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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr.

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Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

und Vertreter einer der Göttin von ihrem Gatten zugefügten Kränkung. Diese
Umwandlung entspricht dem Begriffe der Griechen von ihren Göttern. Weder
kann sich Hera, als keusche Beschützerin der Ehe, in den Helden verlieben, noch
darf sie sich gegen den Allvater Zeus, diesen Don Juan unter sterblichen
Weibern, auflehnen. Hingegen ist der Haß Heras gegen den unechten Sohn
ihres Gatten psychologisch durchaus erklärt. Sei" letztes Schicksal beschwört
übrigens auch Herakles durch eine persönliche Untreue herauf, indem er die
Reize der schönen Jole denjenigen seiner Gattin Dejanira, eines irdischen Werk¬
zeuges der himmlischen Hera, vorzieht.

Beiden Helden, dem Dubar wie dem Herakles, wird ein Freund und Be¬
gleiter auf ihren Lebensweg mitgegeben. Die Ähnlichkeit des Satyr Eabani
und des Centauren Chiron, dessen Gestalt sich bei der weitern Entwicklung der
griechischen Sage in der Person des Jolaos fortsetzt, ist augenfällig. Herakles
erschießt seinen Freund unglücklicherweise selbst; daß Dubar desgleichen gethan
hat, ist, da die Todesursache Eavanis aus den Bruchstücken nicht bekannt wird,
keineswegs ausgeschlossen. Der heftige Schmerz, die tiefe Reue, die inständige
Bitte um Eabcmis Befreiung aus der Unterwelt in Dubars Totenklage sprechen
dafür, und die naturmythische Deutung der Sage macht es, wie wir sehen
werden, wahrscheinlich.

Das hervorragendste Abenteuer beider Helden ist der Löwenkampf. Aber
auch die Überwindung des Tyrannen Humbaba in dem babylonischen Mythus
erinnert an die Dienstbarkeit des Herakles gegenüber dem Tyrannen Eurystheus,
von dessen Joch er sich durch das Bestehen einer Anzahl von Abenteuern be¬
freien muß; vielleicht erinnert auch der Riese Geryoneus an den Tyrannen der
Dubarsage. Das Erschlagen des auf Jstars Bitten von Ann erschaffenen
Stiers aber dürfte im griechischen Mythus sein Gegenbild in der Herbeischaffung
des Kretischen Minotauros finden. Daß wir im Heraklesmythus jedoch der
Abenteuer weit mehr haben als in der Dubarsage, kommt daher, daß uns
an den Bruchstücken der letztern gar zu viel fehlt, was zur Ausschmückung bei¬
tragen würde; zum andern aber ist es natürlich, daß die Sage in ihrer fernern
Entwicklung bei den Hellenen unter dem Einflüsse örtlicher, sittlicher und ge¬
schichtlicher Elemente eine wesentliche Erweiterung erfahren hat, deren Episoden
dem asiatischen Urtypus natürlich fremd waren.

Gemeinsam aber ist wiederum beiden Sagen der Zug des Dubar-Hercckles
nach Westen zum Lande der Seligen mit seinen wundersamen grausigen und
lieblichen Erscheinungen. Welche Ähnlichkeit zwischen den mit Smaragden und
Rubinen behangenen Bäumen im Dubarmythus und den Gurten der Hesperiden
in der Heraklessage! In beiden Erzählungen auch eine Höllenfahrt, nur mit
dem Unterschiede, daß hier der Held selbst sie gezwungen zu bestehen hat, während
dort sich Istar ihr, und zwar freiwillig, unterzieht. Mit der Höllenfahrt im zeit¬
lichen oder ursächlichen, jedenfalls aber unmittelbaren Zusammenhange steht


Gu'uzl'öden I. 1888. 43
Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht.

und Vertreter einer der Göttin von ihrem Gatten zugefügten Kränkung. Diese
Umwandlung entspricht dem Begriffe der Griechen von ihren Göttern. Weder
kann sich Hera, als keusche Beschützerin der Ehe, in den Helden verlieben, noch
darf sie sich gegen den Allvater Zeus, diesen Don Juan unter sterblichen
Weibern, auflehnen. Hingegen ist der Haß Heras gegen den unechten Sohn
ihres Gatten psychologisch durchaus erklärt. Sei» letztes Schicksal beschwört
übrigens auch Herakles durch eine persönliche Untreue herauf, indem er die
Reize der schönen Jole denjenigen seiner Gattin Dejanira, eines irdischen Werk¬
zeuges der himmlischen Hera, vorzieht.

Beiden Helden, dem Dubar wie dem Herakles, wird ein Freund und Be¬
gleiter auf ihren Lebensweg mitgegeben. Die Ähnlichkeit des Satyr Eabani
und des Centauren Chiron, dessen Gestalt sich bei der weitern Entwicklung der
griechischen Sage in der Person des Jolaos fortsetzt, ist augenfällig. Herakles
erschießt seinen Freund unglücklicherweise selbst; daß Dubar desgleichen gethan
hat, ist, da die Todesursache Eavanis aus den Bruchstücken nicht bekannt wird,
keineswegs ausgeschlossen. Der heftige Schmerz, die tiefe Reue, die inständige
Bitte um Eabcmis Befreiung aus der Unterwelt in Dubars Totenklage sprechen
dafür, und die naturmythische Deutung der Sage macht es, wie wir sehen
werden, wahrscheinlich.

Das hervorragendste Abenteuer beider Helden ist der Löwenkampf. Aber
auch die Überwindung des Tyrannen Humbaba in dem babylonischen Mythus
erinnert an die Dienstbarkeit des Herakles gegenüber dem Tyrannen Eurystheus,
von dessen Joch er sich durch das Bestehen einer Anzahl von Abenteuern be¬
freien muß; vielleicht erinnert auch der Riese Geryoneus an den Tyrannen der
Dubarsage. Das Erschlagen des auf Jstars Bitten von Ann erschaffenen
Stiers aber dürfte im griechischen Mythus sein Gegenbild in der Herbeischaffung
des Kretischen Minotauros finden. Daß wir im Heraklesmythus jedoch der
Abenteuer weit mehr haben als in der Dubarsage, kommt daher, daß uns
an den Bruchstücken der letztern gar zu viel fehlt, was zur Ausschmückung bei¬
tragen würde; zum andern aber ist es natürlich, daß die Sage in ihrer fernern
Entwicklung bei den Hellenen unter dem Einflüsse örtlicher, sittlicher und ge¬
schichtlicher Elemente eine wesentliche Erweiterung erfahren hat, deren Episoden
dem asiatischen Urtypus natürlich fremd waren.

Gemeinsam aber ist wiederum beiden Sagen der Zug des Dubar-Hercckles
nach Westen zum Lande der Seligen mit seinen wundersamen grausigen und
lieblichen Erscheinungen. Welche Ähnlichkeit zwischen den mit Smaragden und
Rubinen behangenen Bäumen im Dubarmythus und den Gurten der Hesperiden
in der Heraklessage! In beiden Erzählungen auch eine Höllenfahrt, nur mit
dem Unterschiede, daß hier der Held selbst sie gezwungen zu bestehen hat, während
dort sich Istar ihr, und zwar freiwillig, unterzieht. Mit der Höllenfahrt im zeit¬
lichen oder ursächlichen, jedenfalls aber unmittelbaren Zusammenhange steht


Gu'uzl'öden I. 1888. 43
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[0345] Die Dubar-Sage und der keilschriftliche Sintflutbericht. und Vertreter einer der Göttin von ihrem Gatten zugefügten Kränkung. Diese Umwandlung entspricht dem Begriffe der Griechen von ihren Göttern. Weder kann sich Hera, als keusche Beschützerin der Ehe, in den Helden verlieben, noch darf sie sich gegen den Allvater Zeus, diesen Don Juan unter sterblichen Weibern, auflehnen. Hingegen ist der Haß Heras gegen den unechten Sohn ihres Gatten psychologisch durchaus erklärt. Sei» letztes Schicksal beschwört übrigens auch Herakles durch eine persönliche Untreue herauf, indem er die Reize der schönen Jole denjenigen seiner Gattin Dejanira, eines irdischen Werk¬ zeuges der himmlischen Hera, vorzieht. Beiden Helden, dem Dubar wie dem Herakles, wird ein Freund und Be¬ gleiter auf ihren Lebensweg mitgegeben. Die Ähnlichkeit des Satyr Eabani und des Centauren Chiron, dessen Gestalt sich bei der weitern Entwicklung der griechischen Sage in der Person des Jolaos fortsetzt, ist augenfällig. Herakles erschießt seinen Freund unglücklicherweise selbst; daß Dubar desgleichen gethan hat, ist, da die Todesursache Eavanis aus den Bruchstücken nicht bekannt wird, keineswegs ausgeschlossen. Der heftige Schmerz, die tiefe Reue, die inständige Bitte um Eabcmis Befreiung aus der Unterwelt in Dubars Totenklage sprechen dafür, und die naturmythische Deutung der Sage macht es, wie wir sehen werden, wahrscheinlich. Das hervorragendste Abenteuer beider Helden ist der Löwenkampf. Aber auch die Überwindung des Tyrannen Humbaba in dem babylonischen Mythus erinnert an die Dienstbarkeit des Herakles gegenüber dem Tyrannen Eurystheus, von dessen Joch er sich durch das Bestehen einer Anzahl von Abenteuern be¬ freien muß; vielleicht erinnert auch der Riese Geryoneus an den Tyrannen der Dubarsage. Das Erschlagen des auf Jstars Bitten von Ann erschaffenen Stiers aber dürfte im griechischen Mythus sein Gegenbild in der Herbeischaffung des Kretischen Minotauros finden. Daß wir im Heraklesmythus jedoch der Abenteuer weit mehr haben als in der Dubarsage, kommt daher, daß uns an den Bruchstücken der letztern gar zu viel fehlt, was zur Ausschmückung bei¬ tragen würde; zum andern aber ist es natürlich, daß die Sage in ihrer fernern Entwicklung bei den Hellenen unter dem Einflüsse örtlicher, sittlicher und ge¬ schichtlicher Elemente eine wesentliche Erweiterung erfahren hat, deren Episoden dem asiatischen Urtypus natürlich fremd waren. Gemeinsam aber ist wiederum beiden Sagen der Zug des Dubar-Hercckles nach Westen zum Lande der Seligen mit seinen wundersamen grausigen und lieblichen Erscheinungen. Welche Ähnlichkeit zwischen den mit Smaragden und Rubinen behangenen Bäumen im Dubarmythus und den Gurten der Hesperiden in der Heraklessage! In beiden Erzählungen auch eine Höllenfahrt, nur mit dem Unterschiede, daß hier der Held selbst sie gezwungen zu bestehen hat, während dort sich Istar ihr, und zwar freiwillig, unterzieht. Mit der Höllenfahrt im zeit¬ lichen oder ursächlichen, jedenfalls aber unmittelbaren Zusammenhange steht Gu'uzl'öden I. 1888. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_202098/345>, abgerufen am 15.05.2024.