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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Beronski.

Es braucht niemand darum zu wissen. Komme zu mir, lehre ihn dort.
Meine Pferde stehen dir jederzeit zur Verfügung, ich kann dir stets eines ent¬
gegen schicken. Und irgend ein Buch werde ich schon finden. Die frühere Haus¬
hälterin meines Oheims war eine Deutsche, ich weiß, ihre Sachen sind noch da.

Mit angstvoller Spannung hatte Rüben dem Gespräche der beiden jungen
Männer gelauscht. Noch einmal erneuerte er seine Bitten, doch David versprach
nur, es zu überlegen, was Alexei verstimmte. Ihm war jeder Zweifel fremd,
und Furcht vor andrer Ansicht kannte er nicht.

Verzweiflungsvoll warf sich Rüben ins Gras und weinte wie ein Kind,
als sich die beiden Freunde trennten.

Als David langsam in das Städtchen zurück ging, breitete die Dämmerung
schon ihre Schwingen über die weite Ebene. Das tagsüber schlummernde
Leben der Steppe erwachte. Zahllose Vögelrufe ertönten, und Schatten huschten
über die Wiesen.

Ehe David die enge Straße betrat, gerade vor dem Hause des Karaiten,
blieb er stehen und sah sich noch einmal um. Am Horizonte lag eine Nebel¬
schicht, von der eben untergegangenen Sonne in ein Feuermeer verwandelt, als
ob dort der Eingang in eine schönere Welt sei, deren Abglanz die Erde mit
einem leuchtenden Schimmer verklärte. Noch einmal stiegen in Davids Herzen
jene Wünsche und Hoffnungen empor, die er mit so viel Kampf und Anstrengung
zur Ruhe verwiesen und die Alexeis Anblick und Gespräch wieder aus der Tiefe
hervorgelockt hatte. Mit einem schweren Seufzer kehrte er sich endlich ab --
hinter ihm stand Jeschka. Mit einer unterwürfigen Bewegung führte sie den
Zipfel seines Kaftans an ihre Lippen.

Du hast uns am letzten Sabbath wieder beschützt, ohne dich wären wir
verloren, sagte sie, und ihre Augen hingen voll Bewunderung an seinem Antlitz.
Möge uns dein Schutz nie fehlen! Ich bete jeden Abend für dich und danke
dir in meinem Herzen jede Stunde des Tages. Möge der Segen des allmäch¬
tigen Gottes auf dir und deinem Hause ruhen!

Dann legte sie noch einmal schüchtern ihre Hand auf seinen Arm, neigte
sich und eilte in das Haus zurück.

Wer würde sie schützen, wenn ich fern wäre? fragte sich David. Was
soll ich thun, was ist das Rechte? Käme nicht ihr Blut auf mein Haupt,
wenn ich der Grund wäre, sie hier festzuhalten? Was soll ich thun?

In tiefem Sinnen ging er die Straße hinab.

Gehe gerade zu, sieh dich nicht um! rief eine Stimme über den Weg.

David blieb stehen.

Das ist Bath-Koi,*) die Tochter der Stimme! sagte er ehrfurchtsvoll.
So soll es sein.^





") Eine von Gott gesandte Stimme.
David Beronski.

Es braucht niemand darum zu wissen. Komme zu mir, lehre ihn dort.
Meine Pferde stehen dir jederzeit zur Verfügung, ich kann dir stets eines ent¬
gegen schicken. Und irgend ein Buch werde ich schon finden. Die frühere Haus¬
hälterin meines Oheims war eine Deutsche, ich weiß, ihre Sachen sind noch da.

Mit angstvoller Spannung hatte Rüben dem Gespräche der beiden jungen
Männer gelauscht. Noch einmal erneuerte er seine Bitten, doch David versprach
nur, es zu überlegen, was Alexei verstimmte. Ihm war jeder Zweifel fremd,
und Furcht vor andrer Ansicht kannte er nicht.

Verzweiflungsvoll warf sich Rüben ins Gras und weinte wie ein Kind,
als sich die beiden Freunde trennten.

Als David langsam in das Städtchen zurück ging, breitete die Dämmerung
schon ihre Schwingen über die weite Ebene. Das tagsüber schlummernde
Leben der Steppe erwachte. Zahllose Vögelrufe ertönten, und Schatten huschten
über die Wiesen.

Ehe David die enge Straße betrat, gerade vor dem Hause des Karaiten,
blieb er stehen und sah sich noch einmal um. Am Horizonte lag eine Nebel¬
schicht, von der eben untergegangenen Sonne in ein Feuermeer verwandelt, als
ob dort der Eingang in eine schönere Welt sei, deren Abglanz die Erde mit
einem leuchtenden Schimmer verklärte. Noch einmal stiegen in Davids Herzen
jene Wünsche und Hoffnungen empor, die er mit so viel Kampf und Anstrengung
zur Ruhe verwiesen und die Alexeis Anblick und Gespräch wieder aus der Tiefe
hervorgelockt hatte. Mit einem schweren Seufzer kehrte er sich endlich ab —
hinter ihm stand Jeschka. Mit einer unterwürfigen Bewegung führte sie den
Zipfel seines Kaftans an ihre Lippen.

Du hast uns am letzten Sabbath wieder beschützt, ohne dich wären wir
verloren, sagte sie, und ihre Augen hingen voll Bewunderung an seinem Antlitz.
Möge uns dein Schutz nie fehlen! Ich bete jeden Abend für dich und danke
dir in meinem Herzen jede Stunde des Tages. Möge der Segen des allmäch¬
tigen Gottes auf dir und deinem Hause ruhen!

Dann legte sie noch einmal schüchtern ihre Hand auf seinen Arm, neigte
sich und eilte in das Haus zurück.

Wer würde sie schützen, wenn ich fern wäre? fragte sich David. Was
soll ich thun, was ist das Rechte? Käme nicht ihr Blut auf mein Haupt,
wenn ich der Grund wäre, sie hier festzuhalten? Was soll ich thun?

In tiefem Sinnen ging er die Straße hinab.

Gehe gerade zu, sieh dich nicht um! rief eine Stimme über den Weg.

David blieb stehen.

Das ist Bath-Koi,*) die Tochter der Stimme! sagte er ehrfurchtsvoll.
So soll es sein.^





») Eine von Gott gesandte Stimme.
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[0116] David Beronski. Es braucht niemand darum zu wissen. Komme zu mir, lehre ihn dort. Meine Pferde stehen dir jederzeit zur Verfügung, ich kann dir stets eines ent¬ gegen schicken. Und irgend ein Buch werde ich schon finden. Die frühere Haus¬ hälterin meines Oheims war eine Deutsche, ich weiß, ihre Sachen sind noch da. Mit angstvoller Spannung hatte Rüben dem Gespräche der beiden jungen Männer gelauscht. Noch einmal erneuerte er seine Bitten, doch David versprach nur, es zu überlegen, was Alexei verstimmte. Ihm war jeder Zweifel fremd, und Furcht vor andrer Ansicht kannte er nicht. Verzweiflungsvoll warf sich Rüben ins Gras und weinte wie ein Kind, als sich die beiden Freunde trennten. Als David langsam in das Städtchen zurück ging, breitete die Dämmerung schon ihre Schwingen über die weite Ebene. Das tagsüber schlummernde Leben der Steppe erwachte. Zahllose Vögelrufe ertönten, und Schatten huschten über die Wiesen. Ehe David die enge Straße betrat, gerade vor dem Hause des Karaiten, blieb er stehen und sah sich noch einmal um. Am Horizonte lag eine Nebel¬ schicht, von der eben untergegangenen Sonne in ein Feuermeer verwandelt, als ob dort der Eingang in eine schönere Welt sei, deren Abglanz die Erde mit einem leuchtenden Schimmer verklärte. Noch einmal stiegen in Davids Herzen jene Wünsche und Hoffnungen empor, die er mit so viel Kampf und Anstrengung zur Ruhe verwiesen und die Alexeis Anblick und Gespräch wieder aus der Tiefe hervorgelockt hatte. Mit einem schweren Seufzer kehrte er sich endlich ab — hinter ihm stand Jeschka. Mit einer unterwürfigen Bewegung führte sie den Zipfel seines Kaftans an ihre Lippen. Du hast uns am letzten Sabbath wieder beschützt, ohne dich wären wir verloren, sagte sie, und ihre Augen hingen voll Bewunderung an seinem Antlitz. Möge uns dein Schutz nie fehlen! Ich bete jeden Abend für dich und danke dir in meinem Herzen jede Stunde des Tages. Möge der Segen des allmäch¬ tigen Gottes auf dir und deinem Hause ruhen! Dann legte sie noch einmal schüchtern ihre Hand auf seinen Arm, neigte sich und eilte in das Haus zurück. Wer würde sie schützen, wenn ich fern wäre? fragte sich David. Was soll ich thun, was ist das Rechte? Käme nicht ihr Blut auf mein Haupt, wenn ich der Grund wäre, sie hier festzuhalten? Was soll ich thun? In tiefem Sinnen ging er die Straße hinab. Gehe gerade zu, sieh dich nicht um! rief eine Stimme über den Weg. David blieb stehen. Das ist Bath-Koi,*) die Tochter der Stimme! sagte er ehrfurchtsvoll. So soll es sein.^ ») Eine von Gott gesandte Stimme.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/116>, abgerufen am 15.05.2024.