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Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr.

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Gin Jubiläum.

Auf die Nevvlutivusjahre war die Reaktionszeit unter dem Ministerium
Manteuffel gefolgt, die ihrerseits in den ersten Tagen des November 1858 der
sogenannten "neuen Ära" Platz machte. Schon früher, bald nachdem es Mmi-
teusfcl gelungen war, die Ordnung wieder herzustellen, hatte man versucht,
dieses Ministerium zum Rücktritte zu bewegen und es durch ein "volksfreund¬
licheres" aus den Reihen der "Gothaer" zu ersetzen. Jetzt wiederholte sich
das, und der Erfolg war auf dein Gebiete der innern Politik, daß die mühsam
zurückgedrängten Elemente der demokratischen Opposition alsbald wieder hervor¬
traten. Man hatte sie, die sich nach Einführung der revidirten Verfassung
in den Schmollwinkel zurückgezogen und auf "passiven Widerstand" beschränkt
hatten, sodaß die Demokratie in der ncugewühltcn Kammer unvertreten war,
für endgiltig beseitigt angesehen und gemeint, es nur noch mit dem mattherziger
Altliberalismus zu thun zu haben, und so war man nicht wenig überrascht,
als die ersten Wahlen uuter der "neuen Ära" die Vertreter dieser Partei auf die
Zahl der nenn Kegel verminderte und die Demokratie nnter dem Namen "Jung
Litauen" so start und so anspruchsvoll wie früher ihren Einzug ins Abge¬
ordnetenhaus hielt. Beginn und Verlauf der "neuen Ära" begreifen sich nur,
wenn man sich die verschiednen Momente klar macht, aus deuen sich dieses
Fazit schließlich bildete. Das erste derselben war die weitverbreitete und tief¬
gehende Verstimmung über den Stand der preußischen Politik zur Zeit der
Erkrankung König Friedrich Wilhelms IV. Preußen hatte sich unter Man¬
teuffel in Olmütz demütigen müssen, und es war dann bei den Pariser Kon¬
ferenzen, welche nach dem Krimkriege den Frieden vermittelten, als fünftes Rad
am Wagen behandelt worden. Beides war gewiß eine bittere Demütigung,
aber es wurde dabei meist übersehen, daß der "saure Gang nach Olmütz" an¬
getreten werden mußte, weil Preußen mit der Revolution Wege nach damals
phantastischen Zielen eingeschlagen hatte, und weil es ohne jenen Gang in
einen von der Frankfurter Nationalversammlung bereits angebahnten Bürger¬
krieg getrieben worden wäre, für den es ganz ungenügend gerüstet war,
und in den sich zuletzt Rußland gemischt und dadurch eine Machtstellung
gewonnen hätte, welche seine bisherige weit überragt haben würde. Ein
zweites Moment war eine gerechtfertigte Entrüstung des Prinzen von Preußen
gegen gewisse Führer der Konservativen, die ihn in den letzten Jahren
wegen liberaler Gesinnung wenig respektvoll behandelt hatten (u. a. hing die
Frau v. Gerlachs in Koblenz ihre Wäsche so vor den Fenstern des prinzlichen
Paares aus, daß ihm alle Aussicht versperrt wurde) und die jetzt aus ihren
Stellungen verschwanden. Noch mehr aber fiel drittens ins Gewicht, daß man
sich mit der Hinwendung zu den Liberalen auf eine abschüssige Bahn begab,
welche zuletzt, wenn nicht zu rechter Zeit Halt gemacht wurde, zum Parlamen¬
tarismus, d. h. zur Unterwerfung der Krone unter den Willen des Abgeordneten¬
hauses führen mußte. Die "neue Ära," d. h. das Ministerium Auerswald --


Gin Jubiläum.

Auf die Nevvlutivusjahre war die Reaktionszeit unter dem Ministerium
Manteuffel gefolgt, die ihrerseits in den ersten Tagen des November 1858 der
sogenannten „neuen Ära" Platz machte. Schon früher, bald nachdem es Mmi-
teusfcl gelungen war, die Ordnung wieder herzustellen, hatte man versucht,
dieses Ministerium zum Rücktritte zu bewegen und es durch ein „volksfreund¬
licheres" aus den Reihen der „Gothaer" zu ersetzen. Jetzt wiederholte sich
das, und der Erfolg war auf dein Gebiete der innern Politik, daß die mühsam
zurückgedrängten Elemente der demokratischen Opposition alsbald wieder hervor¬
traten. Man hatte sie, die sich nach Einführung der revidirten Verfassung
in den Schmollwinkel zurückgezogen und auf „passiven Widerstand" beschränkt
hatten, sodaß die Demokratie in der ncugewühltcn Kammer unvertreten war,
für endgiltig beseitigt angesehen und gemeint, es nur noch mit dem mattherziger
Altliberalismus zu thun zu haben, und so war man nicht wenig überrascht,
als die ersten Wahlen uuter der „neuen Ära" die Vertreter dieser Partei auf die
Zahl der nenn Kegel verminderte und die Demokratie nnter dem Namen „Jung
Litauen" so start und so anspruchsvoll wie früher ihren Einzug ins Abge¬
ordnetenhaus hielt. Beginn und Verlauf der „neuen Ära" begreifen sich nur,
wenn man sich die verschiednen Momente klar macht, aus deuen sich dieses
Fazit schließlich bildete. Das erste derselben war die weitverbreitete und tief¬
gehende Verstimmung über den Stand der preußischen Politik zur Zeit der
Erkrankung König Friedrich Wilhelms IV. Preußen hatte sich unter Man¬
teuffel in Olmütz demütigen müssen, und es war dann bei den Pariser Kon¬
ferenzen, welche nach dem Krimkriege den Frieden vermittelten, als fünftes Rad
am Wagen behandelt worden. Beides war gewiß eine bittere Demütigung,
aber es wurde dabei meist übersehen, daß der „saure Gang nach Olmütz" an¬
getreten werden mußte, weil Preußen mit der Revolution Wege nach damals
phantastischen Zielen eingeschlagen hatte, und weil es ohne jenen Gang in
einen von der Frankfurter Nationalversammlung bereits angebahnten Bürger¬
krieg getrieben worden wäre, für den es ganz ungenügend gerüstet war,
und in den sich zuletzt Rußland gemischt und dadurch eine Machtstellung
gewonnen hätte, welche seine bisherige weit überragt haben würde. Ein
zweites Moment war eine gerechtfertigte Entrüstung des Prinzen von Preußen
gegen gewisse Führer der Konservativen, die ihn in den letzten Jahren
wegen liberaler Gesinnung wenig respektvoll behandelt hatten (u. a. hing die
Frau v. Gerlachs in Koblenz ihre Wäsche so vor den Fenstern des prinzlichen
Paares aus, daß ihm alle Aussicht versperrt wurde) und die jetzt aus ihren
Stellungen verschwanden. Noch mehr aber fiel drittens ins Gewicht, daß man
sich mit der Hinwendung zu den Liberalen auf eine abschüssige Bahn begab,
welche zuletzt, wenn nicht zu rechter Zeit Halt gemacht wurde, zum Parlamen¬
tarismus, d. h. zur Unterwerfung der Krone unter den Willen des Abgeordneten¬
hauses führen mußte. Die „neue Ära," d. h. das Ministerium Auerswald —


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[0066] Gin Jubiläum. Auf die Nevvlutivusjahre war die Reaktionszeit unter dem Ministerium Manteuffel gefolgt, die ihrerseits in den ersten Tagen des November 1858 der sogenannten „neuen Ära" Platz machte. Schon früher, bald nachdem es Mmi- teusfcl gelungen war, die Ordnung wieder herzustellen, hatte man versucht, dieses Ministerium zum Rücktritte zu bewegen und es durch ein „volksfreund¬ licheres" aus den Reihen der „Gothaer" zu ersetzen. Jetzt wiederholte sich das, und der Erfolg war auf dein Gebiete der innern Politik, daß die mühsam zurückgedrängten Elemente der demokratischen Opposition alsbald wieder hervor¬ traten. Man hatte sie, die sich nach Einführung der revidirten Verfassung in den Schmollwinkel zurückgezogen und auf „passiven Widerstand" beschränkt hatten, sodaß die Demokratie in der ncugewühltcn Kammer unvertreten war, für endgiltig beseitigt angesehen und gemeint, es nur noch mit dem mattherziger Altliberalismus zu thun zu haben, und so war man nicht wenig überrascht, als die ersten Wahlen uuter der „neuen Ära" die Vertreter dieser Partei auf die Zahl der nenn Kegel verminderte und die Demokratie nnter dem Namen „Jung Litauen" so start und so anspruchsvoll wie früher ihren Einzug ins Abge¬ ordnetenhaus hielt. Beginn und Verlauf der „neuen Ära" begreifen sich nur, wenn man sich die verschiednen Momente klar macht, aus deuen sich dieses Fazit schließlich bildete. Das erste derselben war die weitverbreitete und tief¬ gehende Verstimmung über den Stand der preußischen Politik zur Zeit der Erkrankung König Friedrich Wilhelms IV. Preußen hatte sich unter Man¬ teuffel in Olmütz demütigen müssen, und es war dann bei den Pariser Kon¬ ferenzen, welche nach dem Krimkriege den Frieden vermittelten, als fünftes Rad am Wagen behandelt worden. Beides war gewiß eine bittere Demütigung, aber es wurde dabei meist übersehen, daß der „saure Gang nach Olmütz" an¬ getreten werden mußte, weil Preußen mit der Revolution Wege nach damals phantastischen Zielen eingeschlagen hatte, und weil es ohne jenen Gang in einen von der Frankfurter Nationalversammlung bereits angebahnten Bürger¬ krieg getrieben worden wäre, für den es ganz ungenügend gerüstet war, und in den sich zuletzt Rußland gemischt und dadurch eine Machtstellung gewonnen hätte, welche seine bisherige weit überragt haben würde. Ein zweites Moment war eine gerechtfertigte Entrüstung des Prinzen von Preußen gegen gewisse Führer der Konservativen, die ihn in den letzten Jahren wegen liberaler Gesinnung wenig respektvoll behandelt hatten (u. a. hing die Frau v. Gerlachs in Koblenz ihre Wäsche so vor den Fenstern des prinzlichen Paares aus, daß ihm alle Aussicht versperrt wurde) und die jetzt aus ihren Stellungen verschwanden. Noch mehr aber fiel drittens ins Gewicht, daß man sich mit der Hinwendung zu den Liberalen auf eine abschüssige Bahn begab, welche zuletzt, wenn nicht zu rechter Zeit Halt gemacht wurde, zum Parlamen¬ tarismus, d. h. zur Unterwerfung der Krone unter den Willen des Abgeordneten¬ hauses führen mußte. Die „neue Ära," d. h. das Ministerium Auerswald —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 46, 1887, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341845_201428/66>, abgerufen am 15.05.2024.