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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

Nun kommt ihr Anatu, die Mutter, zu Hilfe und sendet dem Dubar eine
aussatzartige Krankheit; und zugleich verfällt Eabani dem Tode, worüber Dubar
sich in Weinen und lautem Wehklagen ergeht. Er selbst hofft Heilung seines
Leidens von seinem Ahn Hasisathra und wandert daher fort, durch die Sand¬
wüste hindurch, bis ans Ende der Erde, wo riesige Menschenungetüme Hausen,
deren Leib zur Hälfte der eines Skorpions ist; sie bewachen täglich den Auf¬
gang der Sonne und stehen mit den Füßen in der Hölle, während ihr Haupt
bis zum Himmel reicht. Zittern und Furcht überkommt den wandernden Dubar
angesichts der "vor Schrecklichkeit glühenden Gestalten."

Dennoch teilt er ihnen sein Vorhaben, den Hasisathra zu besuchen, mit;
die Ungeheuer zeigen ihm den Weg, sodaß er nach abermaliger Wanderung bei
der Grenze der Wohnung der Seligen anlangt. Dort wachsen Bänme, an
deren Zweigen Ruhme und Smaragde hangen statt der Früchte. Durch den
Hain hindurch gelangt Dubar nach mehreren Abenteuern an das Wasser, welches
die Wohnungen der Seligen umgiebt. UrHebel oder Urhamsi, der Bootsmann,
versieht den Fährdienst. Nach längerm Zwiegespräch mit diesem besteigt Dubar
den Kahn und fährt zum andern Ufer hinüber, wo Hasisathra bereits seiner
wartet. Auf seine Bitte um Heilung erhält Dubar zunächst eine ausweichende
Antwort; im Laufe des Gespräches fragt er seinen Ahn, wie er die Unsterblich¬
keit erlangt habe, worauf ihm dieser die Geschichte von der Sintflut erzählt.

Auf den ersten Blick scheint diese Episode zusammenhangslos und will¬
kürlich in die Sage eingefügt zu sein. Indessen ist das nicht der Fall; der
Grund ist ein innerlicher und ergiebt sich aus der naturmythischen Deutung der
Sage. Zum bessern Verständnis sei es daher gestattet, zuvor eben diese Deutung
der kurz zu Ende zu führenden Sage festzustellen, um dann den Sintflut¬
bericht für sich zu behandeln.

Nachdem Hasisathra seine Erzählung von der großen Flut beendet hat,
befiehlt er dem Fährmann, seinen Nachkommen ins Wasser zu tauchen, wodurch
dessen Leib, vom Aussatz gereinigt, neu verjüngt und gesund wird. Dubar
kehrt nun nach Ereck zurück und stellt zum zweiten male eine große Totenklage
um seineu Freund Eabani an: "Jsdubar über seinen Freund Eabani bitterlich
wehklagte und warf sich nieder auf dem Boden: ich hatte kein Urteil wie
Eabani; Schwachheit zog in meine Seele; Tod fürchtete ich und legte mich aus
den Boden. Um den Rat des Hasisathra, des Sohnes Ubaratutus, machte ich
mich auf den Weg, und freudevoll ging ich. In die Nachbarschaft der Berge
ging ich bei Nacht; einen Traum sah ich und fürchtete mich. Ich fiel auf mein
Angesicht und betete zum Gotte Sir; vor die Götter kam mein Feder, und sie
sandten mir Frieden."

Durch Dubars Bitten gerührt, befiehlt Gott Ea, Eabauis Vater, daß die
Seele seines Sohnes von der Unterwelt in die Wohnung der Seligen empor¬
steigen soll. Den Schluß der Erzählung bildet dann die Beschreibung von


Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

Nun kommt ihr Anatu, die Mutter, zu Hilfe und sendet dem Dubar eine
aussatzartige Krankheit; und zugleich verfällt Eabani dem Tode, worüber Dubar
sich in Weinen und lautem Wehklagen ergeht. Er selbst hofft Heilung seines
Leidens von seinem Ahn Hasisathra und wandert daher fort, durch die Sand¬
wüste hindurch, bis ans Ende der Erde, wo riesige Menschenungetüme Hausen,
deren Leib zur Hälfte der eines Skorpions ist; sie bewachen täglich den Auf¬
gang der Sonne und stehen mit den Füßen in der Hölle, während ihr Haupt
bis zum Himmel reicht. Zittern und Furcht überkommt den wandernden Dubar
angesichts der „vor Schrecklichkeit glühenden Gestalten."

Dennoch teilt er ihnen sein Vorhaben, den Hasisathra zu besuchen, mit;
die Ungeheuer zeigen ihm den Weg, sodaß er nach abermaliger Wanderung bei
der Grenze der Wohnung der Seligen anlangt. Dort wachsen Bänme, an
deren Zweigen Ruhme und Smaragde hangen statt der Früchte. Durch den
Hain hindurch gelangt Dubar nach mehreren Abenteuern an das Wasser, welches
die Wohnungen der Seligen umgiebt. UrHebel oder Urhamsi, der Bootsmann,
versieht den Fährdienst. Nach längerm Zwiegespräch mit diesem besteigt Dubar
den Kahn und fährt zum andern Ufer hinüber, wo Hasisathra bereits seiner
wartet. Auf seine Bitte um Heilung erhält Dubar zunächst eine ausweichende
Antwort; im Laufe des Gespräches fragt er seinen Ahn, wie er die Unsterblich¬
keit erlangt habe, worauf ihm dieser die Geschichte von der Sintflut erzählt.

Auf den ersten Blick scheint diese Episode zusammenhangslos und will¬
kürlich in die Sage eingefügt zu sein. Indessen ist das nicht der Fall; der
Grund ist ein innerlicher und ergiebt sich aus der naturmythischen Deutung der
Sage. Zum bessern Verständnis sei es daher gestattet, zuvor eben diese Deutung
der kurz zu Ende zu führenden Sage festzustellen, um dann den Sintflut¬
bericht für sich zu behandeln.

Nachdem Hasisathra seine Erzählung von der großen Flut beendet hat,
befiehlt er dem Fährmann, seinen Nachkommen ins Wasser zu tauchen, wodurch
dessen Leib, vom Aussatz gereinigt, neu verjüngt und gesund wird. Dubar
kehrt nun nach Ereck zurück und stellt zum zweiten male eine große Totenklage
um seineu Freund Eabani an: „Jsdubar über seinen Freund Eabani bitterlich
wehklagte und warf sich nieder auf dem Boden: ich hatte kein Urteil wie
Eabani; Schwachheit zog in meine Seele; Tod fürchtete ich und legte mich aus
den Boden. Um den Rat des Hasisathra, des Sohnes Ubaratutus, machte ich
mich auf den Weg, und freudevoll ging ich. In die Nachbarschaft der Berge
ging ich bei Nacht; einen Traum sah ich und fürchtete mich. Ich fiel auf mein
Angesicht und betete zum Gotte Sir; vor die Götter kam mein Feder, und sie
sandten mir Frieden."

Durch Dubars Bitten gerührt, befiehlt Gott Ea, Eabauis Vater, daß die
Seele seines Sohnes von der Unterwelt in die Wohnung der Seligen empor¬
steigen soll. Den Schluß der Erzählung bildet dann die Beschreibung von


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[0343] Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht. Nun kommt ihr Anatu, die Mutter, zu Hilfe und sendet dem Dubar eine aussatzartige Krankheit; und zugleich verfällt Eabani dem Tode, worüber Dubar sich in Weinen und lautem Wehklagen ergeht. Er selbst hofft Heilung seines Leidens von seinem Ahn Hasisathra und wandert daher fort, durch die Sand¬ wüste hindurch, bis ans Ende der Erde, wo riesige Menschenungetüme Hausen, deren Leib zur Hälfte der eines Skorpions ist; sie bewachen täglich den Auf¬ gang der Sonne und stehen mit den Füßen in der Hölle, während ihr Haupt bis zum Himmel reicht. Zittern und Furcht überkommt den wandernden Dubar angesichts der „vor Schrecklichkeit glühenden Gestalten." Dennoch teilt er ihnen sein Vorhaben, den Hasisathra zu besuchen, mit; die Ungeheuer zeigen ihm den Weg, sodaß er nach abermaliger Wanderung bei der Grenze der Wohnung der Seligen anlangt. Dort wachsen Bänme, an deren Zweigen Ruhme und Smaragde hangen statt der Früchte. Durch den Hain hindurch gelangt Dubar nach mehreren Abenteuern an das Wasser, welches die Wohnungen der Seligen umgiebt. UrHebel oder Urhamsi, der Bootsmann, versieht den Fährdienst. Nach längerm Zwiegespräch mit diesem besteigt Dubar den Kahn und fährt zum andern Ufer hinüber, wo Hasisathra bereits seiner wartet. Auf seine Bitte um Heilung erhält Dubar zunächst eine ausweichende Antwort; im Laufe des Gespräches fragt er seinen Ahn, wie er die Unsterblich¬ keit erlangt habe, worauf ihm dieser die Geschichte von der Sintflut erzählt. Auf den ersten Blick scheint diese Episode zusammenhangslos und will¬ kürlich in die Sage eingefügt zu sein. Indessen ist das nicht der Fall; der Grund ist ein innerlicher und ergiebt sich aus der naturmythischen Deutung der Sage. Zum bessern Verständnis sei es daher gestattet, zuvor eben diese Deutung der kurz zu Ende zu führenden Sage festzustellen, um dann den Sintflut¬ bericht für sich zu behandeln. Nachdem Hasisathra seine Erzählung von der großen Flut beendet hat, befiehlt er dem Fährmann, seinen Nachkommen ins Wasser zu tauchen, wodurch dessen Leib, vom Aussatz gereinigt, neu verjüngt und gesund wird. Dubar kehrt nun nach Ereck zurück und stellt zum zweiten male eine große Totenklage um seineu Freund Eabani an: „Jsdubar über seinen Freund Eabani bitterlich wehklagte und warf sich nieder auf dem Boden: ich hatte kein Urteil wie Eabani; Schwachheit zog in meine Seele; Tod fürchtete ich und legte mich aus den Boden. Um den Rat des Hasisathra, des Sohnes Ubaratutus, machte ich mich auf den Weg, und freudevoll ging ich. In die Nachbarschaft der Berge ging ich bei Nacht; einen Traum sah ich und fürchtete mich. Ich fiel auf mein Angesicht und betete zum Gotte Sir; vor die Götter kam mein Feder, und sie sandten mir Frieden." Durch Dubars Bitten gerührt, befiehlt Gott Ea, Eabauis Vater, daß die Seele seines Sohnes von der Unterwelt in die Wohnung der Seligen empor¬ steigen soll. Den Schluß der Erzählung bildet dann die Beschreibung von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/343>, abgerufen am 15.05.2024.