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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der deutsche Bund.

bestimmend gewesen ist: Mißtrauen, Mißgunst, Eifersucht und Haß gegen Preußen,
Angst vor dem Erwachen des deutsch-nationalen Geistes, der in diesem Staate
seinen Stützpunkt und seine Pflege fand.

Diese Haltung Österreichs verhinderte es auch, daß die dritte Bedingung
erfüllt wurde, ohne welche die Neuschaffung eines deutschen Reiches unmöglich
war. Sie hinderte ein thatkräftiges und rücksichtsloses Vorgehen gegen die
Fürsten des Rheinbundes. Fürst Metternich hatte mit Baiern deu Vertrag zu
Ried abgeschlossen, worin diesem, nachdem die gegenseitigen Gebietsaustauschungeu
geregelt waren, der volle Genuß seiner Souveränität zugesichert wurde. Ganz
ähnliche Verträge wie der von Ried wurden dann abgeschlossen mit Württem¬
berg (2. November), mit Baden (20. November), mit Hessen und mit Nassau
(23. November), mit Sachsen-Koburg (24. November) u. s. w. Österreich sicherte
also diesen Fürsten ihre souveränen Kronen, die annektirten und einverleibten
Gebiete (z. B. Baiern Ansbach und Baireuth) und alle die übrigen Vorteile,
welche ihnen ihre vaterlandsfeindliche und verräterische Parteinahme für Na¬
poleon verschafft hatte. Österreich verhinderte es, daß auch nur an einem ein¬
zigen dieser Fürsten ein warnendes Beispiel vollzogen wurde, daß die wohlver¬
diente Strafe, die in dem Aufrufe von Kalisch angedroht war, auch nur an
einem einzigen vollstreckt wurde. Österreich litt es nicht einmal, daß der König
von Sachsen, der nach der Leipziger Schlacht gefangen genommen war, entthront
wurde; auf die Gefahr eines Weltkrieges hin setzte es durch, daß diesem Mon¬
archen wenigstens die Hälfte seines Landes zurückgegeben wurde. Und warum
das alles? Etwa aus Gerechtigkeitsgefühl, Hochherzigkeit und Edelmut? Nein,
nur aus Haß gegen Preußen, nur um das Haus Hohenzollern niederzuhalten,
nur um zu verhindern, daß der Staat Friedrichs des Großen, der Staat der
Befreiungskriege an die Spitze der deutschen Nation trete.

So vollständig verfahren nach jeder Richtung hin war bereits die deutsche
Frage, als jener berüchtigte Diplomatenkongreß in Wien anfing, sich amtlich
mit der Neuschaffung einer politischen Verfassung für Deutschland zu beschäftigen.
Jener Kongreß, über deu schon im Anfange der witzige Prinz von Ligne spottete:
1,6 von^roh ÄÄNLS, it As irmrono hat in jeder Beziehung nicht viel
geleistet; eine schöpferische That irgend welcher Art ist ihm überhaupt nicht ge¬
lungen. Das politische Machwerk aber, mit welchem Metternich, eifrigst unterstützt
von Tcilleyrand, Castlereagh und dem ganzen Schwärme mittel- und klein¬
staatlicher Diplomaten, das arme, mißhandelte, todesmatte Deutschland beglückte,
ist wohl das allererbärmlichstc, was die Weltgeschichte in Bezug auf Ver¬
fassung und politisches Leben einer großen Nation aufweisen kann.

Allerdings geht schon aus den vorstehenden Ausführungen hervor, warum
über die Wiedererrichtung eines deutschen Reiches eigentlich niemals ernsthaft
verhandelt worden ist, und die oft aufgeworfene Frage, warum die Verheißungen
des Kalischer Ausrufs niemals erfüllt worden sind, beantwortet sich einfach


Der deutsche Bund.

bestimmend gewesen ist: Mißtrauen, Mißgunst, Eifersucht und Haß gegen Preußen,
Angst vor dem Erwachen des deutsch-nationalen Geistes, der in diesem Staate
seinen Stützpunkt und seine Pflege fand.

Diese Haltung Österreichs verhinderte es auch, daß die dritte Bedingung
erfüllt wurde, ohne welche die Neuschaffung eines deutschen Reiches unmöglich
war. Sie hinderte ein thatkräftiges und rücksichtsloses Vorgehen gegen die
Fürsten des Rheinbundes. Fürst Metternich hatte mit Baiern deu Vertrag zu
Ried abgeschlossen, worin diesem, nachdem die gegenseitigen Gebietsaustauschungeu
geregelt waren, der volle Genuß seiner Souveränität zugesichert wurde. Ganz
ähnliche Verträge wie der von Ried wurden dann abgeschlossen mit Württem¬
berg (2. November), mit Baden (20. November), mit Hessen und mit Nassau
(23. November), mit Sachsen-Koburg (24. November) u. s. w. Österreich sicherte
also diesen Fürsten ihre souveränen Kronen, die annektirten und einverleibten
Gebiete (z. B. Baiern Ansbach und Baireuth) und alle die übrigen Vorteile,
welche ihnen ihre vaterlandsfeindliche und verräterische Parteinahme für Na¬
poleon verschafft hatte. Österreich verhinderte es, daß auch nur an einem ein¬
zigen dieser Fürsten ein warnendes Beispiel vollzogen wurde, daß die wohlver¬
diente Strafe, die in dem Aufrufe von Kalisch angedroht war, auch nur an
einem einzigen vollstreckt wurde. Österreich litt es nicht einmal, daß der König
von Sachsen, der nach der Leipziger Schlacht gefangen genommen war, entthront
wurde; auf die Gefahr eines Weltkrieges hin setzte es durch, daß diesem Mon¬
archen wenigstens die Hälfte seines Landes zurückgegeben wurde. Und warum
das alles? Etwa aus Gerechtigkeitsgefühl, Hochherzigkeit und Edelmut? Nein,
nur aus Haß gegen Preußen, nur um das Haus Hohenzollern niederzuhalten,
nur um zu verhindern, daß der Staat Friedrichs des Großen, der Staat der
Befreiungskriege an die Spitze der deutschen Nation trete.

So vollständig verfahren nach jeder Richtung hin war bereits die deutsche
Frage, als jener berüchtigte Diplomatenkongreß in Wien anfing, sich amtlich
mit der Neuschaffung einer politischen Verfassung für Deutschland zu beschäftigen.
Jener Kongreß, über deu schon im Anfange der witzige Prinz von Ligne spottete:
1,6 von^roh ÄÄNLS, it As irmrono hat in jeder Beziehung nicht viel
geleistet; eine schöpferische That irgend welcher Art ist ihm überhaupt nicht ge¬
lungen. Das politische Machwerk aber, mit welchem Metternich, eifrigst unterstützt
von Tcilleyrand, Castlereagh und dem ganzen Schwärme mittel- und klein¬
staatlicher Diplomaten, das arme, mißhandelte, todesmatte Deutschland beglückte,
ist wohl das allererbärmlichstc, was die Weltgeschichte in Bezug auf Ver¬
fassung und politisches Leben einer großen Nation aufweisen kann.

Allerdings geht schon aus den vorstehenden Ausführungen hervor, warum
über die Wiedererrichtung eines deutschen Reiches eigentlich niemals ernsthaft
verhandelt worden ist, und die oft aufgeworfene Frage, warum die Verheißungen
des Kalischer Ausrufs niemals erfüllt worden sind, beantwortet sich einfach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/191>, abgerufen am 15.06.2024.