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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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ver deutsche Bund.

entweder ohne Widerspruch der österreichischen Leitung folgte, oder wenn es sich
stets von Österreich und seinem Anhange "majorisiren" ließ. Und dies war
nach den Plänen Metternichs und der Wiener Hofburg eben der Zweck jenes
ganzen diplomatischen Gaukelspiels in der Eschenheimer Gasse der alten Krönungs¬
stadt am Main.

Den Vorsitz in der Bundesversammlung führte Österreich, dessen Gesandter
daher auch der Bundespräsidialgesnndte hieß. Er hatte die formelle Leitung
der Bundesangelegenheiten, nahm z. B. die Vollmachten der Gesandten entgegen,
ebenso die Eingaben und Anträge an den Bundestag, berannte die Sitzungen
an, vertagte die Versammlung, leitete die Beratung und Abstimmung u. s. w.
Wichtiger war jedoch, daß ihm bei Stimmengleichheit die entscheidende Stimme
zustand. Außerdem führte er die Aufsicht über die Baulichkeiten, die Institute
und Kassen des Bundes; auch stand unter ihm das Unterpersonal der Bundes¬
versammlung. Man sieht, daß dieser Vorsitz nicht nur ein Ehrenamt ohne poli¬
tische Bedeutung war, und daß ein geschickter Mann, der diese Rechte gut zu
benutzen verstand, wenn auch nicht alles durchsetzen, so doch alles hindern konnte,
und das war für die österreichische Politik wesentlich.

Dem deutschen Bunde stand also, wenigstens nach den Staatsrechtslehrern
jeuer Zeit, die sogenannte Bundesgewalt zu, angeblich "eine über ganz Deutsch¬
land sich erstreckende höchste Gewalt, welche alle Regierungsrechte der Souve¬
ränität in sich enthält." Darnach hatte der Bund eine gesetzgebende, eine ober¬
aufsehende, eine vollziehende, eine richterliche, eine Polizei-, eine Finanz-, eine
Militär- und eine Nepräsentativgewalt. Zur Ausübung dieser verschiednen
Arten der Bundesgewalt gab es zunächst eine Anzahl (zehn) von Buudestags-
kommissionen, darunter eine Kommission zur Vorbereitung allgemeiner Gesetze,
eine Kommission zur Vollziehung des Reichsdeputations-Hauptschlusses, eine
Kommission zum Versuche der Güte in Streitigkeiten der Bundesglieder unter¬
einander, eine Exekutivnskommission n. s. w. Es verlohnt aber nicht, auf ihre
Zusammensetzung einzugehen; ihre Tätigkeit war im ganzen gleich Null.

Mit diesen Kommissionen nicht zu verwechseln sind die sogenannten Bundes¬
kommissionen; es gab drei Arten davon, nämlich die Militärzentralkommission zu
Frankfurt a. M., die Zentralkommissioucn zur Untersuchung demagogischer Umtriebe,
besonders die zu Mainz, und drittens die Archivkommission zur Verwahrung
des Reichskammergerichtsarchivs zu Wetzlar. Die Wirksamkeit der ersten äußerte
sich meist auf dem Papiere, da dann aber auch mit gebührender Gründlichkeit;
die letzte hat niemals von sich reden gemacht, darum soll es auch hier nicht
geschehen. Welch unselige Thätigkeit dagegen die zweite Art dieser Kommissionen
ausgeübt, wie sie jeglichen Aufschwung der Geister gelähmt und gehindert, wie
viele Existenzen, namentlich von begabten jüngern Männern sie, geknickt oder
vernichtet hat, ist zur Genüge bekannt; man lese darüber Treitschkes meister¬
hafte Schilderung.


ver deutsche Bund.

entweder ohne Widerspruch der österreichischen Leitung folgte, oder wenn es sich
stets von Österreich und seinem Anhange „majorisiren" ließ. Und dies war
nach den Plänen Metternichs und der Wiener Hofburg eben der Zweck jenes
ganzen diplomatischen Gaukelspiels in der Eschenheimer Gasse der alten Krönungs¬
stadt am Main.

Den Vorsitz in der Bundesversammlung führte Österreich, dessen Gesandter
daher auch der Bundespräsidialgesnndte hieß. Er hatte die formelle Leitung
der Bundesangelegenheiten, nahm z. B. die Vollmachten der Gesandten entgegen,
ebenso die Eingaben und Anträge an den Bundestag, berannte die Sitzungen
an, vertagte die Versammlung, leitete die Beratung und Abstimmung u. s. w.
Wichtiger war jedoch, daß ihm bei Stimmengleichheit die entscheidende Stimme
zustand. Außerdem führte er die Aufsicht über die Baulichkeiten, die Institute
und Kassen des Bundes; auch stand unter ihm das Unterpersonal der Bundes¬
versammlung. Man sieht, daß dieser Vorsitz nicht nur ein Ehrenamt ohne poli¬
tische Bedeutung war, und daß ein geschickter Mann, der diese Rechte gut zu
benutzen verstand, wenn auch nicht alles durchsetzen, so doch alles hindern konnte,
und das war für die österreichische Politik wesentlich.

Dem deutschen Bunde stand also, wenigstens nach den Staatsrechtslehrern
jeuer Zeit, die sogenannte Bundesgewalt zu, angeblich „eine über ganz Deutsch¬
land sich erstreckende höchste Gewalt, welche alle Regierungsrechte der Souve¬
ränität in sich enthält." Darnach hatte der Bund eine gesetzgebende, eine ober¬
aufsehende, eine vollziehende, eine richterliche, eine Polizei-, eine Finanz-, eine
Militär- und eine Nepräsentativgewalt. Zur Ausübung dieser verschiednen
Arten der Bundesgewalt gab es zunächst eine Anzahl (zehn) von Buudestags-
kommissionen, darunter eine Kommission zur Vorbereitung allgemeiner Gesetze,
eine Kommission zur Vollziehung des Reichsdeputations-Hauptschlusses, eine
Kommission zum Versuche der Güte in Streitigkeiten der Bundesglieder unter¬
einander, eine Exekutivnskommission n. s. w. Es verlohnt aber nicht, auf ihre
Zusammensetzung einzugehen; ihre Tätigkeit war im ganzen gleich Null.

Mit diesen Kommissionen nicht zu verwechseln sind die sogenannten Bundes¬
kommissionen; es gab drei Arten davon, nämlich die Militärzentralkommission zu
Frankfurt a. M., die Zentralkommissioucn zur Untersuchung demagogischer Umtriebe,
besonders die zu Mainz, und drittens die Archivkommission zur Verwahrung
des Reichskammergerichtsarchivs zu Wetzlar. Die Wirksamkeit der ersten äußerte
sich meist auf dem Papiere, da dann aber auch mit gebührender Gründlichkeit;
die letzte hat niemals von sich reden gemacht, darum soll es auch hier nicht
geschehen. Welch unselige Thätigkeit dagegen die zweite Art dieser Kommissionen
ausgeübt, wie sie jeglichen Aufschwung der Geister gelähmt und gehindert, wie
viele Existenzen, namentlich von begabten jüngern Männern sie, geknickt oder
vernichtet hat, ist zur Genüge bekannt; man lese darüber Treitschkes meister¬
hafte Schilderung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/292>, abgerufen am 15.06.2024.