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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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David Bcronski,

und nicht wissen, wie man hineindringen kann? O, welch ein entsetzlicher Irr¬
tum ist unser ganzes Leben gewesen! Jetzt weiß ich, jetzt fühle ich, was ihr
mir angethan! Nein, nein, verzeihe mir! Ich will dir keine Vorwürfe macheu,
du meintest es gut, ihr wußtet es alle nicht besser, ihr wäret blind, wie ich!
Aber nun ich sehend geworden -- o, was soll ich thun? Was, was soll aus
mir werden?

Worüber klagst du, und wessen beschuldigst du die, denen du dein Leben
verdankst?

Die alte Frau war vor ihm zurückgewichen; jetzt bog sie sein Haupt
hinten über und blickte streng und forschend in sein bleiches, erregtes Gesicht.

Mutter, du weißt es! Ihr habt mir die Welt verschlossen, aber ich muß
fort! Ihr würdet mich uicht mehr unter euch dulden, und ich kann nicht mit
euch einen Weg gehen.

Deine Worte sind für mich ein leerer Schall, ich höre sie, aber ihr Sinn
ist mir verborgen. Was ist dir geschehen? sprich klar und deutlich, damit sich
mein Sinn nicht verwirre.

David erhob sich. Das Antlitz nach Westen, der sinkenden Sonne zuge¬
wendet, sodaß der rötliche Schimmer sein bleiches Gesicht verklärte, sagte er mit
leiser, aber fester und in der Stille ganz deutlicher Stimme, die klar zu Jeschka
hinüberdrang: Ich habe das Heil gefunden! Der Gott Israels hat sich mir
geoffenbart, der Christ Gottes, ans den ihr noch wartet, er ist mir --

Ein Schrei Rebekkas unterbrach ihn. Sie legte die Hand auf seinen Mund
und stand zitternd, kaum fähig sich zu halten, vor ihm.

Wer hat dich verführt? Jener Ungläubige hat dein argloses Gemüt be-
thört und dich beredet, dem Glauben deiner Väter untreu zu werdeu! In ihrem
Herzen stritten Schreck, Zorn und Angst. Du bist ein Kind und weißt
nicht, was du redest. Wer hat dir hier von der Lehre der Edomiter erzählt?
Sprich! Sagte dir jener davon? -- sie deutete in der Richtung von Alexeis
Gehöft.

David zog das kleine, schwarze Buch hervor und küßte es inbrünstig.

Das hier war mein Lehrmeister! Mutter, lies dies Buch, ich will es dir
übersetzen, und dann siehe, ob dein Sohn nicht recht that, dem Zeugnis dieser
Schriften zu glauben.

Im Nu hatte die alte Frau das Buch ergriffen, und ehe David ihre
Absicht erraten konnte, eilte sie mit der Schnelligkeit ihrer jungen Jahre an
den Teich und warf es mit einem weiten Schwunge hinein. Mit leisem, trium-
phirendem Lachen blieb sie dann stehen.

Jeschka war aufgefahren, ihr Blick hing unverwandt an Davids verstörtem
Antlitze.

Es ist nicht mein, es gehört Alexei! rief er.

Sind die Beronskis nicht reich genug, dem Ungläubigen hundert solcher


David Bcronski,

und nicht wissen, wie man hineindringen kann? O, welch ein entsetzlicher Irr¬
tum ist unser ganzes Leben gewesen! Jetzt weiß ich, jetzt fühle ich, was ihr
mir angethan! Nein, nein, verzeihe mir! Ich will dir keine Vorwürfe macheu,
du meintest es gut, ihr wußtet es alle nicht besser, ihr wäret blind, wie ich!
Aber nun ich sehend geworden — o, was soll ich thun? Was, was soll aus
mir werden?

Worüber klagst du, und wessen beschuldigst du die, denen du dein Leben
verdankst?

Die alte Frau war vor ihm zurückgewichen; jetzt bog sie sein Haupt
hinten über und blickte streng und forschend in sein bleiches, erregtes Gesicht.

Mutter, du weißt es! Ihr habt mir die Welt verschlossen, aber ich muß
fort! Ihr würdet mich uicht mehr unter euch dulden, und ich kann nicht mit
euch einen Weg gehen.

Deine Worte sind für mich ein leerer Schall, ich höre sie, aber ihr Sinn
ist mir verborgen. Was ist dir geschehen? sprich klar und deutlich, damit sich
mein Sinn nicht verwirre.

David erhob sich. Das Antlitz nach Westen, der sinkenden Sonne zuge¬
wendet, sodaß der rötliche Schimmer sein bleiches Gesicht verklärte, sagte er mit
leiser, aber fester und in der Stille ganz deutlicher Stimme, die klar zu Jeschka
hinüberdrang: Ich habe das Heil gefunden! Der Gott Israels hat sich mir
geoffenbart, der Christ Gottes, ans den ihr noch wartet, er ist mir —

Ein Schrei Rebekkas unterbrach ihn. Sie legte die Hand auf seinen Mund
und stand zitternd, kaum fähig sich zu halten, vor ihm.

Wer hat dich verführt? Jener Ungläubige hat dein argloses Gemüt be-
thört und dich beredet, dem Glauben deiner Väter untreu zu werdeu! In ihrem
Herzen stritten Schreck, Zorn und Angst. Du bist ein Kind und weißt
nicht, was du redest. Wer hat dir hier von der Lehre der Edomiter erzählt?
Sprich! Sagte dir jener davon? — sie deutete in der Richtung von Alexeis
Gehöft.

David zog das kleine, schwarze Buch hervor und küßte es inbrünstig.

Das hier war mein Lehrmeister! Mutter, lies dies Buch, ich will es dir
übersetzen, und dann siehe, ob dein Sohn nicht recht that, dem Zeugnis dieser
Schriften zu glauben.

Im Nu hatte die alte Frau das Buch ergriffen, und ehe David ihre
Absicht erraten konnte, eilte sie mit der Schnelligkeit ihrer jungen Jahre an
den Teich und warf es mit einem weiten Schwunge hinein. Mit leisem, trium-
phirendem Lachen blieb sie dann stehen.

Jeschka war aufgefahren, ihr Blick hing unverwandt an Davids verstörtem
Antlitze.

Es ist nicht mein, es gehört Alexei! rief er.

Sind die Beronskis nicht reich genug, dem Ungläubigen hundert solcher


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[0160] David Bcronski, und nicht wissen, wie man hineindringen kann? O, welch ein entsetzlicher Irr¬ tum ist unser ganzes Leben gewesen! Jetzt weiß ich, jetzt fühle ich, was ihr mir angethan! Nein, nein, verzeihe mir! Ich will dir keine Vorwürfe macheu, du meintest es gut, ihr wußtet es alle nicht besser, ihr wäret blind, wie ich! Aber nun ich sehend geworden — o, was soll ich thun? Was, was soll aus mir werden? Worüber klagst du, und wessen beschuldigst du die, denen du dein Leben verdankst? Die alte Frau war vor ihm zurückgewichen; jetzt bog sie sein Haupt hinten über und blickte streng und forschend in sein bleiches, erregtes Gesicht. Mutter, du weißt es! Ihr habt mir die Welt verschlossen, aber ich muß fort! Ihr würdet mich uicht mehr unter euch dulden, und ich kann nicht mit euch einen Weg gehen. Deine Worte sind für mich ein leerer Schall, ich höre sie, aber ihr Sinn ist mir verborgen. Was ist dir geschehen? sprich klar und deutlich, damit sich mein Sinn nicht verwirre. David erhob sich. Das Antlitz nach Westen, der sinkenden Sonne zuge¬ wendet, sodaß der rötliche Schimmer sein bleiches Gesicht verklärte, sagte er mit leiser, aber fester und in der Stille ganz deutlicher Stimme, die klar zu Jeschka hinüberdrang: Ich habe das Heil gefunden! Der Gott Israels hat sich mir geoffenbart, der Christ Gottes, ans den ihr noch wartet, er ist mir — Ein Schrei Rebekkas unterbrach ihn. Sie legte die Hand auf seinen Mund und stand zitternd, kaum fähig sich zu halten, vor ihm. Wer hat dich verführt? Jener Ungläubige hat dein argloses Gemüt be- thört und dich beredet, dem Glauben deiner Väter untreu zu werdeu! In ihrem Herzen stritten Schreck, Zorn und Angst. Du bist ein Kind und weißt nicht, was du redest. Wer hat dir hier von der Lehre der Edomiter erzählt? Sprich! Sagte dir jener davon? — sie deutete in der Richtung von Alexeis Gehöft. David zog das kleine, schwarze Buch hervor und küßte es inbrünstig. Das hier war mein Lehrmeister! Mutter, lies dies Buch, ich will es dir übersetzen, und dann siehe, ob dein Sohn nicht recht that, dem Zeugnis dieser Schriften zu glauben. Im Nu hatte die alte Frau das Buch ergriffen, und ehe David ihre Absicht erraten konnte, eilte sie mit der Schnelligkeit ihrer jungen Jahre an den Teich und warf es mit einem weiten Schwunge hinein. Mit leisem, trium- phirendem Lachen blieb sie dann stehen. Jeschka war aufgefahren, ihr Blick hing unverwandt an Davids verstörtem Antlitze. Es ist nicht mein, es gehört Alexei! rief er. Sind die Beronskis nicht reich genug, dem Ungläubigen hundert solcher

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/160>, abgerufen am 16.06.2024.