; bezog sie sich auf weltliches Gebiet, welches früher reichs¬
unmittelbar (immediat) gewesen war, so that der Name Mediatisirung vorzüg¬
liche Dienste.

Es ist hier nicht der Ort, näher auf die damals vollzogenen Gebiets-
veränderungen einzugehen; es soll das einem besondern Aussatze vorbehalte"
bleibe". Nach langen, verwickelten und verwirrten Verhandlungen beendete der
Neichsdcputativnshauptschluß das, was zu Lüneville beschlossen war. Schon
im Oktober 1801 war nämlich zu Regensburg eine Neichsdeputation eingesetzt
worden, bestehend aus den Bevollmächtigten von Kurmainz, Böhme", Sachsen,
Brandenburg, Pfalz-Baiern, Hoch- ""d Deutschmünster, Württemberg und
Hessen-Kassel, und diese hatte endlich am 25. Februar 1803 ihr allerdings nicht
leichtes Werk beendet. Der Beschluß wurde am 24. März vom Reichstage an¬
genommen und am 27. April 1803 vom Kaiser bestätigt. Besonders bezeichnend
ist, daß bei dieser letzten größern "That" des Regensburger Reichstages nicht
etwa die mächtigeren Glieder des Reiches den Ausschlag geben, sonder" meistens
der französische, bisweilen auch einmal zur Abwechslung der russische Gesandte.
Diesem Umstände allein ist es freilich auch zu verdanken, daß der Regensburger
Reichstag ein solches Werk überhaupt zu stände gebracht hat, und noch dazu
in der für die Verhältnisse des Reichstages ausnehmend kurzen Zeit von noch
nicht anderthalb Jahren. Nie und nimmer wäre das möglich gewesen ohne
den gewaltigen Druck, den die rücksichtslose Energie Napoleons in dieser
Sache übte.


Die Auflösung des alten Reiches.

Auflösung des Reiches bezeichnen nur noch die Agonie des nicht mehr lebens¬
fähigen Körpers. Und für das tausendjährige Reich deutscher Nation war der
Todeskampf verhältnismäßig kurz genug. Die Toten reiten schnell!

Das linke Rheinufer war verloren, mit Frankreich vereinigt, wie es schien,
für immer. Das verstümmelte Reich lag Frankreich gegenüber wehrlos da.
Unter andern Bedingungen war auch festgesetzt, daß die von den Franzosen
zur Zeit auf dem rechten Rheinufer besetzten Plätze in dem Zustande bleiben
sollten, in dem sie sich bei der Rückgabe befanden, d. h. mit geschleiften Festungs¬
werken. Das waren: Düsseldorf, Ehrenbreitstein, Philippsburg, Kastel, Kehl,
Breisach, lauter offne Einfallsthore für Frankreich. In dem noch übrig gebliebenen
Teile des Reiches begann jetzt jene große „Heimramschung" sast sämtlicher geist¬
lichen Lande, der Erzstifter, Hochstifter oder Stifter, der bei weitem überwiegenden
Mehrzahl der Reichsstädte und aller Neichsdörfer mit ihren Gebieten. Auch
verschwanden schon einige erbliche Fürsten aus der Reihe der „Dynasten." Die
mächtigern Reichsfllrsten besetzten ohne weiteres und „des Reiches ungefragt"
die Gebiete, die sie für passende Vergrößerungsobjekte ansahen, und auf die sie
daher Ansprüche machen zu dürfen glaubten. Der moderne Name „Annexion"
oder „Annektirung" war damals für diese Art der Aneignung noch nicht er¬
funden. Bezog sie sich auf ein geistliches Territorium, so nannte man sie
Säkularisation; bezog sie sich auf weltliches Gebiet, welches früher reichs¬
unmittelbar (immediat) gewesen war, so that der Name Mediatisirung vorzüg¬
liche Dienste.

Es ist hier nicht der Ort, näher auf die damals vollzogenen Gebiets-
veränderungen einzugehen; es soll das einem besondern Aussatze vorbehalte»
bleibe». Nach langen, verwickelten und verwirrten Verhandlungen beendete der
Neichsdcputativnshauptschluß das, was zu Lüneville beschlossen war. Schon
im Oktober 1801 war nämlich zu Regensburg eine Neichsdeputation eingesetzt
worden, bestehend aus den Bevollmächtigten von Kurmainz, Böhme», Sachsen,
Brandenburg, Pfalz-Baiern, Hoch- »»d Deutschmünster, Württemberg und
Hessen-Kassel, und diese hatte endlich am 25. Februar 1803 ihr allerdings nicht
leichtes Werk beendet. Der Beschluß wurde am 24. März vom Reichstage an¬
genommen und am 27. April 1803 vom Kaiser bestätigt. Besonders bezeichnend
ist, daß bei dieser letzten größern „That" des Regensburger Reichstages nicht
etwa die mächtigeren Glieder des Reiches den Ausschlag geben, sonder» meistens
der französische, bisweilen auch einmal zur Abwechslung der russische Gesandte.
Diesem Umstände allein ist es freilich auch zu verdanken, daß der Regensburger
Reichstag ein solches Werk überhaupt zu stände gebracht hat, und noch dazu
in der für die Verhältnisse des Reichstages ausnehmend kurzen Zeit von noch
nicht anderthalb Jahren. Nie und nimmer wäre das möglich gewesen ohne
den gewaltigen Druck, den die rücksichtslose Energie Napoleons in dieser
Sache übte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/583>, abgerufen am 15.05.2024.