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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Der Arzt und der Kranke.
von einem Arzte.

as Verhältnis zwischen dem Arzte und dem Kranken zeigt ein
sehr verschiedenes Gepräge: je nach der Dauer, nach der Gunst
oder Ungunst der Verhältnisse, vor allem aber nach dem Wesen
der beteiligten Personen kann es sich von kühler, geschäftlicher
Auffassung durch freundliches Interesse hindurch bis zu der Höhe
entwickeln, wo tiefes gegenseitiges Verständnis und felsenfestes Vertrauen beide
Teile mit einander verbindet. Giebt es nicht ein einzig richtiges Verhältnis?
In der Vorstellung wohl, allein in der Wirklichkeit wird es durch eine Menge
äußerer Umstünde bedingt und in gewisse Grenzen gewiesen, sodaß es sich
innerhalb derselben oft nur in unvollkommenem Maße ausbilden kann. So
wird ein Reisender, der wegen einer plötzlichen Unpäßlichkeit den Rat eines
Arztes begehrt, zufrieden sein, wenn sein Fall medizinisch richtig angefaßt
worden ist. Beide sehen sich in ihrem Leben vielleicht nie wieder. Festere
Beziehungen bilden sich zwischen dem Arzte einer Krankenkasse und deren Mit¬
gliedern, aber die Art der geschäftlichen Abmachung steht nur zu oft einer
erfreulicheren Entwicklung entgegen. Die Verabredung einer bestimmten Ent¬
schädigung für die im voraus nicht bestimmbaren ärztlichen Leistungen begünstigt
auf beiden Seiten die unzufriedene Vorstellung, übervorteilt zu werden. Die
Kasse hat das Bestreben, das Honorar herunterzudrücken, während die Mit¬
glieder sich auf Grund der gezählten ein oder zwei Mark das ganze Jahr für
berechtigt halten, die Hilfe des Kassenarztes ausgiebig und oft recht rücksichtslos
in Anspruch zu nehmen. Wie einseitig oft nur der Vorteil der Kasse ins Auge
gefaßt wird, lehrte mich folgendes Vorkommnis in einer Krankenkassensitzung.
Sämtliche Ärzte hatten die Übernahme der Behandlung der Kassenmitglieder
wegen zu geringer Besoldung abgelehnt, nnr ein Spottvogel erbot sich, auf
jegliches Honorar zu verzichten, wenn man ihm die baar ausgelegten Fuhr-
kostcn für die Lcmdbcsuche erstatten wolle. Dieser Vorschlag wurde ergötz¬
licherweise auf der andern Seite ernst genommen und -- zurückgewiesen,
weil das für die Kasse unerschwinglich sein würde. Man appellirt an die
Humanität der Ärzte. Warum auch nicht? Haben wir doch von hoher
Stelle das bittere Urteil hören müssen, das Zusammenwirken der Ärzte zur
Erzielung einer auskömmlichen Besoldung von selten der Krankenkassen sei
mit den idealen Pflichten unsers Berufes nicht vereinbar. Hier ist der Angel¬
punkt. Humanität, menschliches Mitgefühl und opferfreudiges Handeln sind


Grenzboten I. 1333. 3
Der Arzt und der Kranke.
von einem Arzte.

as Verhältnis zwischen dem Arzte und dem Kranken zeigt ein
sehr verschiedenes Gepräge: je nach der Dauer, nach der Gunst
oder Ungunst der Verhältnisse, vor allem aber nach dem Wesen
der beteiligten Personen kann es sich von kühler, geschäftlicher
Auffassung durch freundliches Interesse hindurch bis zu der Höhe
entwickeln, wo tiefes gegenseitiges Verständnis und felsenfestes Vertrauen beide
Teile mit einander verbindet. Giebt es nicht ein einzig richtiges Verhältnis?
In der Vorstellung wohl, allein in der Wirklichkeit wird es durch eine Menge
äußerer Umstünde bedingt und in gewisse Grenzen gewiesen, sodaß es sich
innerhalb derselben oft nur in unvollkommenem Maße ausbilden kann. So
wird ein Reisender, der wegen einer plötzlichen Unpäßlichkeit den Rat eines
Arztes begehrt, zufrieden sein, wenn sein Fall medizinisch richtig angefaßt
worden ist. Beide sehen sich in ihrem Leben vielleicht nie wieder. Festere
Beziehungen bilden sich zwischen dem Arzte einer Krankenkasse und deren Mit¬
gliedern, aber die Art der geschäftlichen Abmachung steht nur zu oft einer
erfreulicheren Entwicklung entgegen. Die Verabredung einer bestimmten Ent¬
schädigung für die im voraus nicht bestimmbaren ärztlichen Leistungen begünstigt
auf beiden Seiten die unzufriedene Vorstellung, übervorteilt zu werden. Die
Kasse hat das Bestreben, das Honorar herunterzudrücken, während die Mit¬
glieder sich auf Grund der gezählten ein oder zwei Mark das ganze Jahr für
berechtigt halten, die Hilfe des Kassenarztes ausgiebig und oft recht rücksichtslos
in Anspruch zu nehmen. Wie einseitig oft nur der Vorteil der Kasse ins Auge
gefaßt wird, lehrte mich folgendes Vorkommnis in einer Krankenkassensitzung.
Sämtliche Ärzte hatten die Übernahme der Behandlung der Kassenmitglieder
wegen zu geringer Besoldung abgelehnt, nnr ein Spottvogel erbot sich, auf
jegliches Honorar zu verzichten, wenn man ihm die baar ausgelegten Fuhr-
kostcn für die Lcmdbcsuche erstatten wolle. Dieser Vorschlag wurde ergötz¬
licherweise auf der andern Seite ernst genommen und — zurückgewiesen,
weil das für die Kasse unerschwinglich sein würde. Man appellirt an die
Humanität der Ärzte. Warum auch nicht? Haben wir doch von hoher
Stelle das bittere Urteil hören müssen, das Zusammenwirken der Ärzte zur
Erzielung einer auskömmlichen Besoldung von selten der Krankenkassen sei
mit den idealen Pflichten unsers Berufes nicht vereinbar. Hier ist der Angel¬
punkt. Humanität, menschliches Mitgefühl und opferfreudiges Handeln sind


Grenzboten I. 1333. 3
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[0025] Der Arzt und der Kranke. von einem Arzte. as Verhältnis zwischen dem Arzte und dem Kranken zeigt ein sehr verschiedenes Gepräge: je nach der Dauer, nach der Gunst oder Ungunst der Verhältnisse, vor allem aber nach dem Wesen der beteiligten Personen kann es sich von kühler, geschäftlicher Auffassung durch freundliches Interesse hindurch bis zu der Höhe entwickeln, wo tiefes gegenseitiges Verständnis und felsenfestes Vertrauen beide Teile mit einander verbindet. Giebt es nicht ein einzig richtiges Verhältnis? In der Vorstellung wohl, allein in der Wirklichkeit wird es durch eine Menge äußerer Umstünde bedingt und in gewisse Grenzen gewiesen, sodaß es sich innerhalb derselben oft nur in unvollkommenem Maße ausbilden kann. So wird ein Reisender, der wegen einer plötzlichen Unpäßlichkeit den Rat eines Arztes begehrt, zufrieden sein, wenn sein Fall medizinisch richtig angefaßt worden ist. Beide sehen sich in ihrem Leben vielleicht nie wieder. Festere Beziehungen bilden sich zwischen dem Arzte einer Krankenkasse und deren Mit¬ gliedern, aber die Art der geschäftlichen Abmachung steht nur zu oft einer erfreulicheren Entwicklung entgegen. Die Verabredung einer bestimmten Ent¬ schädigung für die im voraus nicht bestimmbaren ärztlichen Leistungen begünstigt auf beiden Seiten die unzufriedene Vorstellung, übervorteilt zu werden. Die Kasse hat das Bestreben, das Honorar herunterzudrücken, während die Mit¬ glieder sich auf Grund der gezählten ein oder zwei Mark das ganze Jahr für berechtigt halten, die Hilfe des Kassenarztes ausgiebig und oft recht rücksichtslos in Anspruch zu nehmen. Wie einseitig oft nur der Vorteil der Kasse ins Auge gefaßt wird, lehrte mich folgendes Vorkommnis in einer Krankenkassensitzung. Sämtliche Ärzte hatten die Übernahme der Behandlung der Kassenmitglieder wegen zu geringer Besoldung abgelehnt, nnr ein Spottvogel erbot sich, auf jegliches Honorar zu verzichten, wenn man ihm die baar ausgelegten Fuhr- kostcn für die Lcmdbcsuche erstatten wolle. Dieser Vorschlag wurde ergötz¬ licherweise auf der andern Seite ernst genommen und — zurückgewiesen, weil das für die Kasse unerschwinglich sein würde. Man appellirt an die Humanität der Ärzte. Warum auch nicht? Haben wir doch von hoher Stelle das bittere Urteil hören müssen, das Zusammenwirken der Ärzte zur Erzielung einer auskömmlichen Besoldung von selten der Krankenkassen sei mit den idealen Pflichten unsers Berufes nicht vereinbar. Hier ist der Angel¬ punkt. Humanität, menschliches Mitgefühl und opferfreudiges Handeln sind Grenzboten I. 1333. 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/25>, abgerufen am 15.05.2024.