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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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erst weiter unten gehen! Anders ist es mit den Frauen bestellt, und wenn wir
alle die schönen Frauengestalten der verschiedensten Typen bewundern, so finden
wir es natürlich, daß man hier eine Schönheitsausstellung veranstaltet hat und
daß Pest einen so leichtsinnigen Ruf hat. Mein poetischer Reisebegleiter wurde
durch den Anblick hoch begeistert, und an dem ersten Morgen las er mir ein
Gedicht vor, von dem ich euch nur einige Strophen anführen will:


[Beginn Spaltensatz] Dunkle, Blonde,
Ernst und Lachen,
Griechinnen aus Trepisonde,
Magyarinnen, Walnchen, [Spaltenumbruch] Starke Töchter der Hamaker,
Die des Sultans Harem zieren,
Ranzen, Serben, Bosniaken,
Welche soll ich zu dir führen? [Ende Spaltensatz]

Dann dichtet er sich in mehreren Strophen durch die verschiedensten Nationalitäten
durch, wie sie an ten gesegneten Donauufern so zahlreich sind, bis er einer
Ungarin den Preis zuerkennt:


Denn ich sah aus ihren dunkeln
Augen Liebcsblitze leuchten,
Wie sich ein elektrisch Funkeln
Nachts dem Meer enthebt, dem feuchten.

Ich bestritt ihm freilich die Fähigkeit, alle Nationalitäten so genau zu unter¬
scheiden, er ließ sich aber nicht irre machen. Hoffentlich hat diese Begeisterung
keine schweren Folgen für ihn.

Nachdem wir uns politisch geärgert und ethnographisch erfreut hatten, gaben
wir uns während unsers ganzen Aufenthaltes ganz dem Genuß der schönen
Natur hin, die hier verschwenderisch ihre Gaben ausgestreut hat. Von dem
Garten der Ofener Königsburg, von wo aus man den mächtigen Strom mit
seinen grünen Inseln und das stattliche Pest vor sich ausgebreitet sieht, konnten
wir uns kaum trennen. Aber wir vergaßen doch unsern Touristenzweck nicht,
und so besuchten wir getreulich alle Merkwürdigkeiten, wie sie das Reisebuch vor¬
zeichnet, auch wenn wir uns eingestanden, daß es gar keine wären. So gingen
wir denn auch in die Ezterhazysche Gemäldegalerie, die, obgleich mein Begleiter
von gemalten Schönheiten nichts wissen wollte, herrliche Madonnen von Mu-
rillo, Raffael und Rubens enthält. Auch erfüllte es unser chauvinistisches Herz
mit besondrer Genugthuung, daß das Gebäude nach Stülerschen Plänen erbaut
ist, wie sich ja ebenfalls -- man verzeihe den Gegensatz -- die modernen
Magyaren ihr neues Schlachthaus von unserm Landsmann Hennicke haben er¬
richten lassen. Einen großen Teil des Tagesprogramms füllte der Besuch der
Bäder aus, an denen die Ungarnhauptstadt überreich ist. Das ist umso ver¬
wunderlicher, als die Ungarn bekanntlich im Auslande nicht gerade wegen ihrer
Reinlichkeit berühmt sind; auch, was ich in dem Ungarnlande selbst sah und
oft schaudernd miterlebte, ist nicht geeignet, einen solchen Ruhm zu begründen.
Die Entstehung dieser Anstalten mag wohl auf die vielen heißen Schwefelquellen


Line Fahrt in den Grient.

erst weiter unten gehen! Anders ist es mit den Frauen bestellt, und wenn wir
alle die schönen Frauengestalten der verschiedensten Typen bewundern, so finden
wir es natürlich, daß man hier eine Schönheitsausstellung veranstaltet hat und
daß Pest einen so leichtsinnigen Ruf hat. Mein poetischer Reisebegleiter wurde
durch den Anblick hoch begeistert, und an dem ersten Morgen las er mir ein
Gedicht vor, von dem ich euch nur einige Strophen anführen will:


[Beginn Spaltensatz] Dunkle, Blonde,
Ernst und Lachen,
Griechinnen aus Trepisonde,
Magyarinnen, Walnchen, [Spaltenumbruch] Starke Töchter der Hamaker,
Die des Sultans Harem zieren,
Ranzen, Serben, Bosniaken,
Welche soll ich zu dir führen? [Ende Spaltensatz]

Dann dichtet er sich in mehreren Strophen durch die verschiedensten Nationalitäten
durch, wie sie an ten gesegneten Donauufern so zahlreich sind, bis er einer
Ungarin den Preis zuerkennt:


Denn ich sah aus ihren dunkeln
Augen Liebcsblitze leuchten,
Wie sich ein elektrisch Funkeln
Nachts dem Meer enthebt, dem feuchten.

Ich bestritt ihm freilich die Fähigkeit, alle Nationalitäten so genau zu unter¬
scheiden, er ließ sich aber nicht irre machen. Hoffentlich hat diese Begeisterung
keine schweren Folgen für ihn.

Nachdem wir uns politisch geärgert und ethnographisch erfreut hatten, gaben
wir uns während unsers ganzen Aufenthaltes ganz dem Genuß der schönen
Natur hin, die hier verschwenderisch ihre Gaben ausgestreut hat. Von dem
Garten der Ofener Königsburg, von wo aus man den mächtigen Strom mit
seinen grünen Inseln und das stattliche Pest vor sich ausgebreitet sieht, konnten
wir uns kaum trennen. Aber wir vergaßen doch unsern Touristenzweck nicht,
und so besuchten wir getreulich alle Merkwürdigkeiten, wie sie das Reisebuch vor¬
zeichnet, auch wenn wir uns eingestanden, daß es gar keine wären. So gingen
wir denn auch in die Ezterhazysche Gemäldegalerie, die, obgleich mein Begleiter
von gemalten Schönheiten nichts wissen wollte, herrliche Madonnen von Mu-
rillo, Raffael und Rubens enthält. Auch erfüllte es unser chauvinistisches Herz
mit besondrer Genugthuung, daß das Gebäude nach Stülerschen Plänen erbaut
ist, wie sich ja ebenfalls — man verzeihe den Gegensatz — die modernen
Magyaren ihr neues Schlachthaus von unserm Landsmann Hennicke haben er¬
richten lassen. Einen großen Teil des Tagesprogramms füllte der Besuch der
Bäder aus, an denen die Ungarnhauptstadt überreich ist. Das ist umso ver¬
wunderlicher, als die Ungarn bekanntlich im Auslande nicht gerade wegen ihrer
Reinlichkeit berühmt sind; auch, was ich in dem Ungarnlande selbst sah und
oft schaudernd miterlebte, ist nicht geeignet, einen solchen Ruhm zu begründen.
Die Entstehung dieser Anstalten mag wohl auf die vielen heißen Schwefelquellen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/62>, abgerufen am 22.05.2024.